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100 Tage EU-Ratspräsident Tusk
Auf der Suche nach dem Ausgleich

Als ihr langjähriger Ministerpräsident Donald Tusk im Dezember neuer EU-Ratspräsident wurde, hofften viele Landsleute, dass nun eine polnische Note in die Verhandlungen mit Russland gelangen könnte. Deutlich sichtbare Akzente konnte der Pole bisher jedoch nicht setzen.

Von Florian Kellermann | 09.03.2015
    Der frühere polnische Ministerpräsident Donald Tusk, Polen
    Wie groß ist der Einfluss des EU-Ratspräsidenten Donald Tusk auf die deutsche Ukraine-Politik? (picture alliance / EPA / Olivier Hoslet)
    Nur einmal ließ EU-Ratspräsident Donald Tusk mit einer drastischen Aussage zum Ukraine-Konflikt aufhorchen. Das war Ende Januar, die Separatisten hatten gerade die Hafenstadt Mariupol beschossen. Die Raketen waren auf einem Markt eingeschlagen und hatten 31 Menschen getötet.
    Donald Tusk kommentierte über den Nachrichtendienst Twitter: "Wieder einmal hat Appeasement-Politik den Aggressor zu noch größeren Gewalttaten ermutigt." So mahnte Tusk eine härtere Gangart gegen die Separatisten und gegen Russland an. Aber sonst? Die Stellungnahmen von Tusk zur Ukraine klingen kaum anders als die von Angela Merkel. Beim jüngsten Besuch des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko in Brüssel sagte er:
    "Auch wenn die EU-Mitgliedsländer verschiedene Ansichten haben, stehen wir doch einmütig zusammen. Wir unterstützen Sie und die Ukraine bei Ihrem Bemühen um Frieden, um Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität. Europa wird vereint sein, auch dann, wenn eine stärkere Reaktion nötig wird und mehr Unterstützung, um die Ukraine wieder aufzubauen."
    Tusk will härtere Gangart gegen Separatisten und Russland
    Zu möglichen Waffenlieferungen an die Ukraine, die manche in Polen fordern, äußerte Tusk sich nicht. Als die Separatisten die Stadt Debalzewe eroberten, trotz des Waffenstillstandes, drohte er eher zaghaft mit neuen Sanktionen gegen Russland.
    Manchen Kommentatoren in seiner polnischen Heimat ist das nicht genug. "Das haben wir uns anders vorgestellt", titelte die konservative Tageszeitung "Rzeczpospolita". Sie zitierte Experten mit dem Hinweis, dass der EU-Ratspräsident bisher auf eine große Rede zur Ukraine-Krise verzichtete. Tusk stehe nur in zweiter Reihe, monierte die Zeitung.
    Polnische Experten halten diese Kritik für nicht berechtigt. Slawomir Debski, Leiter des Zentrums für polnisch-russischen Dialog und Verständigung:
    "Die Handschrift von Tusk in der EU-Politik ist sichtbar, wenngleich eher auf Expertenebene. Sein Gefühl für die Ukraine beeinflusst die Dynamik der politischen Beratungen. Es macht einen Unterschied aus, welche Texte man zu lesen gibt, worauf man hinweist. Die EU ist auf einen Konsens ihrer Mitgliedstaaten angewiesen. Gute Argumente zählen da viel."
    Debski erinnert daran, dass Deutschland ein neues Russland- und Osteuropa-Institut gründen will - und damit in die Fußstapfen Polens trete. Das dortige Zentrum für Ost-Studien gibt es seit 25 Jahren.
    Als polnischer Ministerpräsident bemüht um Ausgleich mit Russland
    Ähnlich argumentiert Eugeniusz Smolar, ehemaliger Vorsitzender des Zentrums für internationale Beziehungen in Warschau. Tusk spiele eine wichtige Rolle bei den Verhandlungen zwischen den Staats- und Regierungschefs, ohne dass dies jemals publik würde. Als Beispiel nennt er das Projekt einer europäischen Energieunion. Sie soll die Position der kleineren, östlichen EU-Mitglieder stärken, die stark von Gaslieferungen aus Russland abhängig sind:
    "Die Idee einer solchen Energieunion stammt von Tusk. Das Strategiepapier, das die EU-Kommission vor kurzem dazu vorgelegt hat, ist jedoch viel bescheidener als seine Pläne. Den gemeinsamen Einkauf von Gas sieht es nicht vor, lediglich regionale Zusammenarbeit. Tusk hat hier interveniert und wirbt bei den Staats- und Regierungschefs für seine Position. Beobachter bemerken das, aber in der Zeitung steht es nicht."
    Tusk ist nicht nur deshalb zurückhaltend, weil er EU-Ratspräsident ist. Auch als polnischer Ministerpräsident bemühte er sich um einen Ausgleich mit Russland. Nach seinem Amtsantritt 2007 zog er das polnische Veto gegen einen neuen Partnerschaftsvertrag zwischen der EU und Russland zurück. Daran erinnere sich die russische Führung noch, so Andrej Kortunow, Direktor des russischen Rats für äußere Angelegenheiten:
    "Tusk wurde in Russland eher positiv aufgenommen, vor allem nach dem Absturz eines polnischen Regierungsflugzeuges in Smolensk vor fünf Jahren. Tusk traf sich damals am Unglücksort mit Wladimir Putin, der zu der Zeit russischer Ministerpräsident war. Weit negativer als er werden in Russland US-Politiker gesehen."
    Wie US-Präsident Barack Obama, den Tusk heute besucht. Mehr zum Meinungsaustausch, als um konkrete Schritte zu beraten, meinen polnische Experten. Wichtigste Aufgabe des EU-Präsidenten werde es in ihren Augen sein, für eine gemeinsame Haltung der EU auch mit dem transatlantischen Partner zu sorgen.