100 Jahre DADA

Gadji Beri # 2016

Die Autoren Zeitblom und Wittmann.
Die Autoren Zeitblom und Wittmann © Mirjam Siefert
Von wittmann/zeitblom · 06.02.2016
100 Jahre nach dem legendären Eröffnungsabend des Cabaret Voltaire in Zürich konfrontiert das Hörspiel "Gadji Beri # 2016" die heutige Lebenswirklichkeit mit DADA.
Wir schreiben das Jahr des DADA. wittmann/zeitblom (w/z) treffen wittmann/zeitblom (w/z) im DADA-Eck-Cafe in Berlin.
w/z: Hallo, wittmann/zeitblom. 100 Jahre nach DADA eine DADA-Radio-Oper? Warum?
w/z: Hallo! - "Unser Versuch, das Publikum mit künstlerischen Dingen zu unterhalten, drängt uns in ebenso anregender wie instruktiver Weise zum ununterbrochen Lebendigen, Neuen, Naiven. Es ist mit den Erwartungen des Publikums ein Wettlauf, der alle Kräfte der Erfindung und der Debatte in Anspruch nimmt", sagte Hugo Ball vor 100 Jahren anlässlich des legendären Eröffnungsabend des Cabaret Voltaire in Zürich. Mit der Radio-Oper "Gadji Beri # 2016" konfrontieren wir die heutige Lebenswirklichkeit mit DADA, weil der aktuelle Irrsinn mit Methode dringend dazu Anlass gibt, diesem mit künstlerischen Mitteln auf die Schliche zu kommen. Und weil DADA Geburtstag hat.
w/z: Von welchem Irrsinn sprechen Sie?
w/z: Jonathan Meese sagt: Das Arbeitslager der Weltdiktatur der Demokratie sei so riesig geworden, dass wir es nicht mehr als Arbeitslager wahrnehmen. Von dieser Art Irrsinn, dem alltäglichen, dem wir, abgestumpft, anheim gefallen sind.
w/z: Das klingt extrem ...
w/z: Vielleicht ist das etwas zugespitzt formuliert, aber die Akzeptanz der Bürger dem System gegenüber ist nachweisbar hoch, auch wenn die Wahlbeteiligung sinkt. Der Homo oeconomicus ist im Zuge seiner Effizienzsucht sukzessive in einen Anything-goes-noch-besser-und-flacher-Modus eingestiegen und ist dabei, die Mitte, wie auch jede kleinste Nische der Gesellschaft, mit dieser schalen Mehrheitensuppe anzufüllen.
w/z: Was meinen Sie konkret?
w/z: "Alternativlose" Produktionsprozesse, konsumistische Freizeitzwänge, leere Signifikanten in Politik, Werbung und Kriegsrethorik. In der alltäglichen Geräuschkulisse der heutigen Welt findet sich das Material für diese Radio-Oper.
w/z: Und das ist DADA?
w/z: Dada ist für uns vor allem Rebellion gegen den Sinn. Zwei Beispiele: Was für einen Sinn hat eine Demokratie, in der das Hauptziel zu sein scheint, dass 5 Prozent der Bevölkerung über 50 Prozent des gesamten Vermögens eines der reichsten Länder der Welt verfügen. Tendenz steigend! Um Gewinne zu erzielen, werden Waffen an Krisenländer geliefert, dafür kommen Flüchtlingsströme in der Gegenbewegung von dort zu uns zurück. Das läuft immer mehr auf eine Diktatur des Kapitals hinaus, die den ganzen Laden in eine lobbygesteuerte Effizienzmaschine verwandeln will. Demokratie als Diktatur. Ein paradoxer Zustand. Wo ist da noch der Sinn? So gesehen ist alles, was uns umgibt, gegen den Sinn. Also DADA.
w/z: Aber sind Sie als Kulturschaffende mit öffentlich-rechtlichem Auftrag nicht Teil des Systems?
w/z: Natürlich. Wir sind Oberdada. Hochdada, Salondada, wenn Sie so wollen, wir können uns eingraben lassen, oder wir versuchen Mal, noch etwas in Erinnerung zu rufen, etwas, das den Menschen auch ausmachen könnte. Nicht alles muss Sinn produzieren. In der "Unterhaltung mit künstlerischen Dingen" ist der Mensch ein spielender Mensch. Er sammelt DADA auf der Straße, er pflückt es in Häusern und Wohnungen, steckt DADA in den Mixer und was kommt heraus? DADA-Salat. Und damit haben wir uns beschäftigt. In engmaschigen Audio-Collagen spannen wir einen Bogen von Hugo Balls Lautgedichten zu digitaler Kombinatorik, von Rimbaud und Jarry zur Hauntologyströmung, von Schriften Jonathan Meeses und John Bocks zu DADA-Salat. Von Emmy Hennings Chansons zu a 21st century amalgam of minimalist Krautrock, dubwise, beat-drenched electronica, and basement-deep, low-frequency future funk and chicago footstep vocal-loops.
w/z: Lieber wittmann/zeitblom, wir danken Ihnen für das Gespräch, wir freuen uns schon auf das Ergebnis.
w/z: Danke. Gerne. Einen schönen Tag noch.

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Gadji Beri # 2016
DADA-Radio-Oper
Von wittmann/zeitblom
Gegenwärtige Kunstrevolten, Rebellionen gegen den Sinn, Utopien zur Rettung der missbrauchten Sprache, das Beleuchten alternativloser Produktionsprozesse und konsumistischer Freizeitzwänge, sowie das Aufdecken und Umdeuten leerer Signifikanten in Politik, Werbung und Kriegsrethorik: Homo oeconomicus meets gadji beri bimba gandridi laula lonin cadori. In der alltäglichen Geräuschkulisse der heutigen Welt findet sich das Material für diese Radio-Oper. wittmann/zeitblom spannen in engmaschigen Audio-Collagen einen Bogen von Hugo Balls Lautgedichten zu digitaler Kombinatorik, von Baudelaire, Rimbaud, Marinetti, Jarry zur Mark Fishers aktueller Hauntologyströmung und den Schriften von Jonathan Meese und John Bock, von Emmy Hennings Chansons zu sinistrer Dub-Electronic und Vocal-Loops alá Chicago Footstep, von futuristischen Manifesten zu künstlerisch-politischen Aktionen der virtual community. 100 Jahre nach DADA: DADA!
Mit: Dirk von Lowtzow, Jule Böwe, Trystan Pütter, Alice Dwyer, Cobra Killer
Musiker: Jochen Arbeit, Achim Färber
Produktion: DLF/NDR/SWR/WDR 2016
Länge: ca. 53'00
Ursendung

zeitblom lebt in Berlin. Als Bassist, Komponist und Produzent realisiert er mediale Installationen, Hörspiel-, Theater-, Ballett- und Filmmusiken und tritt in verschiedenen Gruppierungen als Live-Musiker auf. Zahlreiche Veröffentlichungen und Konzerte im In – und Ausland.

Christian Wittmann lebt in Berlin. Nach einem Schauspielstudium in München arbeitet er als Schauspieler für Stadt- und Staatstheater in München, Düsseldorf, Bremen, Lübeck, Zürich, Wien und Berlin und im TV- und Hörfunkbereich.

Wittmann/zeitblom realisieren seit 2011 Audio- und Performanceprojekte zwischen experimenteller Musikcollage und Radio-Oper.

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