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100 Jahre Hamburger Stadtpark
Betreten erwünscht!

Ein Park für alle: Der Hamburger Stadtpark war schon bei seiner Gründung vor 100 Jahren kein gewöhnlicher Park. In einer Zeit, als es vor allem fürstliche Gärten gab, versprach das Areal den Aufbruch in eine neue Zeit: gärtnerisch, architektonisch, sozialpolitisch.

Von Ursula Storost | 03.07.2014
    Das Parkcafé am großen See im Stadtpark Hamburg auf einer undatierten Aufnahme
    Das Parkcafé am großen See im Stadtpark Hamburg auf einer undatierten Aufnahme (Hamburg Museum)
    Alfred Lichtwark, Kunsthistoriker, Pädagoge und erster Direktor der Hamburger Kunsthalle wusste schon 1908, was Hamburg fehlte:
    "Wir brauchen einen Park, der bei jedem Wetter und auch im Winter die ganze Bevölkerung dauernd anzieht und festhält, der eine reiche Quelle edler Lebensfreude bietet."
    Ein Park für alle. Damals eine neue, revolutionäre Idee, resümiert Dirk Schubert, Professor für Stadtteilentwicklung an der Hamburger HafenCity Universität und Vorsitzender der Fritz-Schumacher-Gesellschaft:
    "Also bis dahin galt es immer für die betuchten Schichten einen Park zu kreieren, in dem man flanieren konnte und sich zur Schau stellen konnte."
    Parks, so der Soziologe und Stadtplaner, wurden bis dahin vor allem von Adeligen angelegt. Sie sollten schön sein, die Seele erbauen. Landschaftsgemälde in 3D, in denen Damen mit Sonnenschirmchen an der Seite gut gekleideter Herren promenierten. Schubert:
    "Der Aspekt der Nutzbarkeit, der spielte eigentlich kaum eine Rolle. Und in dem Zusammenhang kommt ja dann auch der Begriff des Volksparks auf. Also das heißt, es geht darum, für alle Schichten der Bevölkerung Freiräume zur Verfügung zu stellen, Grünflächen zur Verfügung zu stellen, die eben nicht nur zum Flanieren, sondern zur Erholung, zur Aneignung dieses Grüns genutzt werden konnten."
    Licht, Luft und Sonne für alle. Das hatte Hamburg damals bitter nötig. Zitat Alfred Lichtwark 1895:
    "Der Hamburger fragt sich, ob seine Vaterstadt, wenn nicht ein großer Stadtpark geschaffen wird, auf Dauer bewohnbar bleibt."
    Mehr Grün für die Gesundheit
    Hamburg war Ende des 19. Jahrhunderts in kürzester Zeit zu einer Millionenstadt explodiert. Mit verheerenden Folgen, sagt der Museumspädagoge Nils Jockel vom Hamburg Museum. Er hat eine Ausstellung zum Stadtpark konzipiert:
    "Es gab einfach eine unendliche Luftverschmutzung. Ein Drittel der Tage des Jahres gab es hier Nebel durch Emissionen verursacht. Es gab schlechtes Trinkwasser, es gab extrem beengte Wohnverhältnisse. Es brauchte also dringend irgendeine Maßnahme, um in großem Stil für die so rasch angewachsene Bevölkerung für mehr und bessere Gesundheit zu sorgen."
    Und der Infektiologie Robert Koch entsetzte sich 1892:
    "Ich vergesse, dass ich in Europa bin. Ich habe noch nie solche ungesunden Wohnungen, Pesthöhlen und Brutstätten für jeden Ansteckungskeim gesehen wie hier."
    1892 war in den Armenvierteln eine Choleraepidemie ausgebrochen. 8600 Menschen starben. Gesundheit wurde zu einem drängenden Thema, sagt Heino Grunert, wissenschaftlicher Angestellter in der Behörde für Stadtentwicklung. Sein Schwerpunkt: historische Gärten:
    "Wir hatten damals ja auch sehr viele Tuberkulosefälle, weil die Luft in den Städten so schlecht war. Es ging schlicht darum, der Bevölkerung, die ja zum Teil in sehr eng bebauten Wohnquartieren lebte, Lebensraum zur Verfügung zu stellen und die Stadt damit auch zukunftsfähig zu machen."
    Die enge Stadt des 19. Jahrhunderts hatte keine Zukunft mehr, so Heino Grunert:
    "Man musste sich erweitern, vergrößern. Und hat dann wirklich auch städtebaulich darauf auch reagiert. Und die Stadt viel luftiger gebaut. Mit breiteren Straßenzügen und mit vielen Parkanlagen."
    Das städtische Grün bekam einen völlig neuen Stellenwert, erklärt der Stadtplaner Dirk Schubert:
    "Es gab kurz nach der Jahrhundertwende eine Reihe von wissenschaftlichen Publikationen, die belegt haben, dass der Mensch um gesund aufzuwachsen bestimmte Grünflächen benötigt. Und da kommt eben diesem Grün eine ganz große kompensatorische Bedeutung zu."
    Die profitorientierten Hamburger Pfeffersäcke waren von solchen Ideen zunächst wenig begeistert. Erst nach und nach fanden sich immer mehr Befürworter. 1902 gab der Hamburger Senat dem öffentlichen Druck nach und kaufte das ehemalige Jagdgelände des Goldschmieds Adolph Sierich in Hamburg Winterhude. Zunächst folgte ein langwieriger Streit, um die Ausgestaltung des Parks. Bis 1912 Fritz Schumacher als Oberbaudirektor nach Hamburg berufen wurde, sagt Dirk Schubert:
    "Er hat dann das Ganze umgestaltet und versucht kleinräumliche Bereiche mit unterschiedlichen Nutzungsoptionen einzuführen. Also einen Kaffeebereich, einen Sportbereich, unterschiedliche Aufenthaltsbereiche, Planschbecken und Ähnliches Also für verschiedene Ziel- und Nutzergruppen unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten."
    Der Stadtpark als sozialer Park
    Fritz Schumacher und der Ingenieur Ferdinand Sperber konzipierten damit erstmals einen Park für alle, für Groß und Klein. Einen sozialen Park, so der Gartenhistoriker und Präsident der Gesellschaft für Garten- und Landschaftskultur Dr. Klaus-Henning von Krosigk:
    "Eltern mit ihren Kindern, die ja gar keine Möglichkeit hatten. Wo sollten die hingehen zum Spielen. Sie konnten auch gar nicht reisen. Und insofern haben diese Grünanlagen die besonders hohe soziale Funktion, das waren Ausgleichs- und Ersatzflächen für Spiel, Sport, Spannung, und zwar bezahlbar und erreichbar."
    1910 erfolgte der erste Spatenstich für den neuen Stadtpark. Damals noch gegen den Widerstand einiger Stadtplaner. Das, so Dirk Schubert waren in Hamburg vor allem Ingenieure, so Dirk Schubert. Und denen ging es um technische und nicht um soziale Gesichtspunkte:
    "Der Konflikt lässt sich illustrieren an den Wohngebieten. Also vor dem Ersten Weltkrieg gab es in Hamburg eine Bauordnung, die dazu führte, dass die Wohnquartiere sehr eng und sehr dicht überbaut wurden mit den sogenannten Schlitzbauten und mit den Terrassenbauten. Und Schumacher hat dieser Bauweise den Kampf angesagt, wie er es selber formuliert hat, indem er eben meinte bei gleicher Ausnutzung des Bodens, sei es möglich, bessere und gesündere Wohnungen und Wohnquartiere zu bauen."
    Die Bedürfnisse der einfachen Menschen, der Arbeiter und kleinen Angestellten, rückten in das öffentliche Interesse. Dirk Schubert:
    "Aber auch ein anderes Verständnis vom Stellenwert des Stadtplaners. Eben insofern als der Stadtplaner nicht nur für ästhetische und technisch funktionierende Quartiere, Siedlungen, Parks usw. zuständig ist, sondern dass sein Anspruch weiter geht. Eben in Sachen sozialer Reformbewegung."
    Die Gesellschaft hatte sich verändert, konstatiert der der Landschaftsarchitekt Professor Hartmut Troll, Leiter der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg:
    "Stichwort Großstadt, Industrialisierung, ganz neue Fragen in den großen industrialisierten Städten. Und damit ein ganz neues Aufgabengebiet, was auch in der Architektur und auch in der Landschaftsarchitektur zu großen Verwerfungen führt. Und in solchen Gärten wie der Hamburger Stadtpark kulminieren diese Fragen an einem Projekt."
    Demokratie und Kultur
    Es ging um den sozialen Park. Und damit um Demokratisierung, resümiert Hartmut Troll:
    "Das ist eine neue Zeit, eine neue Zeit heißt natürlich Demokratie, Ende der Monarchie. Das ist ja in der Welt. Demokratisierung des Grüns ist sozusagen eine Kampfparole von dem Gartenreformer Leberecht Migge gegen die alte traditionelle Schule der Landschaftsgärtnerei."
    Den Pionieren des Stadtparks ging es auch um die Demokratisierung der Schönheit, sagt Heino Grunert. Davon zeugen nicht nur baumbestandene Alleen und Sichtachsen, sondern auch Tempelchen und wunderschöne Kuppelbauten aus Backstein:
    "Wir stehen hier im Trinkhallengarten, dem historischen Kurgarten. Einem Garten zum Wandeln. Und diese Trinkhalle, fertiggestellt 1916 ist eines der wenigen Gebäude, was den Krieg unbeschadet überstanden hat. Hier war früher tatsächlich ein Mineralwasserausschank. 30, 40 Wässer konnten hier getrunken werden. Man konnte eine Brunnenkur machen. Man ging hinterher zum Kurfrühstück ins Landhaus Walter zum Konzert und anschließend ins Büro."
    Überall im Park wurden Skulpturen zeitgenössischer Künstler aufgestellt. Heino Grunert zeigt auf die Bronze einer leicht geschürzten Dame mit zwei Hunden:
    "Wir stehen hier vor der Diana mit den Hunden. Einer Skulptur, die von Oscar Troplowitz gesponsert worden ist. Troplowitz war damals Direktor von Beiersdorf. Das zeigt auch, dass die Größen der Zeit damals, ob aus der Wirtschaft oder aus der Politik sich für den Stadtpark nennenswert engagiert haben."
    Kunst, Kultur und Bildung für alle. Das war eine der Ideen, die im beginnenden 20. Jahrhundert Verbreitung fanden, so Grunert:
    "Man wollte den Bewohnern der Stadt, die nicht gewohnt waren, ins Museum zu gehen oder in eine Ausstellung zu gehen, die Kunst im Park halt zeigen, dass jedermann, jederfrau sich an diesen Objekten erbauen konnte. Also sicherlich auch ein pädagogischer Anspruch. Das ist gar keine Frage."
    Fritz Schumacher ist es zu verdanken, dass Hamburg zur Ausgestaltung des Stadtparks einen Gartenbaumeister bekam. Es war der Landschaftsarchitekt und Gartenreformer Otto Linne:
    "Unsere Parole im Kampf gegen die Gartenkunstbewegung muss lauten: Mit jedem, der ehrlich die freie und schöne Gartenkunst fördern will, gegen die Pfuscher, die Gleichmacher, die Rezepte- und Schablonenarbeiter in Unserer Kunst!"
    Linne setzte sich für abstrakte Kunst ein. Damals etwas Ungeheuerliches, erzählt Heino Grunert:
    "Beispiel ist die Haizmann-Skulptur, Richard Haizmann, das 'Fabeltier'. Das steht am Planschbecken. Das ist eine abstrakte Figur. Der Gartendirektor hat sich damals dann durchgesetzt und gesagt, das ist auch bespielbare Kunst, Kunst zum Anfassen. Er hat es zur Ausstellung gebracht und die Kinder liebten es. Und die Kinder lieben es auch heute noch."
    Frische Luft macht hungrig
    Attraktiv war auch die Gastronomie des Stadtparks. Von der Milchwirtschaft bis zur Stadthalle gab es für jeden Geldbeutel etwas Passendes. Ein wichtiger Bestandteil für Schumacher war die große Festwiese, mit weitem Blick zwischen dem Stadtparksee und dem heutigen Planetarium gelegen. So vielseitig für jedermann nutzbar wie der Park selbst.
    "Wenn Kinder dort rüber rennen wollen oder Hunde dort ausgeführt werden. Oder wenn Leute miteinander was spielen wollen. Aber eben auch für große organisierte Veranstaltungen. Kirchentage haben dort stattgefunden. Aber die Nazis haben natürlich auch so eine mächtige Kulisse vorgefunden, um ihre Ideologie dort in solche Massenveranstaltungen auch ausleben zu können."
    Auch eine damals ganz neue Sportart zog in den Stadtpark ein, sagt Nils Jockel, das Paddeln:
    "Es gibt ein wunderbares Lied aus dieser Zeit von den Brüdern Wolff, die ja hier in Hamburg auch als Volksmusiker ansässig waren, das Paddelboot. "
    Ein junges Liebespaar fährt allein im Paddelboot.
    "Und es beschreibt eigentlich genau die Situation, in der solche jungen Paare, die aus ihren beengten Wohnverhältnissen raus wollten. So ein kleines Boot ausliehen und dann zum Beispiel auf dem Stadtparksee und auf den Kanälen rumschipperten, einfach mal für sich sein konnten. Die halt einfach viel mehr Privatheit in die Öffentlichkeit tragen konnten. Das ist das Wesen dieser neuen Parks gewesen. Man konnte seine eigene Privatheit in der Öffentlichkeit ausleben. Etwas, was zuvor überhaupt nicht möglich war."
    Weg von den starren Konventionen des 19. Jahrhunderts, von den verstaubten Moralvorstellungen und dem bürgerlichen Duckmäusertum. Der Stadtpark wurde zum Symbol für den Aufbruch in eine neue Zeit. Nils Jockel:
    "Es gab dies große wirtschaftliche Wachstum einerseits und es gab daneben die vielen, die mit dem Aufkommen der Psychologie, mit der Emanzipation, einfach viele, viele Dinge neu wollten und neu forderten."
    Am 1. Juli 1914 wurde der Hamburger Stadtpark zu weiten Teilen freigegeben. Knapp einen Monat später begann der Erste Weltkrieg. Da war es erst mal vorbei mit Reformen und Vergnügen. Heute besuchen an den Wochenenden viele Tausend Menschen den Park. Sie joggen und grillen, spielen Fußball und Tennis, paddeln, baden, kehren ein, treffen Freunde. Aber, so Stefanie Hennecke, Professorin für Freiraumplanung an der Universität Kassel, der Park ist heute nicht besser als vor 100 Jahren.
    "Also wenn wir heute in Parkanlagen gehen, hat man eher das Gefühl, man hat doch wieder sehr viel mehr Regeln da, und was erst mal nicht erlaubt ist. Und wenn man die Bilder von damals sieht und auch die Unbekümmertheit, mit der da die Leute geplanscht, gebadet haben, auch mit der die Kinder nackt rumgelaufen sind, denkt man, da ist man heute eigentlich wieder ein bisschen von weggekommen."