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100 Tage Michael Müller
Ernsthaft, nüchtern, sachorientiert

Michael Müller ist seit 100 Tagen der amtierende Regierende Bürgermeister von Berlin. In seinen politischen Positionen weicht er kaum von Vorgänger Klaus Wowereit ab - und doch wird die Hauptstadt plötzlich spürbar anders regiert.

Von Claudia van Laak | 19.03.2015
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD).
    Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD). (Imago / Metodi Popow)
    "Ladies and Gentleman, he´s the number one top bear.
    Please welcome the governing Mayor of Berlin, Mr. Michael Müller "
    Das Lächeln breit, die Ohren knallrot - Michael Müller ist da angekommen, wo Klaus Wowereit schon immer war: bei den Stars und Sternchen der Berlinale.
    Müller genießt den Applaus bei der Eröffnungsgala. Party feiern bis zum Abwinken, das hatte man seinem Vorgänger immer vorgehalten. Ihn aber auch gleichzeitig dafür bewundert, wie er locker-flockig mit den Hollywood-Stars plauderte, immer einen kessen Spruch auf den Lippen.
    Kess ist er nicht, der Nachfolger. Stattdessen ernsthaft, nüchtern, sachorientiert. Den Berlinerinnen und Berlinern hat er "Gutes Regieren" versprochen.
    "Es ist nun mal wichtig, wie sieht die Schule in der Nachbarschaft aus. Komme ich sicher über die Straße. Habe ich barrierefreie Zugänge zum ÖPNV. Habe ich einen guten Arbeitsplatz, von dem ich gut leben kann in unserer Stadt. Und das meine ich. Diese Ausgewogenheit von großen und kleinen Themen und sich darum kümmern, was die Menschen tagtäglich bewegt. Das ist für mich gutes Regieren."
    Bürgernähe verordnet
    Der Rathaussaal in Berlin-Hellersdorf. Vor den Stuhlreihen eine aufgespannte Leinwand mit der Silhouette Berlins in blau und weiß, darüber vier Worte: Michael Müller vor Ort. Er hat seinen Senatoren für die nächsten Monate Bürgernähe verordnet - der Senat wird regelmäßig in den Bezirken tagen. Michael Müller geht mit gutem Beispiel voran, hat eingeladen zur Bürgerversammlung. Moderator und Conférencier: Er selber.
    Herzlich Willkommen hier zu unserem gemeinsamen Gespräch. Herzlich willkommen in Marzahn-Hellersdorf kann ich ja gar nicht sagen, denn ich bin ja hier zu Gast. Bei diesem Bezirkstag, den der Senat hier heute hier verabreden konnte....
    Es gibt keine Tagesordnung und keine langen Statements, verspricht der 50Jährige, seine die linke Hand steckt locker in der Tasche der dunkelblauen Anzughose. Später wird er sich auf den Tisch setzen und mit den Beinen schlenkern.
    Lehrer des Otto-Nagel-Gymnasiums melden sich zu Wort, klagen über die seit drei Jahren geschlossene Turnhalle und darüber, dass ihre Schule auf zwei Standorten verteilt ist. Eine Rentnerin möchte einen behindertengerechten Zugang zum Friedhof, eine andere beschwert sich über Lärmbelästigung durch die Discounter in ihrem Wohngebiet. Michael Müller hört geduldig zu, lobt das Engagement von Bürgerinitiativen.
    "Einbringen kann man sich immer und mit dabei sein. Ein gutes Zusammenleben organisiert sich nicht dadurch, dass die einen da oben irgendetwas machen und die anderen gucken nur zu, sondern wir gemeinsam."
    Müller übt Selbstkritik
    Sein unprätentiöser Stil kommt gut an an diesem Abend - Müller übt Selbstkritik, verspricht nicht das Blaue vom Himmel herunter, zeigt, dass er sich mit den Problemen des Bezirks auskennt.
    "Fand ich gut, er hat sehr geschickt auch auf kritische Beiträge reagiert und insofern sehr souverän gewirkt.
    Kann mich nur anschließen. Herr Müller hat immer ein überzeugtes Auftreten, ich bin stolz auf ihn als Bürgermeister unserer Stadt."
    Klein-Klein kann er also, aber was ist mit den großen Themen? Keine 24 Stunden vorher hat der SPD-Politiker die größte Niederlage seiner 100-tägigen Amtszeit einstecken müssen. Eine Klatsche für die Hauptstadt, die sich so sicher war, den Zuschlag für die Olympischen Spiele 2024 zu erhalten und dabei den Gegner Hamburg unterschätzte.
    "Der einmütige Vorschlag des DOSB-Präsidiums an Sport Deutschland lautet: Hamburg."
    Verkündete der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes Alfons Hörmann am Montagabend. Er kritisierte zwar nicht die Berliner Bewerbung, aber zwischen den Zeilen wurde klar: Dem DOSB fehlte die olympische Begeisterung in der Hauptstadt. Michael Müller etwas schmallippig an diesem Abend:
    "Ich glaube doch, dass bei vielen Kriterien, die eine Rolle gespielt haben, letztendlich für den DOSB sehr wichtig war, wie der Bevölkerungszuspruch war auf Grundlage dieser einen Umfrage, die es ja nur gegeben hat, und da lag Hamburg nun vorne. Es ist bedauerlich, dass offensichtlich die anderen Kriterien, insbesondere die Internationalität und die Sporterfahrung einer großen Metropole nicht entsprechend gewürdigt wurden. Das muss ich zur Kenntnis nehmen, aber Hamburg nun auch viel Erfolg wünschen."
    Seriöser und bodenständiger
    Die verkorkste Olympiakampagne, sie wurde zwar unter Wowereit gestartet, geht aber auch auf das Konto des neuen Regierenden Bürgermeisters von Berlin. Wäre mit dem Wowereit-Charisma mehr erreicht worden? Mit seinem berühmten Glamourfaktor? Nein, meinen die Besucher des Bürgerforums im Rathaus Hellersdorf.
    "Ich weiß nicht, ein bisschen weniger Glamour tut Berlin auch wahrscheinlich ganz gut."
    "Er wirkt zwar - negativ gesagt - etwas langweiliger. Positiv ausgedrückt würde man sage: seriöser und bodenständiger."
    Seriös und bodenständig - das Merkel-Prinzip regiert nun auch an der Spitze Berlins. Seit 100 Tagen.