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100. Geburtstag von Wieland Wagner
Erneuerer mit dunkler Vergangenheit

Mit Wieland Wagner begann eine neue Ära in Bayreuth. Als er 1951 gemeinsam mit seinem Bruder die Festspielleitung übernahm, wandte er sich bewusst vom Pomp und Pathos der tradierten Wagner-Inszenierungen ab und entwickelte seinen eigenen Stil. Während des Dritten Reichs galt Wieland als Günstling Hitlers - ein Schatten, von dem er sich zu lösen versuchte.

Von Jürgen Liebing | 05.01.2017
    Der Regisseur der Bayreuther Festspiele, Wieland Wagner
    Wieland Wagner war bis zu seinem frühen Tod 1966 künstlerischer Leiter der Bayreuther Festspiele. Er hat an beinahe allen bedeutenden Opernhäusern der Welt inszeniert. (picture alliance / dpa / Karl Schnoerrer)
    "Wir sind nun besonders stolz, dass wir seit 1951 ein ständig jünger werdendes Publikum besitzen, und dass die so genannten alten Wagnerianer wirklich allmählich nur zum Popanz geworden ist, den professionelle Antiwagnerianer noch angreifen, um das Werk angreifen zu können."
    Wieland Wagner war bis zu seinem frühen Tod 1966 im Alter von nur 49 Jahren künstlerischer Leiter der Bayreuther Festspiele. Sein Bruder Wolfgang verantwortete die kaufmännische Seite. Als "Neubayreuth" sollte diese Epoche der Festspiele in die Geschichte eingehen.
    "Es ist rückblickend fast ein Wunder, dass man nach dieser Katastrophe des Zweiten Weltkrieges, diesem Gesichtsverlust, diesem Trauma, schon 1951 tatsächlich weitermachen konnte", sagt Sven Friedrich, Leiter des Richard-Wagner-Museums in der Villa Wahnfried in Bayreuth.
    Regie-Debut mit revolutionärer "Parsifal"-Inszenierung
    Die Eröffnungspremiere war das Bühnenweihfestspiel "Parsifal", das einzige Werk, das Richard Wagner speziell für das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel komponiert hat, inszeniert von seinem Enkel Wieland Wagner.
    "1951, dieser Parsifal von Wieland Wagner war natürlich eine Revolution", sagt der Musik- und Theaterwissenschaftler Stephan Mösch. Mit dieser Inszenierung begann die Ära Wieland Wagner. "Entrümpelung" ist eines der Stichworte, die immer wieder zitiert werden, wenn der Regiestil Wielands auf einen Nenner gebracht werden soll, auch von "Abstraktion" ist die Rede.
    Später hat er seinen Inszenierungsstil einmal so charakterisiert: "Es lassen sich doch während der letzten fünfzig Jahre immer zwei Tendenzen verfolgen, also die Tendenz der Abstraktion und des Operntheaters. Operntheater bedeutet für mich Fülle, Abwechslung, Bewegung um jeden Preis, Asymmetrie. Das andere Theater, ich möchte es das archetypische Theater nennen, bedeutet für mich leerer Raum, Farbe, Stimmung, strenge choreografische Führung – meine Gegner nennen das Reißbrettregie."
    Wieland - der Kronprinz und erklärter Liebling Hitlers
    Geboren wurde Wieland Wagner am 5. Januar 1917, wie er es selbst einmal genannt hat, "in einem Mausoleum", als erstes Kind von Siegfried, dem Sohn Richard Wagners, und dessen Frau Winifred. Cosima, die Großmutter, hielt den Geist ihres Mannes Richard in der Villa Wahnfried wach.
    Bereits 1937 hatte der zwanzigjährige Wieland Bühnenbilder zum "Parsifal" entworfen. Ausgerechnet Wieland, Hitlers "Lieblingssohn", der zum Nachfolger seiner Mutter Winifred aufgebaut werden sollte, erschien bei der Premiere in Wehrmachtsuniform, obwohl er von Adolf Hitler vom Wehrdienst befreit worden war. 1938 trat er der NSDAP bei. Aus Saulus wurde nach dem Krieg Paulus.
    "Die Stunde Null ist natürlich ein Mythos, den man brauchte, um überhaupt irgendwie wieder anzufangen. Gleichwohl ist es ein Mythos. Die Stunde Null hat es nie gegeben. Und da gibt es schon Kontinuitäten auch in der Person Wieland Wagners, der ja als Kronprinz und erklärter Liebling Hitlers durchaus auch von seiner herausgehobenen Stellung in den 40er Jahren profitiert hat, dann sicherlich innerlich einen Damaskusweg vollzogen hat, aber gleichwohl auch als belastet zu gelten hat", so Sven Friedrich
    Zentrum seines Wirkens blieb Bayreuth
    Wieland Wagner hat an beinahe allen bedeutenden Opernhäusern der Welt inszeniert, nicht nur die Werke seine Großvaters. Das Zentrum seines Wirkens aber blieb die fränkische Kleinstadt.
    Wolfgang Wagner, der nach dem Tod seines Bruders die Festspiele bis 2008 allein führte, resümiert das von den Brüdern verfolgte Ziel: "Sowohl mein Vater wie meine Mutter haben eigentlich nie unmittelbar darauf gedrungen, dass wir diese Aufgabe in irgendeiner Form übernehmen müssen.
    Wir hatten also da wirklich einen unerhörten Abstand, Distanz, so dass wir nicht nur, sagen wir, hineingewachsen sind, sondern darüber hinaus auch jenen objektiven Abstand zu dem ganzen Unternehmen, zu den Festspielen gewinnen konnten, der nach meiner Ansicht ganz erheblich dazu beigetragen hat, dass die Geltung, die Bayreuth wiedererlangen konnte, mit zu schaffen."