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10.6.1929 - Vor 75 Jahren

In Amerika wäre er vielleicht längst ein in Ehren ergrauter Superstar. In Frankreich Ritter der Ehrenlegion. In Großbritannien hätte ihn die Queen bestimmt schon geadelt. Doch Harald Juhnke lebt, singt und spielt in Deutschland.

Von Josef Schnelle | 10.06.2004
    "Mein "herzzerreißendes Schicksal" aber wird wohl immer die Frage sein: Knallt dir der Kunst-TÜV für deine Schauspielerei den Stempel U oder E ins Fahrtenbuch?"

    So klagt Juhnke in seinen autobiografischen Skizzen "Meine sieben Leben". Ein paar Seiten vorher präsentiert er stolz "Einser-Abitur mit 66 Jahren" – eine begeisterte Kritik der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Thema: sein triumphaler "Hauptmann von Köpenick" 1996 inszeniert von Katharina Thalbach. Harald Juhnke schlägt übrigens vor, neben den Kategorien U und E speziell für ihn eine Kategorie Z wie Zwitter einzuführen.

    Harald Juhnke hat eine seltsam irrlichternde Karriere hinter sich. Mit grandiosen Erfolgen auf der Bühne und im Fernsehen ist er der mit Abstand populärste Entertainer Deutschlands geworden. Und mit einer Serie spektakulärer Abstürze in Affären und Alkoholexzesse zum liebsten Spielball der Boulevardpresse. Anfangs – in den ersten seiner sieben Leben - wähnte er sich im Poker um Schlagzeilen und Skandalbilder als geschickter und stets siegreicher Spieler. Inzwischen ist ihm das Melodram des "heiligen Trinkers" längst entglitten und die Jagd der Paparazzi nach immer neuen Ansichten eines gebrochenen Mannes – der heute im Pflegeheim lebt und nicht mehr auftreten kann - hat sich verselbständigt. Hinter den Skandalgeschichten fast verschwunden scheint die Persönlichkeit des Allroundkünstlers aus dem Berliner Wedding, dessen Theaterkarriere 1950 begann. Im Rollenfach Hallodri, süffigem Boulevardtheater, aber auch mit klassischen Charakterrollen etwa als "Der Geizige" von Moliere war der Beifall für Juhnke über 40 Jahre lang gewiss. Mit seinem Borderline-Charakter als immer Absturzgefährdeter Alkoholiker spielte er allerdings mehr als einmal in seinen Songs.

    Besonders gerne lässt sich Harald Juhnke als "deutscher Frank Sinatra" bezeichnen. Auch wenn der deutsche Entertainer stimmlich nicht an "The Voice" heranreicht, so ähnelt er doch als Künstlerpersönlichkeit, die privaten Auftritt und Rollenklischee bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermengt, sehr stark dem Anführer des "Rattenpacks", der zusammen mit Dean Martin und Sammy Davis Junior – auch deren Lieder hat Juhnke verdeutscht - jede Bühne in eine Bar verwandelte. Harald Juhnke machte auch das Fernsehen zum leicht anrüchigen Etablissement – als Showmaster von "Musik ist Trumpf" und vom Barhocker herunter in "Willkommen im Club". Wenn man die Fernsehsendeminuten des Harald Juhnke, Spiel, Show, Theateraufzeichnung und Fernsehfilm zusammenrechnen würde, käme man leicht auf mehr als tausend Stunden. Der größte Teil davon ist leichte Unterhaltung.

    Obwohl Juhnke über 40 Kinofilme gedreht hat ist er als Filmschauspieler kaum präsent. In der langen Liste seiner Filme gibt es nur wenige herausragende Rollen und mit den großen Regisseuren hat er selten gearbeitet. Erst in den 90er Jahren feierte er späte Erfolge – als Partner Götz Georges in Helmut Dietls "Schtonk" und als Schauspieler der von einer fiktiven Rechtsradikalen zum Starredner aufgebaut wird in "Der Papagei" von Ralf Huettner. Seine größte Rolle – leider nur im Fernsehen zu sehen – spielte er 1995. Vor der Hauptrolle in Falladas autobiographischem "Der Trinker", Regie Tom Toelle, hatte ihn sein Psychiater gewarnt. Bei den Dreharbeiten gab es nur Wasser in den Schnapsflaschen, aber Juhnke legte sein ganzes unordentliche und schillerndes Leben in den Part und erntete wieder einmal begeisterten Applaus.