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15 Jahre Bologna
Hohe Erwartungen, ernüchterndes Ergebnis

Studierendenzentriertes Lernen, kompetenzorientiertes Prüfen, mehr Mobilität bei der Hochschulwahl: Viel hatten sich Bildungsminister, Studierende und Dozenten vom Bologna-Prozess versprochen. Heute, 15 Jahre später, fällt das Fazit ernüchternd aus.

Von Axel Schröder | 19.06.2014
    Blick in einen Hörsaal.
    Der Bologna-Prozess: Viele Vorhaben, wenige Umsetzungen. (picture-alliance / dpa / Thomas Frey)
    "Lieber Bologna-Prozess! 15 Jahre alt wirst du heute, vor 15 Jahren standest du vor unserer Tür. Angetreten mit deinen ganzen guten Ideen, von denen wir gar nichts wissen wollten! Du hast die deutsche Hochschullandschaft umgekrempelt, damit wir schneller und besser lernen. Mühe hast du dir gegeben, konntest Fehler eingestehen und in einigen Punkten hast du dich wirklich verändert! Du kommst langsam auf die Beine, findet Katharina Marth vom Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften:
    "So langsam bewegen wir uns vom Krabbeln in Richtung: Wir können jetzt schon Schuhe anziehen und ein paar Schritte laufen. Aber so wirklich höhere Geschwindigkeit legt der Prozess ja gerade an den Hochschulen nicht an den Tag!"
    "Studierendenzentriertes Lernen" und "kompetenzorientiertes Prüfen" muss gefördert werden, erklärt Katharina Marth. Und das Versprechen, die Mobilität der Studenten innerhalb Europas zu erhöhen, wurde bis heute nicht wirklich eingelöst. Sagt eine Ethnologie-Studentin auf dem Hamburger Uni-Campus:
    "Ich war eine Zeit lang im Ausland, wo ich theoretisch auch im Bachelor studiert habe, aber die Sachen mir hier nicht angerechnet werden konnten, obwohl das ja gerade der Sinn der Sache war. Ich habe damit nicht so positive Erfahrungen damit gemacht."
    Und, lieber Bologna-Prozess, der "Blick über den Tellerrand", die Entwicklung von akademischer Persönlichkeit, gerät 15 Jahre nach deiner Ankunft viel zu oft unter die Räder:
    "Wir können uns gar nicht selber entfalten! Was im Plan steht, müssen wir machen. Und zwar so schnell wie möglich. Damit wir auch BAföG bekommen so lange und so weiter."
    Immerhin gibt es heute an den meisten Hochschulen genügend Master-Studienplätze für diejenigen, die nach dem Bachelor weiterstudieren wollen. Und die Entwertung von Studienabschlüssen wollen die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker stoppen. Der Bachelor soll vom Makel des "Schmalspur"-Studiums befreit werden, verlangt Hamburgs Wissenschaftssenatorin Dorothee Stapelfeld:
    "Es geht ja darum, auch wirklich ein Curriculum zu erhalten, das der Fachwissenschaft entspricht, aber natürlich auch die Absolventinnen und Absolventen ein Stück weit berufsfähiger macht."
    Und diese partielle Berufsunfähigkeit von Hochschulabsolventen beklagt ausgerechnet am Geburtstag des "Bologna-Prozesses" Professor Dieter Lenzen, der Hamburger Uni-Präsident:
    "15 Jahre Bologna-Prozess – das ist wahrlich kein Grund zum Feiern. Kontinentaleuropäische Politiker haben sich über den Tisch ziehen lassen und ein System eingeführt, was es jetzt nicht mehr ohne Weiteres erlaubt, das zu tun, wozu universitäre Bildung ursprünglich gedacht war. Nämlich Persönlichkeiten im akademischen Bildungsprozess entstehen zu lassen, die später in der Lage sind, schwierige Berufe auszuüben, Führungskompetenz zu haben, die Weltbürger sind, die Mitglieder einer Gesellschaft sind, in der Schlüsselfunktionen haben! Also: kein Grund zum Feiern."
    Rausschmeißen will dich, lieber Bologna-Prozess, aber auch Dieter Lenzen nicht. Du darfst bleiben. Vorausgesetzt, du bist offen für Kritik von allen Seiten. Und änderst dich.