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100 Tage Jamaika in Schleswig-Hostein
Alle haben sich lieb

Während auf Bundesebene eine mögliche Jamaika-Koalition verhandelt wird, schaut man mit großem Interesse nach Kiel. Dort zieht die neue Jamaika- Koalition nach 100 Tagen Bilanz. Die Koalitionspartner betonen die gute Atmosphäre im Dreierbündnis. Kritiker monieren jedoch, dass inhaltlich nicht viel passiert sei.

Von Johannes Kulms | 06.10.2017
    Die Verhandlungsführer der schleswig-holsteinischen Koalitionsverhandlungen, (l-r) Heiner Garg (FDP), Monika Heinold (Bündnis 90/Die Grünen) und Daniel Günther (CDU), hantieren am 16.06.2017 in Kiel (Schleswig-Holstein) mit den Koalitionsverträgen.
    "Still ruht der See": Die Verhandlungsführer der schleswig-holsteinischen Koalitionsverhandlungen, FDP, Bündnis 90/Die Grünen, CDU in Kiel bei der Unterzeichnung der Koalitionsverträge (dpa/picturealliance/Carsten Rehder)
    Es ist Zufall, und passt doch irgendwie ins Bild: Am Mittwoch kam der scheidende Bundestagspräsident Norbert Lammert zu einer Preisverleihung nach Kiel. Gestern traf wiederum Bundespräsident Frank-Walther Steinmeier zum Antrittsbesuch ein. Und die Medien? Die haben sowieso ein besonderes Interesse an Wolfgang Kubicki, Robert Habeck und Daniel Günther. Sie allesamt sind gefragte Interviewpartner in diesen Tagen, wo geschaut wird, ob Jamaika im Norden das Zeug zum Vorbild hat für ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen im Bund.
    Hat er, Daniel Günther, den Eindruck, dass er als Ministerpräsident zusammen mit seinen Kabinettskollegen gerade mehr Zeit mit Interviews verbringt, als damit, das Land zu regieren?
    "Nein, das wäre auch schlecht, wenn das so wäre. Aber natürlich gehört die Arbeit mit Journalisten auch dazu - sonst würden wir beide ja auch nicht miteinander reden."
    Jamaika als Vorbild für den Bund?
    Daniel Günther sitzt in seinem Büro in der Staatskanzlei, vor seinem Fenster liegt die verregnete Kieler Förde. Seit genau 100 Tagen ist der 44-Jährige nun Regierungschef in Schleswig-Holstein. Es laufe gut, findet der CDU-Politiker. Es gehe es voran, zum Beispiel beim Thema G9 - dem Abitur nach 13 Jahren, für das die CDU im Wahlkampf laut getrommelt hat. Und auch, wenn die Unterschiede zwischen den Parteien in Berlin größer seien, tauge Jamaika in Kiel durchaus als Vorbild für den Bund, sagt Günther.
    "Dieser gegenseitige Respekt, den wir persönlich untereinander haben, aber auch dieses Verständnis, dass wir eben unterschiedliche Parteien sind. Und 'ne Koalition nur funktionieren kann, wenn jede Partei auch die für sie wichtigen Projekte in eine solche Koalition einbringen kann."
    Die Opposition sieht das erwartungsgemäß anders. Viel passiert sei in der Jamaika-Koalition noch nicht, findet Lars Harms, der Vorsitzende des SSW im Landtag - der Partei der dänischen und friesischen Minderheit. Auch die ebenfalls frisch in die Opposition verbannte SPD wirft dem Dreierbündnis Stillstand vor.
    "Mangelnde Substanz": Kritik von der SPD
    Fraktionschef Ralf Stegner sieht Versäumnisse im Wohnungsbau, ein Durchpeitschen der Schulreform und bedenkliche Verzögerungen bei der Überarbeitung der für Schleswig-Holstein wichtigen Frage, wo künftig Windkraftanlagen stehen dürfen. Stegners Eindruck:
    "Still ruht der See. Aber zugegebenermaßen mit freundlicher PR, wie lieb die sich alle haben, wie toll das ist, das kann man jeden dritten Tag hören und lesen. Da bin ich auch neidfrei, das ist in Ordnung. Aber die Substanz jedenfalls gibt das nicht her."
    Sicher ist: Den großen Krach hat das Jamaika-Bündnis bisher noch nicht erlebt. Allerdings gerieten binnen weniger Tage zweimal FDP und Grüne aneinander. Der FDP-Wirtschaftsminister Bernd Buchholz hatte für Irritationen gesorgt, weil er sich sowohl beim Thema Grunderwerbssteuer als auch beim Landesmindestlohn plötzlich für FDP-Positionen aussprach, die so gar nicht im Koalitionsvertrag vereinbart waren. Monika Heinold von den Grünen sagt rückblickend:
    "Es geht drum, dass wir als grüne Partei deutlich machen, dass wir erwarten, dass sich alle an den Koalitionsvertrag halten, das ist die Grundlage. Unabhängig davon muss sich aber jede Partei auch als Partei profilieren können - das üben wir noch miteinander ein."
    Auf Bundesebe geht es "Krieg und Frieden"
    Heinold ist seit fünf Jahren Schleswig-Holsteinische Finanzministerin. Ein Amt, das sie auf Bundesebene auch ihrer Partei empfehlen würde, sofern es denn in Berlin zu Jamaika kommt.
    Doch das dürfte schwer werden, denn viele gehen davon aus, dass die FDP in der Bundesregierung das Finanzressort besetzen würde.
    Heiner Garg war für die FDP der Verhandlungsführer, im Kieler Kabinett kümmert er sich um das Ressort Gesundheit und Soziales. Er habe inzwischen ein Urvertrauen zu Ministerpräsident Daniel Günther und den grünen Kollegen, sagt Garg. Und freue sich doch darüber, dass die Landesregierung bei strittigen Fragen im Bundesrat sich auch mal enthalten könne.
    "Das kann der Bund schlecht, wenn er über die künftige Europapolitik beispielsweise einen gemeinsamen Weg suchen muss. Ich will das nicht überhöhen und sagen, auf Bundesebene geht es im Zweifel auch mal um Krieg und Frieden, auch wenn ich glaube, dass da ein Körnchen Wahrheit dahinter steckt. Aber es ist mit Sicherheit unbestritten, das es noch mal schwerer wird als in Schleswig-Holstein."
    Doch zunächst einmal müssen die Kieler einen Weggang verarbeiten: FDP-Mann Wolfgang Kubicki wechselt nach Berlin. Auch ein Wechsel vom Grünen-Politiker Robert Habeck scheint weiterhin möglich.