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1. Mai
Vom Wert "guter Arbeit"

Ist der ideelle Wert der Arbeit heute nicht vielen viel wichtiger als der monetäre? Ist gute Arbeit vielleicht letztendlich die Arbeit, die uns erfüllt? Ja, findet der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, es hänge jedoch davon ab, "unter welchem Druck ich stehe, arbeiten zu müssen".

Friedhelm Hengsbach im Gespräch mit Änne Seidel | 01.05.2014
    Sozialethiker Friedhelm Hengsbach
    Der Jesuit Friedhelm Hengsbach ist einer der renommiertesten Sozialethiker Deutschlands. (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Ist gute Arbeit vielleicht letztendlich die Arbeit, die uns erfüllt? – Diese Fragen möchte ich weitergeben an den Sozialethiker Friedhelm Hengsbach, der jetzt am Telefon ist. Guten Abend, Herr Hengsbach.
    Friedhelm Hengsbach: Guten Abend, Frau Seidel. Ich grüße Sie.
    Seidel: Herr Hengsbach, was würden Sie sagen, welche Rolle spielt dieser ideelle Wert der Arbeit heute in unserer Gesellschaft?
    Hengsbach: Ich denke, der ist ganz entscheidend. In dem Ausmaß, wie junge Menschen ausgebildet, gut ausgebildet sind und die Möglichkeiten haben zu spüren, was denn eigentlich das ist, was sie interessiert, was ihnen Freude macht, wo ihre Talente liegen, sind sie immer mehr daran interessiert, dass gleichsam diese Talente auch entwickelt sind und dass sie in der Arbeit neben dem Monetären auch wirklich zufrieden sind und es ihnen Freude macht.
    Seidel: Arbeit gibt Halt, stiftet Sinn, oder es scheint zumindest vielen so. Würden Sie so weit gehen und sagen, dass Arbeit eine Art Ersatzreligion geworden ist, zumindest für einige von uns?
    Hengsbach: Ja. Es gibt natürlich Menschen, die sind hyperaktiv und sie können gar nicht sich anderes vorstellen, als dass sie irgendwo herumlaufen, irgendwas in Gang bringen oder etwas anzetteln oder auf andere Menschen einwirken. Das ist natürlich irgendwann krankhaft. Wenn ich mich nicht einmal auf einen Stuhl setzen kann und einfach nichts tue, einfach nur sitzen, wie Loriot das mal karikiert hat oder wenn ich nicht einmal Musik hören kann, oder wenn ich nicht einfach mal auf einer Wanderung in den Bergen mal eine Stunde auf dem Berg, auf dem Gipfel sitzen kann, einfach nur schauend, dann, denke ich, ist das nur ein halbes Leben, was ich erlebe.
    Seidel: Das klang da jetzt gerade schon heraus: Es wird heute auch viel darüber diskutiert, ob wir diesen ideellen Wert der Arbeit nicht überhöhen und zu ernst nehmen und welche Probleme sich dann daraus ergeben können.
    Wenn der Mensch im Mittelpunkt steht
    Hengsbach: Ja. Auf der anderen Seite: Wenn der Mensch wirklich im Mittelpunkt unseres ganzen Lebens steht, auch der Wirtschaft oder auch der Gesellschaft steht, dann müsste doch erst gefragt werden, was sind die eigenen, ureigenen Bedürfnisse der Menschen, ob Männer oder Frauen, und das ist doch erst mal das Entscheidende. Das andere: Ich denke auch, dass zu diesem ideellen Wert, der Zufriedenheit, dazu gehört, dass andere Menschen das, was ich tue, als schön, als wirklich auch befreiend für sie selbst ansehen. Das heißt, dass die gesellschaftliche Anerkennung auch dazu gehört, ob mir eine Arbeit Freude macht, Spaß macht, oder ob es nur ein Leiden ist.
    Seidel: Sie haben ein Buch geschrieben über die zunehmende Beschleunigung in der Arbeitswelt. Jetzt möchte ich Sie mal fragen: Sind wir nicht auch ein bisschen selbst Schuld an diesem Tempo und dem daraus entstehenden Leistungsdruck, einfach da wir uns darauf einlassen und die Leistung irgendwo auch als Erfüllung ansehen?
    Hengsbach: Wenn ich die Möglichkeiten habe, das selbst zu bestimmen, wenn ich Handlungsspielräume habe, zu wählen, ob ich mich entspanne, ein Buch lese, oder ob ich zur Arbeit, vielleicht auch zur Erwerbsarbeit gehen muss, um meinen Lebensunterhalt zu bestreiten. In dem Ausmaß, wie ich Handlungsmöglichkeiten habe, habe ich auch die Möglichkeit, mich zu verweigern gegenüber dem Druck, der von außen kommt. Insofern: Diejenigen, die mehr Macht haben, haben natürlich auch viel mehr Möglichkeiten, Druck auf andere Leute auszuüben und ihnen zu sagen, wo es langgeht, das heißt, wie sie ihre Zeit verwenden sollen.
    Seidel: Also auch eine Frage von gesellschaftlichen Milieus und der Frage, inwiefern man auf die Arbeit und das Geld angewiesen ist?
    Druck, der von außen kommt
    Hengsbach: Ja, denke ich schon. Wer unter dem Druck steht, auf der einen Seite jetzt im Haushalt tätig zu sein, Kinder zu versorgen, oder vielleicht als Alleinerziehende eine ganze mögliche Palette von Dingen gleichzeitig erledigen zu müssen, der spürt natürlich den Druck, der von außen kommt, viel stärker als einer, der vielleicht in einer Paarbeziehung lebt, ein gutes Einkommen hat und sich ihre Wochenenden dann jeweils gemeinsam oder auch getrennt gestalten können.
    Seidel: Jetzt noch einmal gesamtgesellschaftlich betrachtet: Würden Sie sagen, dass da der monetäre Wert der Arbeit an Bedeutung verloren hat?
    Hengsbach: Das hängt davon ab, unter welchem Druck ich stehe, ob ich arbeiten gehen muss, um meinen Lebensunterhalt zu gestalten. Nehmen Sie die Menschen, die im Niedriglohnsektor beschäftigt sind und dann noch durch Sozialleistungen entsprechend eine Aufstockung ihres Gehaltes beziehen. Die stehen natürlich unter Druck. Andere, zum Beispiel ich bin relativ frei, Anfragen, die an mich gestellt sind, anzunehmen oder abzulehnen. Ich kann mich natürlich auch selbst unter Druck setzen, aber ich denke, wer solche Möglichkeiten so souverän hat, auch privilegiert ist in seiner Arbeitswelt, in seinem Arbeitsmilieu, der hat natürlich Möglichkeiten, das zu gestalten, was ihm guttut.
    Seidel: Noch ganz kurz: Was muss passieren, damit wir leichter von guter Arbeit sprechen können? Was muss sich ändern?
    "Wir brauchen die entsprechende Gegenmacht gegenüber denen, die uns diktieren, wie wir arbeiten müssen"
    Hengsbach: Wir brauchen die entsprechende Gegenmacht gegenüber denen, die uns diktieren, wie wir arbeiten müssen. Das ist zum Beispiel einmal auch dieser politische Wahn, dass ein Mensch eigentlich nur dadurch definiert werden kann, dass er erwerbstätig ist, und das ist natürlich auch dieser Druck, der beispielsweise auf Managern, auf Betriebsleitern ruht, die von den Finanzmärkten getrieben werden, auch diesen Druck des Tempos und der Beschleunigung einfach weiterzugeben.
    Seidel: ..., sagt der Sozialethiker Friedhelm Hengsbach. Vielen Dank für das Gespräch heute am Tag der Arbeit.
    Hengsbach: Bitte schön, Frau Seidel.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.