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14.4.1904 - vor 100 Jahren

John Gielgud, das war erst einmal eine Stimme. "Eine Stimme wie eine Trompete, die mit einem Seidenschal gedämpft wird", sagte Schauspieler Kollege Alec Guiness und als die BBC 1984 die Schöpfungsgeschichte fürs Radio produzierte, konnte die Wahl für die ersten Sätze der Bibel auf keinen anderen Sprecher fallen: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, die Erde aber war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe.

Von Matthias Thibaut | 14.04.2004
    Pointierte Konsonanten, lustvoll flektierte Vokale, wie Perlen tropften sie Gielgud aus dem Munde, der Schatz, mit dem er ein Leben lang wucherte. Aber es war die Stimme, die ihm am 21. Oktober 1953 fast zum Verhängnis geworden wäre. Zu seinem 100. Geburtstag ist ein Band mit Briefen erschienen, der zum erstenmal Licht auf sein Privatleben wirft, auch jene Episode, bei der Gielgud am Abend in einer öffentlichen Toilette in Chelsea wegen, wie man damals sagte, Unzucht verhaftet, dem Richter vorgeführt und zu 10 Pfund Strafe verurteilt worden war. Als Namen hatte der Schauspielstar Arthur Gielgud und als Beruf Angestellter angegeben. Ein verständnisvoller Polizist hatte ihm einen frühen Gerichtstermin besorgt, um die Sache möglichst aus der Presse herauszuhalten. Aber ein Reporter der Londoner Abendzeitung erkannte Gielgud - an der Stimme. Seine Schande war in allen Schlagzeilen.

    "Ich habe alle enttäuscht. Das Theater, mich, meine Familie - und alles nur wegen eines idiotischen, momentanen Impulses" schrieb er damals an den Fotografen Cecil Beaton. Doch als Gielgud dann nach London zurückkehrte und voller Angst zum erstenmal nach dem Skandal auf die Bühne trat - gab es noch vor dem Stück demonstrativ drei Minuten Beifall. Die Theaterwelt, die Schauspieler Kollegen und das Publikum hatten zu ihrem Star gehalten.

    Sein Leben lang blieb Gielgud ein diskreter, aber fröhlicher und unverklemmter Homosexueller. "Deutschland war außerordentlich. Ich habe das schlimme Viertel in Hamburg genossen" schreibt er 1955 und schwärmt von angenehmen Stunden zwischen den Mühen des König Lears und den langweiligen Empfängen der Deutschen mit ihren ewigen Reden.

    Gielgud prägte das englische Theater für vier Generationen. Zuerst war er, mit Laurence Olivier und Michael Redgrave, der große Shakespeare Schauspieler. "Olivier hüpft mit animalischen Riesenschritten von Ufer zu Ufer, Redgrave springt in die Stromschnellen und geht, normalerweise in Ufernähe unter. Aber Gielgud tanzt auf dem Seil über den Fluss und schwenkt den Sonnenschirm - schrieb der Theaterkritiker Kenneth Tynan.

    Mit 17 hatte er sein Debut am Old Vic, mit 21 spielte er den Romeo. Als Gielgud 1939 den Hamlet spielte, schrieben die Kritiker: Nie erklang Englisch schöner aus menschlichem Munde. Als er sich für die Rolle junger Shakespeare Helden zu alt fühlte - begann er mit Shakespeare Rezitationen und tat so mehr für die Shakespeare Renaissance auf dem modernen Theater als jeder andere. Er war Shakespeares Stimme und Lee Strassburg, der amerikanische Theaterguru schrieb: Man hört Shakespeare denken, wenn Gielgud eine Zeile spricht.

    Das Sonnett Numnmer 18. "Soll ich dich einem Sommertag vergleichen - Er ist wie du so lieblich nicht und lind; nach kurzer Dauer muss sein Glanz verbleichen, Und selbst in Maienknospen tobt der Wind...."

    Gielgud, ein unglaublich harter Arbeiter, stand nie still. In den sechziger Jahren brachte er als Schauspieler, Regisseur und Theaterunternehmer Tennesse Williams und Tschechow ins kommerzielle Londoner Westend. Dann wandte er sich der neuen Generation zu, Pinter, Storey, Alan Bennett. Als er 1981, eigentlich schon ein alter Mann, den Butler von Dudley Moores Arthur spielte und einen Oskar dafür bekam, begann seine späte Filmkarriere erst so richtig. Aus dem Shakespeare Helden war ein populärer Charakterschauspieler geworden, er konnte die Schulden für sein hübsches Landschlösschen Wootton in Buckinghamshire mit dem Geld von "Arthur" und horrenden Honoraren bezahlen, die er für Reklame Spots für Wein und Klopapier verdiente. Erst mit 92 sagte er: Zum erstenmal in meinem Leben habe ich keine Arbeit - und wurde ein paar Monate später für eine Filmrolle in "A Dance to the Music of Time" gebucht. Mit seinem Partner Martin Hensler lebte er in Wootton mit drei Hunden, zwischen Gartenstatuen und sorgfältig gepflegten Blumenrabatten. Als er am 21. Mai 2000 starb gab es in Londoner Theatern drei Schweigeminuten und die Lichter wurden verdunkelt.