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10 Jahre nach Tsunami
Sumatras Wiederaufbau mit Nebenwirkung

Nach dem Tsunami im Norden der indonesischen Insel Sumatra haben konservative Moslems das Ruder übernommen. Frauen müssen sich nun komplett verschleiern, auf vorehelichen Geschlechtsverkehr steht die Prügelstrafe.

Von Thomas Kruchem | 20.12.2014
    Vollverschleierte Frauen auf einer Kundgebung des radikalen Salafistenpredigers Pierre Vogel in Offenbach.
    Frauen in Burka (dpa / picture alliance / Boris Roessler)
    Lam Teungoh, ein Fischerdorf aus neuen, zweckmäßig wirkenden Häusern mit grünen Wellblechdächern - gelegen außerhalb der Stadt Banda Aceh an der Nordspitze der indonesischen Insel Sumatra. Der 55-jährige Baharuddin, ein schmächtiger Mann mit melancholischem Blick, hat ein großes Bild seiner vier Kinder an die Wand seines Wohnzimmers gehängt. Opfer des Tsunamis wie Baharuddins Frau. Der allein zurückgebliebene Familienvater und Dorfvorsteher fand neuen Lebenssinn im Wiederaufbau seines Dorfes. Forderungen der Regierung, das Dorf zwei Kilometer entfernt vom Meer neu zu bauen, lehnte er namens der Bevölkerung kategorisch ab:
    "Da hätten wir unseren Beruf als Fischer gleich an den Nagel hängen können. Abu Bakar, ein Assistent des Gouverneurs, fragte mich eines Tages: 'Hast du keine Angst, weiter so nah am Meer zu leben?' 'Nein', sagte ich. 'Ich bin als Fischer immer wieder von hoher See heimgekommen. Und schließlich habe ich auch noch den Tsunami überlebt. Jetzt kann mir nichts mehr passieren."
    Um den Wiederaufbau von Lam Teungoh kümmerte sich die indonesische Hilfsorganisation "Uplink". Sie forderte dabei auch Eigenengagement der Dorfbewohner. Von vornherein wollte man dem Entstehen einer Bettlermentalität vorbeugen und die Menschen beschäftigt halten, damit sie nicht in Depressionen versanken. "Uplink"-Architekt Andrea Fitrianto koordinierte seinerzeit mit Barahuddin den Wiederaufbau des Dorfes.
    "Weil die Behörden den Wiederaufbau weder koordinierten noch ausreichend Informationen bereitstellten, sammelten wir in den 14 Dörfern, die wir betreuten, selbst Informationen und fügten diese in Landkarten ein. Gemeinsam mit den Wiederaufbau-Komitees der Dörfer erstellten wir dann einen Wiederaufbauplan und konnten schon sechs Monate nach dem Tsunami die ersten Häuser bauen – wesentlich früher als andere Organisationen und die Regierung."
    Das unmittelbar am Meer liegende Lam Teungoh bekam Häuser auf Stelzen – in traditioneller Bauweise. Stelzenhäuser schützen nicht nur besser vor Fluten, meint Fitrianto. Der halböffentliche Raum unter den Häusern fördere auch das Gemeinschaftsleben; bei Regen oder sengender Sonne können hier Fischer ihre Netze reparieren, Frauen kochen, Kinder spielen. 2007 hatte Uplink über hundert Häuser in Lam Teungoh fertiggestellt. Häuser aus haltbaren Materialien, wie Andrea Fitrianto bei einem Rundgang feststellt. Fast alle sind in gutem Zustand. In einigen Nachbardörfern wurden Hilfsgelder unterschlagen, sagt der Architekt. Und die dort aus billigster Spanplatte gefertigten Hauswände seien längst verrottet.
    Die Herrschaft der Scharia in einem grundsätzlich säkularen Staat
    "Nach dem Tsunami erlebte Aceh neben dem Wiederaufbau auch einen starken politischen und gesellschaftlichen Wandel: Überraschend schnell fand ein 30-jähriger Bürgerkrieg zwischen radikalislamischen Rebellen und Indonesiens Armee ein Ende; und der Islam gewann eine noch größere Bedeutung im Alltag der Menschen, als er sie ohnehin schon hatte – im Vergleich zum restlichen Indonesien. Viele Bürger Acehs, wie etwa Barahuddins Nachbar Namazer Marzan, erlebten den Tsunami als Strafe Allahs.
    "Mit dem Tsunami hat Allah uns bestraft und gewarnt. Er war es satt, sich weiter den Bürgerkrieg in Aceh und die vielen Verbrechen anzuschauen. In der Stadt hier konnte man damals gestohlene Motorräder kaufen, auf denen noch Blutspritzer klebten von den früheren Besitzern. Und unsere politischen Führer wurden entweder ermordet oder sie vegetierten im Gefängnis dahin."
    Acehs neue Regierung aus Ex-Rebellen interpretierte solches Volksempfinden als Aufforderung, konsequent die Regeln des Koran durchzusetzen, die Scharia. Dies, obwohl Indonesien ein säkulares, ein weltliches, Staatswesen ist und der Islam keine Staatsreligion.
    Heute müssen in Aceh Frauen ein Körper und Gesicht verhüllendes Gewand tragen; unverheiratete Paare dürfen sich nicht allein treffen; Homosexualität gilt als Verbrechen. Verstöße gegen die Regeln bestrafen Scharia-Gerichte mit oft mehr als hundert Stockhieben, die im Rahmen eines öffentlichen Spektakels verabreicht werden. Davon abgesehen hat Acehs Parlament Gesetze verabschiedet, nach denen Ehebrecher zu steinigen sind und auch Nicht-Muslime die Regeln der Scharia befolgen müssen. Nur wegen eines Vetos der Zentralregierung werden diese Bestimmungen noch nicht angewandt. – Zu den wenigen, die offen protestieren gegen die Diktatur der Scharia in Aceh, zählt die Rechtsanwältin Azriana Rambemanalu, Leiterin der Frauenrechtsorganisation "APIK". Die Prügelstrafe, sagt Rambemanalu, sei für eine Frau fast gleichbedeutend mit der Todesstrafe.
    "Die Folgen einer solchen Bestrafung treffen Frauen ganz anders als Männer. Wenn ein Mann trinkt, spielt oder herumhurt, sagt man: 'Naja, das haben Männer schon immer getan.' Trinkt dagegen eine Frau oder hat sie Sex außerhalb der Ehe, dann reagiert die Gesellschaft extrem heftig. Und an jene Resozialisierung, von der die Regierung und die islamische Geistlichkeit so gern schwafeln, ist gar nicht zu denken. Im Gegenteil: Der Mann lässt sich scheiden; die Frau verliert ihre Kinder und ihren Arbeitsplatz; sie muss fortziehen und ein völlig neues Leben beginnen – wozu vielen Frauen die Kraft fehlt."