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100. Geburtstag des Architekten Karl Schwanzer
Ein Pionier des Industrial Design

Er war der Erbauer von urbanen Wahrzeichen wie dem Münchner BMW-Hochhaus oder des Museums für zeitgenössische Kunst in Wien, dem so genannten "Zwanz’ger-Haus": Heute vor 100 Jahren wurde in Wien der Architekt Karl Schwanzer geboren.

Von Jochen Stöckmann | 21.05.2018
    Das BMW-Hochhaus in München
    Karl Schwanzers bekanntestes Gebäude: Das BMW-Hochhaus in München (imago stock&people)
    Silbern glitzert die Aluminium-Fassade des BMW-Verwaltungsgebäudes in München. Ein imposanter Effekt – der die aufregende Konstruktion vergessen macht. Denn die vier über 100 Meter hohen Türme stehen nicht auf Fundamenten, sie sind im Innern an massiven Tragarmen aufgehängt:
    "Es ist eines der wenigen Hängehochhäuser, die es überhaupt gibt. Eine Hängearchitektur, es ist von oben nach unten gebaut. Also das, was bei E.T.A. Hoffmann in der Romantik so verspottet worden ist: dass man mit dem Dach anfängt, ist in gewissem Sinne verwirklicht worden."
    Der Architekturkritiker Gerwin Zohlen zitiert eine literarische Phantasie, E.T.A. Hoffmanns verrückte Idee aus dem 19. Jahrhundert. Die aber erwies sich 1968 als ebenso brillant wie praktisch: Ohne aufwendiges Gerüst wurden die am Boden vorgefertigten Bauteile mit den Tragarmen in die Höhe gezogen. So entstand aus vier Turmsäulen – mit idealen Grundrissen für Großraumbüros – das runde BMW-Hochhaus. Mit der charakteristischen Silhouette hieß es nur noch "der Vierzylinder". Ein Verwaltungsgebäude war zum werbewirksamen Symbol geworden.
    "Anders als die spätfunktionalistische oder vulgärfunktionalistische Architektur der Sechziger und vor allen Dingen der siebziger Jahre ist da mit der Bildhaftigkeit des ‚Vierzylinders‘ einfach eine Ausdrucksstärke, eine Bildstärke erreicht, die es sonst in der übrigen Architektur so gut wie gar nicht gab."
    Seit 1999 unter Denkmalschutz
    Ersonnen hat dieses einzigartige, 1999 unter Denkmalschutz gestellte Zeugnis der Baukultur ein außergewöhnlicher Architekt, dessen Name aber kaum bekannt ist: Karl Schwanzer, geboren am 21. Mai 1918 in Wien als Sohn eines Justizwachtmeisters.
    "Ich erlebte die Sorgen meiner Eltern, das Bangen und Sparen für ein Häuschen als Erfüllung ihres Wunschtraumes. Ich beobachtete, wie die Bretter geschnitten und Beton gemischt wurde. Das Geräusch der Handsägen, die mit ihrem ziehenden Atemrhythmus über den Bau tönten, sind mir, im Gegensatz zum Aufheulen heutiger Motorsägen, wie Musik erklungen."
    Diesen engen Bezug zum soliden Handwerk pflegte Schwanzer, Absolvent und später selbst Professor der Technischen Hochschule Wien. Als Virtuose avantgardistischer Ästhetik vernachlässigte er nie die praktische Seite, die Alltagstauglichkeit seiner Entwürfe. Der Pionier des Industrial Design gründete 1958 das Institut für Formgebung und entwarf selbst Möbel und Innenausstattungen. Damit trat er in die Fußstapfen eines Wegbereiters der Moderne, des um Generationen älteren Adolf Loos. Gerwin Zohlen erkennt darin eine meist übersehene Wahlverwandtschaft:
    "Weil Adolf Loos als Funktionalist missverstanden wird. Es ist ein ganz konservativer Architekt, der eine unglaublich prächtige Innenausstattung seiner Häuser entwickelt hat, aber außen karg. Und diesen Widerspruch, den könnte man sich für Schwanzer auch vorstellen. Diese Gestaltungslust, auch in der Botschaft, der österreichischen Botschaft in Brasilia."
    Über 400 realisierte Bauten
    Auch der Österreichische Pavillon für die Weltausstellung 1958 in Brüssel zählt zu Schwanzers Lebenswerk, das über 400 realisierte Bauten umfasst. Der Expo-Pavillon ließ sich mit wenig Aufwand zerlegen und wurde in Wien wieder aufgebaut als Museum für zeitgenössische Kunst. Eine funktionalistische Meisterleistung. Neben dieser effektiven Planung stand in Schwanzers Büro, 1948 als "Atelier" gegründet, immer auch der künstlerische Entwurf, die ästhetische Formfindung im Vordergrund – gegen jedes rein wirtschaftliche Denken. Sein Sohn, Martin Schwanzer, erinnert sich:
    "Sein Grundsatz in der Architektur war Qualität vor Verdienst und Identifikation für Benutzer eines Bauwerkes."
    Mit dieser Maxime, ohne jede auf profitables Marketing getrimmte "Handschrift" und ohne einen auf den ersten Blick erkennbaren, modischen Stil stellte sich dieser Ausnahmearchitekt jeder Bauaufgabe immer wieder neu, auf ganz eigene Art. Es war kein einfacher Weg. 1975, im Alter von 57 Jahren, nahm Karl Schwanzer sich das Leben. Posthum erhielt er noch im selben Jahr den Großen Österreichischen Staatspreis für Architektur.