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1,50 Euro pro Frisur

Messe.- Zum 15. Mal trafen sich diese Woche in Stuttgarts Haus der Wirtschaft Experten für digitale Effekte und Computeranimation zur fmx. Zu sehen gab es so manches Erstaunliches.

Von Maximilian Schönherr | 08.05.2010
    Eine Konferenz über Spezialeffekte in Kino, Fernsehen und Computerspielen hat auch mit Avataren zu tun, mit im Rechner generierten 3D-Figuren. Im Messebereich der fmx in Stuttgart waren viele 3D-Bildschirme zu sehen und auch ein Avatar, eine Frau mit kurzen schwarzen Locken und großen Augen, die uns aus einem 3D-Bildschirm heraus räumlich anspricht. Sie antwortet gerade auf die Frage ihres Programmierers, des Informatikers Nils Zweiling von der Forschungsabteilung der Filmakademie Baden-Württemberg.

    "Erzähl mir was über die fmx!"

    "In dieser Entwicklungsabteilung widmen wir uns dynamischer Echtzeitanimation, insbesondere von virtuellen Charakteren."

    Wobei Echtzeit, wie hier, heißt: Die Figur, der 'Character', reagiert direkt, ohne Verzögerung.

    In Computerspielen bewegt sich doch alles in Echtzeit, und das schon seit vielen Jahren; was ist das Problem mit der Echtzeit?

    "Das Problem ist, wie es in Echtzeit dann aussieht. Zum einen geht es ja darum, dass ein Character auch glaubwürdig herüberkommt. Es ist ja so, dass ein Gesicht aus sehr vielen Muskeln besteht, und man hat die Möglichkeit, es benutzerfreundlich zu animieren. Denn diese Muskeln sind sehr komplex, und wenn ich auf einer höheren Ebene animieren kann, fällt es auch dem Animator leichter, überzeugende Animationen zu generieren, als, sprich: Augenbraue hoch! – statt einzelne Vertex-Positionen im Gesicht zu verschieben."

    Das Forschungsteam der Filmakademie, zu dem Nils Zweiling gehört, bietet den Baukasten für solche Figuren kostenlos und quellcodefrei an. Das Open-Source-Projekt nennt sich "Frapper". Jeder kann es ausprobieren und weiterentwickeln.

    Wie viele Zähne hat sie denn?

    "Keine Ahnung, da hab ich noch nicht nachgezählt, werd’s mir mal angucken."

    Von den Zähnen zu den Haaren. Technisch sind sie längst kein Problem mehr, seit dynamische Simulationen von Feuer, Rauch, Wellen, Wolken, Fell und eben auch Haaren in fast allen 3D-Computerprogrammen zur Grundausstattung gehören. Aber lästig sind sie immer noch. Die fmx bietet Einblicke in die alltägliche Arbeit sogenannter Compositing-Häuser. Sie bringen reales Filmmaterial mit computergenerierten Dingen zusammen.

    Filme mit einem hohen Computeranteil wie Avatar oder Alice im Wunderland werden neuerdings und hoffentlich nur vorübergehend Hybridfilme genannt. David Schaub von Sony Pictures Imageworks berichtete Grausiges vom Alice-im-Wunderland-Dreh.

    "Weil die Zeit knapp und Regisseur Tim Burton lange unentschieden war, wie der Film aussehen sollte, drehte man die Szenen mit realen Schauspielern in nur wenigen Wochen vor grünen Wänden ab. Die Animations- und Compositing-Abteilung sollte aus dieser armseligen Vorlage dann ein ansprechendes Fantasy-Movie machen. Wenn wir in dem Film den Herzbuben aufs Pferd steigen sehen, wenn er seinen Kopf herumwirft, wehen seine Haare dabei lässig im Wind. Dahinter steckt eine Flickschusterei aus echten, halbechten, voll digitalen Haaren. Der ganze Film, so David Schaub, war eine Überforderung, ein Horrortrip; er hat sich den Film noch gar nicht fertig ansehen können."

    Nicht so schlimm war es beim gerade angelaufenen Hybridfilm Ironman 2. Hybrid deswegen, weil es neben den realen Schauspielern eben auch Ironman gibt, eine tragende, vollständig digitale Figur. Victor Wade, den wir hier bei seinem Vortrag am Mittwoch hören, war für die Spezialeffekte in dem Film zuständig. Er arbeitet bei der Londoner Firma Doublenegative, und auch er fand es überraschend, wie viel man von ihm verlangte. Sein Team musste zum Beispiel den kompletten Hafen von Monaco samt Yachten digital nachbauen und so authentisch belichten und ausleuchten und glänzen lassen, dass die künstliche Szenerie mit den Realdrehs harmonierte. Und auch er erzählte von lästigen Haaren, nämlich denen von Robert Downey Jr. Wenn er seinen Eisenanzug fast fertig angezogen hat, kommt am Schluss der Kopf dran, und weil der rein synthetische Helm so eng anliegt, musste Wade hier Einzelbild für Einzelbild Haare wegretouchieren.

    "Ja hallo, mein Name ist Carsten van Husen. Ich bin bei der Firma Gameforge in Karlsruhe. Wir bieten Online-Spiele an und sind damit Marktführer in unserem Bereich, weltweit, free to play."

    Wenn wir beide jetzt spielen würden, wir wären also in dem Spiel, hätten wir da auch die Frisuren gewählt, die wir real haben, und unsere Brillen?

    "Also wir hätten je nach Spielsetting genau das gewählt, wie wir tatsächlich aussehen, oder hätten, angehaucht vom Fantasyreich des Mittelalters in Metin 2, Frisuren des chinesischen Kaiserreichs gewählt. Die sind ganz wild. Da gibt es hochgesteckte Frisuren, die 30 Zentimeter echte Höhe hätten, in den wildesten Farben marmoriert. Da kann man sich schon richtig ausleben und seinen Charakter individualisieren."

    Was würde denn für mich die mittelalterliche chinesische Frisur kosten?

    "Das ist 1,50 Euro, was Sie da umgerechnet über Zwischenwährung ausgeben müssten, um Ihr Leben lang mit dieser Frisur in Metin 2 glücklich zu werden."

    Preiswerter digitaler Haarschnitt also, sieht allerdings nicht annähernd so schick aus wie, sagen wir mal, die digitale Haarpracht des Katers in Alice im Wunderland. Metin 2 spielt man – zusammen mit 20 Millionen anderen – in seiner Landessprache direkt im Browser, also in Firefox & Co. Und bei seinem Vortrag auf der fmx verkündete Carsten van Husen stolz, dass man das Personal in Karlsruhe von 400 auf 500 aufstocken wolle und mit einer Handvoll gut gepflegten Browserspielen dreistelligen Millionenumsatz macht. Und zwar ohne Werbung, ohne Abo.

    "Wir verdienen unser Geld nur mit den ominösen Micro-Transactions, kleinen Beträgen, die Kunden ausgeben, um bei uns Spaß zu haben."

    Eigentlich kein Wunder, das ist reine Marktwirtschaft: In angespannten Zeiten boomen Discounter und Ein-Euro-Läden.