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100 Jahre Verdun
Gedenken auf dem Schlachtfeld

Mit François Mitterrand und Helmut Kohl, Hand in Hand auf dem Schlachtfeld, wurde Verdun 1984 zu einem Symbol der deutsch-französischen Freundschaft und Versöhnung. Das soll auch am 100. Jahrestag im eigens erneuerten Memorial von Verdun spürbar werden.

Von Kathrin Hondl | 21.02.2016
    Helm eines deutschen Soldaten in der Ausstellung des Mémorial in Verdun
    Helm eines deutschen Soldaten in der Ausstellung des Mémorial in Verdun (dpa/picture-alliance/ Alexandre MARCHI)
    Eine Videoshow ist der Mittelpunkt der neuen Dauerausstellung im Mémorial von Verdun. 100 Quadratmeter groß ist das Bildschirmmosaik, auf dem die apokalyptische Gewalt des Schlachtfeldes eindrücklich vermittelt wird: Archivbilder zeigen die unter dem Granatenfeuer bebende Erde, Zeichnungen dokumentieren aus der Perspektive der Soldaten die Hölle in den Schützengräben.
    Schlachtfeldatmosphäre herrscht in der gesamten Ausstellung. Es ist dunkel. Die Besucher laufen über Glasplatten, unter denen, schwach beleuchtet, der schlammige, matschige Boden des Schlachtfeldes nachgebildet ist. Der hyperrealistische Dekor soll die real existierende Erde von Verdun ins Innere der Gedenkstätte transportieren, erklärt Kuratorin Edith Desrousseaux de Medrano.
    "So wird betont, dass die Erde unter unseren Füssen die Spuren der Schlacht in sich trägt. Und dass auch sie, direkt neben dem Mémorial besucht werden kann. Dieser Dialog mit dem Schlachtfeld war mir wichtig. Das Mémorial soll keine isolierte kleine Festung sein, sondern Offenheit signalisieren."
    Tatsächlich wirkte der Vorgänger/das Vorgängerkonzept eher wie eine massive Trutzburg. 1967 wurde auf Initiative französischer Kriegsveteranen ein bunkerartiger Betonbau gebaut. Zur Wiedereröffnung demonstriert nun das renovierte und erweiterte Mémorial auch architektonisch eine gewisse Durchlässigkeit. Ein neuer Überbau aus Glas und eine Terrasse bieten Ausblicke in die Landschaft, in der der Krieg tiefe, bis heute sichtbare Spuren hinterlassen hat. Das zeigte sich auch während der Bauarbeiten, erzählt Architekt Olivier Brochet:
    "Wir fanden Spuren des Trommelfeuers, Granaten, Geschosse und die sterblichen Überreste von deutschen und französischen Soldaten."
    Konzept der erneuerten Gedenkstätte ist es, den Besuchern "in den Fußstapfen" der Soldaten die "Hölle von Verdun" anschaulich zu machen. Gleich am Anfang zeigt ein Film die Vorbereitungen für die Kämpfe am 21. Februar 1916 im Wald von Caures.
    "Von der deutschen Frontlinie aus, 800 Meter vom Wald von Caures entfernt, wurden diese Bilder gemacht. Das ist eine neue Perspektive für uns. Früher war das hier ein rein französisches Museum. Da stand die französische Verteidigung im Mittelpunkt. Jetzt zeigen wir beide Sichtweisen."
    Sagt die Kuratorin. Und das ist auch, 100 Jahre nach der Schlacht, das große Novum im Mémorial von Verdun, so Thierry Hubscher, Direktor der Gedenkstätte.
    "Wir sind dem Gründergeist von 1967 treu geblieben und ehren den Kämpfer von Verdun. Mit dem großen Unterschied, dass wir ihn nun würdigen, gleich welcher Nationalität er ist. Verdun ist nun das Symbol der Grausamkeit des Ersten Weltkriegs."
    Denn auch wenn, auf dem Hügel gegenüber, im gigantischen Beinhaus von Douaumont, die Überreste von über 130.000 nicht identifizierten deutschen und französischen Soldaten ruhen – und davor neben der französischen auch die deutsche und die europäische Flagge gehisst sind: In Frankreich war Verdun lange Zeit vor allem ein nationaler Mythos, Symbol des couragierten Widerstands, der "union sacrée" gegen die deutschen Angreifer. "Ils ne passeront pas", hieß die legendäre Durchhalteparole – "Sie werden nicht durchkommen!"
    Leiden, Ängste, Kampf und Tod waren auf beiden Seiten dieselben – das ist die Botschaft des neuen Mémorial-Museums. Die Besucher werden nicht nur informiert sondern ganz gezielt auch emotional bewegt. Zum Beispiel wenn in einer Vitrine persönliche Glücksbringer der gefallenen Soldaten zu sehen sind: Ein silbernes Hufeisen mit dem Namen "Rose" neben der aus afrikanischen Stoffen gefertigten Talisman-Kette eines algerischen Kämpfers. Über Kopfhörer sind Augenzeugenberichte zu hören.
    "Wir haben drei Tage in Granattrichtern liegend verbracht und dabei dem Tod ins Auge gesehen. Ihn jeden Augenblick erwartet. Und dies ohne einen Tropfen Wasser zum Trinken und in einem fürchterlichen Leichengestank. Die eine Granate bedeckt die Leichen mit Erde. Die andere gräbt sie wieder aus."
    Das Mémorial von Verdun hat sich überzeugend von einer französischen zu einer deutsch-französischen Erinnerungsstätte erneuert. Reichlich spät zwar, aber möglicherweise ja auch gerade zur richtigen Zeit. Im Mai werden es Angela Merkel und François Hollande besuchen. Man kann nur hoffen, dass das mehr als nur ein leeres, pflichtschuldiges Ritual sein wird im immer uneinigeren Europa.