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15.4.1924 - vor 80 Jahren

It was a good fortune I think, to establish the group at a time, when the long playing record was just beginning and most of the major record companies had no catalogue of chamber orchestral music…

Von Georg-Friedrich Kühn | 15.04.2004
    Man habe Glück gehabt, sagt Sir Neville Marriner auf die Frage, warum er und seine "Academy of St Martin in the Fields" so viele Platten machen und so berühmt hätten werden können. Es gab das neue LP-Format damals, und die Firmen brauchten Kammermusik für ihre Kataloge.
    Was Marriner auch half bei seiner Orchestergründung: In den Symphonie-Orchestern fanden sich viele Gleichgesinnte, Musiker, die frustriert waren von der Anonymität der großen Apparate und lieber solistisch arbeiten wollten. In einem Kammerorchester waren sie eigenverantwortlich.

    1959 war das. Sir Neville und seine Musiker waren Pioniere. Einige ihrer Aufnahmen wurden legendär wie diese mit Alfred Brendel. Geboren ist Marriner in Lincoln am 15.April 1924. Sein Studium führte ihn über London, Paris zu einem Experten der alten Musik, Thurston Dart. Marriner spielte in Quartetten, Trios, Orchestern, zumal der London Symphony. Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan wurden seine Leit-Sterne. Selbst erlernte er das Dirigieren bei Pierre Monteux, einem Musiker eher gegensätzlicher Prägung, sehr zurückhaltend, sehr ökonomisch in seiner Art.

    Most of the work is done at the rehearsals. The function of a conductor or music director is to establish a technical standard of performance …

    Das Meiste, sagt Marriner, müsse man als Dirigent in den Proben erledigen. Hauptaufgabe, wie er den Beruf versteht, ist es, die technischen Standards einer Aufführung zu setzen, die musikalischen Intentionen zu vermitteln.
    Eine kontinuierliche Arbeit wie mit der Academy machte es einem leichter. Aber Marriner hatte auch keine Schwierigkeiten mit fremden Orchestern, wo der Funke in den ersten Minuten springen muss.
    Und er sprang immer wieder. Einladungen kamen aus aller Welt. Los Angeles, Berlin, New York, Amsterdam, Dresden, Stuttgart waren einige Stationen. Anfangs sah man in ihm nur den Spezialisten fürs vorklassische Repertoire. Die Musik der Romantik und klassischen Moderne zu dirigieren, musste er sich erkämpfen. Auch die Oper rief mit Einladungen zu Festivals in Edinburgh oder Aix en Provence. Eine neue Erfahrung.

    Inzwischen tritt die Academy in sehr unterschiedlichen Besetzungen auf, vom kleinsten Kammermusik-Kreis bis zum Symphonie-Orchester mit Chor.
    Heute spielt man aus finanziellen Gründen öfter wieder in der Londoner Kirche, die dem Ensemble einst den Namen gab. Was dies Orchester unterscheidet von anderen mit ihren häufig wechselnden Dirigenten, ist der spezifische Klang, wie er nur wächst in einer längeren Bindung.
    Ob er selber noch mal die Perspektive wechseln und Geige spielen würde?

    No, strangely enough. I think played the violin for about 40 years. The last time I played it I was playing string quartets in Los Angeles with Jascha Heifetz and I thought that was a moment to put the violin aside…

    Ein striktes Nein ist Marriners Antwort. 40 Jahre habe er gegeigt, und als er einmal das Glück gehabt habe, mit Jascha Heifetz Quartett zu spielen, seien ihm die eigenen Grenzen bewusst geworden. Für Marriner war das der Moment, aufzuhören. Seine Geige verschenkte er an einen Jüngeren. Den Druck täglichen Übens war er los.

    Etwas ruhiger ist es mittlerweile um den heute 80-jährigen Ritter des Britischen Empire geworden. Die Konkurrenz im Bereich der vorklassischen Musik schläft nicht. Und in die so genannte "historische Aufführungspraxis" hat Marriner sich nie verbissen. Er wollte und will universaler Musiker sein.

    Musikausschnitte:

    MOZART, Klavierkonzert Nr.23 A-Dur KV 488
    Alfred Brendel, Academy of St Martin in the Fields, Marriner
    Philips 464 719-2, Track 9, (0’13")

    DVORÁK, Serenade for Strings, E-Dur, op.22, Finale
    Academy of St Martin in the Fields, Marriner
    DECCA 470 262-2, Track 5 (0’07”)

    GRIEG, Holberg Suite, op.30, Praeludium
    Academy of St Martin in the Fields, Marriner
    DECCA 470 262-2, Track 10 (0’25”)