Dienstag, 16. April 2024

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125. Geburtstag von Richard Huelsenbeck
Feind der organisierten Vernunft

Der Dadaist Richard Huelsenbeck war Akteur, Propagandist und Chronist der Kulturrevolte in einem. Ohne ihn wäre die avantgardistische Antikunst-Bewegung wohl in Vergessenheit geraten. Am 23. April 1892, vor 125 Jahren, wurde er geboren.

Von Carmela Thiele | 23.04.2017
    Zu sehen ist eine Installation des Grabes von Richard Huelsenbeck, dem Ur-Dadaisten. In diesem Jahr wird das hundertjährige Jubiläum des Dadaismus gefeiert.
    Eine Installation des Grabes von Richard Huelsenbeck. (Achim Hahn)
    "Soweit ist es nun tatsächlich mit dieser Welt gekommen
    Auf den Telegraphenstangen sitzen die Kühe und spielen Schach
    So melancholisch singt der Kakadu unter den Röcken der spanischen
    Tänzerin wie ein Stabstrompeter und die Kanonen jammern
    den ganzen Tag."
    Richard Huelsenbeck liest aus seinen "Phantastischen Gebeten". Zu Beginn des Ersten Weltkriegs entstanden, hielten sie der absurd gewordenen Welt den Spiegel vor. Die Tonaufnahme stammt aus den 50er-Jahren. Damals war der Autor schon längst nicht mehr Dada-Aktivist in Zürich oder Berlin, sondern Psychiater in New York. Hinter ihm lagen die Emigration aus Nazi-Deutschland und der Aufbau einer neuen Existenz.
    "Was mich gerettet hat, war die Tatsache, dass sich die Nazis nicht vorstellen konnten, dass der Begründer des Dadaismus Huelsenbeck und der Arzt Huelsenbeck derselbe Mensch sein könnte. Das dauerte eine Zeit lang, bis das in ihre Holzköpfe hineingeraten war."
    Der Sohn eines Apothekers wurde am 23. April 1892 in Frankenau, Hessen, geboren. Die Ödnis des Dorflebens hätte seine Mutter beinahe um den Verstand gebracht. Die Familie zog nach Dortmund, dann nach Bochum. Huelsenbeck studierte in München, Berlin, Zürich und Greifswald Medizin, sporadisch auch Kunstgeschichte und Literatur.
    Entstehung der Dada-Bewegung
    1913 verlebte er ein halbes Jahr in Paris, begeisterte sich für den Lebensstil der Künstler-Bohème. Zurück in München suchte er Gleichgesinnte und lernte den Theaterregisseur und Autor Hugo Ball kennen, den späteren Begründer des Cabaret Voltaire in Zürich.
    "Wir saßen alle im Café Stephanie zusammen. Es entwickelte sich da so etwas wie eine vordadaistische Stimmung, wir waren alles junge Leute, sehr revolutionär, ohne zu wissen was es bedeutet, ein Revolutionär zu sein. Wir waren unzufrieden, ohne ein Programm. Wir waren nicht politisch radikal, und wir waren auch nicht gesellschaftlich eigentlich radikal, aber wir wollten trotzdem etwas Radikales."
    Zwei Jahre später schrie Huelsenbeck – wild die Trommel schlagend – dem Publikum des Cabaret Voltaire seine "Phantastischen Gebete" entgegen und wurde Mitbegründer der Zürcher Dada-Bewegung.
    "Wir waren alle Feinde der organisierten Vernunft, wenn ich es so ausdrücken darf. Ich bin ja so oft gefragt worden, was der Dadaismus bedeutete. Dada bedeutet nichts. Aber er bedeutet zu gleicher Zeit doch eben ein Eintreten für die Kreativität, für die Unbefangenheit, für das Nichtvernünftige im Sinne einer positiven, antizerstörerischen Haltung."
    Die Gruppe existierte nur wenige Monate, die Idee Dada jedoch gelangte über die Dada-Freunde in die ganze Welt, nach New York und Paris. Huelsenbeck gründete Dada Berlin. In Zürich waren seine "Gebete" illustriert mit abstrakten Holzschnitten von Hans Arp erschienen. In Berlin gab er eine zweite, erweiterte Ausgabe heraus, begleitet von gesellschaftskritischen Zeichnungen von George Grosz. Dada wurde politisch.
    "Ich halte den Krieg und den Frieden in meiner Toga
    aber ich entscheide mich für den Cherry-Brandy flip
    Heute weiß keiner ob er morgen gewesen ist
    Mit dem Sargdeckel schlägt man den Takt dazu."
    Zyniker, Dandy, Bürgerschreck
    Der damals 26-Jährige gab sich als Zyniker, Dandy, als Bürgerschreck. Er verfasste absurde Novellen, "Azteken oder die Knallbude" und "Die Verwandlung". Zwischen 1918 und 1920 veranstaltete Dada Berlin Soireen, Ausstellungen, eine Tournee. Huelsenbeck brachte typografisch bahnbrechende Dada-Publikationen heraus, die von John Heartfield gestaltet wurden.
    Trotz seiner atemlosen Dada-Aktivitäten legte Huelsenbeck 1920 in Berlin seine ärztliche Prüfung ab und begann in Danzig sein praktisches Jahr. Dieser erste Schritt ins Berufsleben hielt ihn nicht davon ab, den Roman "Dr. Billig am Ende" zu verfassen, eine Groteske über Spießbürger und Kriegsgewinnler, die 1921 erschien.
    Dann wurde der selbsterklärte Welt-Dada Hapag-Schiffsarzt, heiratete und verfasste für große Zeitungen und Illustrierte Reisereportagen. Nach der Emigration aus Deutschland lebte Huelsenbeck bis 1970 als Charles R. Hulbeck in New York. Die letzten Jahre verbrachte er in Minusio im Tessin, wo er 1974 im Alter von 81 Jahren starb.