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10. Berlin Biennale
Imagination einer gerechten Welt

Die 10. Berlin-Biennale imaginiert eine Welt in zehn Jahren, in der kulturelle und soziale Gleichberechtigung Realität sind. Sie setzt dabei nicht nur auf politische Botschaften, sondern auch auf ästhetische Fragen. Es bleiben jedoch kuratorische Ungenauigkeiten, meint Carsten Probst.

Carsten Probst im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 08.06.2018
    Kuratorisches Team der 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (v. l. n. r.): Thiago de Paula Souza, Gabi Ngcobo, Nomaduma Rosa Masilela, Yvette Mutumba, Moses Serubiri
    Kuratorisches Team der 10. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst (v. l. n. r.): Thiago de Paula Souza, Gabi Ngcobo, Nomaduma Rosa Masilela, Yvette Mutumba, Moses Serubiri (Berlin Biennale / F. Anthea Schaap)
    "We don't need another hero" heißt die Devise der 10. Berlin Biennale - bezugnehmend auf einen Song von Tina Turner, der ein eingängiges Titelmotto gegen die alten Hierarchien bilden soll. Er irriertert dabei insofern, als die Sängerin Tina Turner eigentlich gerade keine Vorkämpferin für Gleichberechtigung schwarzer Frauen war, sondern mit ihren Bühnenoutfits eher die Fantasien weißer westlicher Männer bediente. "Andererseits soll genau dieser exotisch erotische Blick auf die schwarze Frau bei dieser Biennale entlarvt werden, am Beispiel von Nathalie Kellys Film über Ernst Ludwig Kirchner oder die Performances im Glaspavillon der Volksbühne. Auf solche kuratorischen Ungenauigkeiten erhält man leider auf der Biennale keine Antwort", meint Carsten Probst.
    Politische Botschaften und ästhetische Fragen
    Mit ihrem postkolonialen Ansatz fühlt sich die Berlin Biennale manchmal ein wenig wie ein zweiter Aufguss der letztjärigen documenta an, jedoch mit einem augenfälligen Unterschied. Gabi Ngcobo und ihr Team bemühen sich viel stärker als Adam Szymczyk bei seiner documenta, neben den inhaltlichen politischen Botschaften auch immer wieder weitergehende ästhetische Fragen zu adressieren.
    Das wird zum Beispiel in den Kunst-Werken in der Auguststraße deutlich, bei der großen Installation der südafrikanischen Künstlerin Dineo Seshee Bopape, die die zentrale Ausstellungshalle dort in orange-rotes Licht taucht. Es sieht aus wie auf einer Baustelle, umgestürzte Deckenstützen und Backsteine liegen herum, Eimer fangen Tropfen von der Decke auf, ein riesiger Erdball aus Packpapier schwebt an der Decke. Eine szenische Dystopie nach literarischen Vorlagen, die sinnbildlich die Zukunft in ein Bild fasst, in der das System der kulturellen Dominanz zusammengebrochen ist. Aber auch die Arbeiten von Cinthia Marcelle in den Kunst-Werken, die bei der letzten Kunstbiennale in Venedig den brasilianischen Pavillon bespielt hat, oder des Südafrikaners Moshekwa Langa in der Akademie der Künstle zeigen sehr eindrucksvolle Ästhetiken des Widerstands.
    Kunst-Orte als Geschichts-Orte
    Wie auch bei der documenta wurden die Orte der Biennale nach ihrer historischen Bedeutung ausgewählt: Die Kunst-Werke sind dabei wie gewohnt das Stammhaus der Berlin-Biennale und stehen eigentlich für die Verwandlung der alten Ostberliner Hinterhöfe in hippe Kunstorte. Die Akademie der Künste am Hanseatenweeg im Bezirk Tiergarten steht für die kulturelle Heilung der Wunden der Stadt aus dem Zweiten Weltkrieg. Das Zentrum für Kunst und Urbanistik ist eine alte Lagerhalle am Berliner Westhafen, Und die Ringbahn, die während der Teilung der Stadt stillgelegt war, eine Art Grenzort des geteilten Berlins. Das HAU und die Volksbühne sind zwei Theaterinstitutionen in Ost und West. Anders als die documenta konzentriert sich aber die Biennale damit auf schon etablierte und ausgewiesene Orte der Kultur.