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10,3 Sekunden in Nazi-Deutschland

Er gehörte zu den erfolgreichsten Olympioniken der Neuzeit. 1936 in Berlin war der schwarze US-Leichtathlet Jesse Owen die gefeierte Persönlichkeit der Spiele. Sehr zum Missfallen der Nazis. An den Erfolg kann er später nicht mehr anknüpfen, weil er als Amateursportler lebenslang gesperrt wird.

Von Jessica Sturmberg | 12.09.2013
    "Atemlos verfolgt die Menge jetzt den Start, auf die Plätze, fertig, (Schuss), los! Wie eine Phalanx sind sie losgeschossen, der Holländer ist vorn, jetzt kommt schon Jesse Owens, zurück liegt Metcalfe, Borchmeyer stampft verzweifelt."

    Jesse Owens war der große Sportstar von 1936, der mit seinen vier Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen in Berlin die Nazi-Ideologen ordentlich in Verlegenheit brachte.

    "Erster Jesse Owens, Jesse Owens unschlagbar."

    Am 12. September 1913 wird James Cleveland Owens in Oakville, Alabama geboren. Als jüngstes von zehn Kindern. Die ganze Familie arbeitet hart in den Baumwollplantagen der Südstaaten, zieht 1922 nach Ohio, weil sie dort auf ein besseres Leben hofft.

    Als James Cleveland sich in seiner neuen Schulklasse mit der Abkürzung J.C. Owens vorstellt, versteht die Lehrerin Jesse. Fortan ist er für alle nur noch Jesse Owens. Schnell wird sein athletisches Talent erkannt, er darf an der Ohio State University studieren, allerdings ohne Stipendium. Er glaubt, aufgrund seiner Leistung gleichberechtigt zu sein, ist es aber nicht. Als Schwarzer darf er nicht auf dem Campus wohnen, nicht mit seinen weißen Teamkollegen zusammen essen.

    Jesse Owens schluckt die Diskriminierung. Seiner Leistung tut das keinen Abbruch. Gefördert von seinem Trainer Larry Snyder erlebt er seine Sternstunde bei einem Sportfest im Mai 1935 in Michigan. Innerhalb einer Dreiviertelstunde stellt er in drei Disziplinen drei Weltrekorde auf. Im Weitsprung bleibt seine Bestmarke von 8,13 Metern bis 1960 bestehen. Jesse Owens gehört damit zu den Favoriten für die Olympischen Spiele ein Jahr später in Nazi-Deutschland.
    "Ich verkünde die Spiele von Berlin zur Feier der elften Olympiade neuer Zeitrechnung als eröffnet."

    In Berlin wird er bereits von deutschen Reportern erwartet:

    "Mr. Owens how many Gold medals do you hope to win? Wie viele Goldmedaillen wollen sie eigentlich wegschleppen? – It’s the desire of every athlete to win a first place in the Olympic Game and since I ment to be, I hope to emerge with three victories I hope. – Drei, drei also drei bescheidene Goldmedaillen will Herr Owens mitnehmen, nämlich 100 Meter, 100 meters – 200 meters and broad jump – und Weitsprung. Das genügt ja für einen einzelnen Sterblichen, Dankeschön Mr. Owens."

    Der gewaltigste Kampf beginnt um die Schnelligkeit
    Jesse Owens fühlt sich wohl im olympischen Dorf, er wohnt, isst und trainiert dort mit den anderen Athleten zusammen. Gleich am ersten Wettkampftag kann er einen Triumph in der Königsdisziplin der Leichtathletik feiern:

    "Der gewaltigste Kampf beginnt um die Schnelligkeit, der Kampf um die 100 Meter. Voran Jesse Owens, seelenruhig, blankt sich die bronzene Muskulatur des schwarzen Mannes, des Meisters von Amerika. Auf der Innenbahn Jesse Owens, in der Mitte die vier Weißen, zwei Schwarze gegen vier Weiße. (...) Jetzt den Start, auf die Plätze fertig, (Schuss) los."

    Jesse Owens gewinnt den Lauf souverän in 10,3 Sekunden. Im mit damals 100.000 Zuschauern voll besetzten Olympiastadion würdigt das Berliner Publikum seine Leistung, ruft seinen Namen. Die Zuschauer jubeln ihm auch beim Sieg im 200-Meter-Lauf zu.

    Nach einem spannenden Weitsprung-Wettkampf gratuliert ihm sein härtester Konkurrent, der Leipziger Luz Long, und geht mit ihm vor den Augen Adolf Hitlers Arm in Arm durch das Stadion. Und schließlich wird Owens noch unerwartet für die 4-mal-100-Meter-Staffel aufgestellt. Die amerikanische Teamleitung entscheidet, dass – statt zweier jüdischer Läufer – er und Ralf Metcalfe starten sollen. So gewinnt er eine Goldmedaille mehr, als er sich vorgenommen hatte.

    Diese Erinnerungen werden immer bleiben
    Doch viel Freude hat Owen nicht an seinem Erfolg. Präsident Franklin D. Roosevelt (*) schickt ihm keine Glückwünsche, und weil er eine Europatournee im Anschluss an die Spiele abbricht, wird er vom amerikanischen Verband lebenslang als Amateursportler gesperrt. So kann er aus seinem Ruhm kaum Kapital schlagen, hat Mühe den Unterhalt seiner Familie aufzubringen. Jesse Owen stirbt im März 1980 an Lungenkrebs. Zuvor war er noch zwei Mal in Berlin, wo er stets gerne an die Olympiatage zurückdachte:

    "Well, these memories, that you never forget, because they are perhaps the greatest memories of your life, the greatest moment in my life, the greatest dream of my life became a reality here in Berlin. - Diese Erinnerungen werden immer bleiben, weil sie die schönsten meines Lebens waren, mein größter Traum ist in Berlin wahr geworden."

    Mehr zum Thema:
    Englisches Video über Jesse Owens 1936 bei den Olympischen Spielen
    Kalenderblatt vom 31. 3. 2005. Früher Tod des Olympia-Helden

    * Das gesendete Manuskript weicht in dieser Passage aufgrund einer Autorenkorrektur von der Sendefassung ab.