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16. Afrika Film Festival
Fluchtgeschichten und Afrofuturismus

Von den 68 Millionen Flüchtlingen weltweit leben nur 17 Prozent in Europa. Der afrikanische Kontinent selbst beherbergt etwa die Hälfte aller Flüchtlinge. Dieser innerafrikanischen Migration widmete sich nun das größte afrikanische Filmfestival Deutschlands in Köln über zehn Tage.

Von Dorothea Marcus | 23.09.2018
    Blick auf das Flüchtlingslager Dadaab in Kenia
    Blick auf das Flüchtlingslager Dadaab in Kenia (dpa / picture alliance / Brendan Bannon)
    "Essen bekommst du hier. Und Wasser ist umsonst. Es ist nicht wie in Nairobi, wo du das Wasser holen musst."
    Das sagt tapfer der kleine Ali, als er den Filmemacher durch das Meer aus Zelten führt in Dadaab, Kenia, im größten Flüchtlingscamp der Welt.
    "Das ist S3, der Block der Sudanesen. Wir lieben einander. Alle hier sind Freunde".
    Der siebenjährige Ali, der auf der Flucht seine Mutter verloren hat, redet sich die Lage schön. Denn in Dadaab, 1991 gegründet, leben Hunderttausende Menschen in einer halb-urbanen Zeltsiedlung, die sie nie verlassen dürfen. Arbeiten und für sich selbst sorgen können sie nicht. Die dritte Generation wächst hier mittlerweile auf - ohne Aussicht auf Einbürgerung in Kenia, Menschen zweiter Klasse, zur Passivität verurteilt, im Provisorium ohne Perspektive.
    Flüchtlingscamps abschaffen
    "Eingelagert", "Warehoused", so heißt auch der Dokumentarfilm von Emanuel Asher, der unter die Haut geht. Der selten nahe Einblick in den Alltag eines Camps drückt nicht auf die Tränendüse, sondern zeigt, wie mit Radio- und Filmprojekten das Storytelling im Lager zum Ausweg wird, die eigene Stimme zu erheben. Den kleinen Ali gefilmt hat der Hauptdarsteller Liban Rasheed. Er kam mit vier Jahren nach Dadaab und lebte 20 Jahre ohne Familie hier - bis man zum Schluss sieht, wie er in die USA ausreisen darf. Vier Jahre lang hat Regisseur Emanuel Asher an "Warehoused" gearbeitet.
    "Wir sollten Flüchtlingscamps abschaffen. Alle Untersuchungen sagen: Flüchtlingen Arbeit zu geben, sie zu integrieren, ist für eine Wirtschaft gut und für ein Land leichter. Das Problem muss gelöst werden: in wenigen Jahrzehnten wird Subsahara-Afrika nicht mehr bewohnbar sein. Allein der Klimawandel wird Fluchtbewegungen immens verstärken. Wir müssen dringend über bessere Möglichkeiten nachzudenken, damit umzugehen."
    "Flucht tötet deine Intelligenz und dein Leben"
    Wie sich eine Flucht real anfühlt, könnte man hautnaher nicht erleben als im Film "Revenir" von David Fedele und Kumut Imesh. Imesh, politischer Flüchtling aus der Elfenbeinküste, der heute in Straßburg lebt, hat sich zurück in die Heimat begeben. Mit der Handkamera vollzieht der Computerfachmann Stationen seiner siebenjährigen Flucht nach, jobbt erneut als Straßenverkäufer und Maurer, interviewt auf der Reise gestrandete Flüchtlinge, oft obdachlos oder schwer traumatisiert. Bis er, kurz vor dem Weg durch die Wüste, selbst verhaftet wird, jene Folter und Willkür erlebt, die auf den Routen zum Alltag gehören - und kaum je nach außen dringen. Seine verzweifelten SMS aus dem Black gehören zu den bestürzendsten Filmabschnitten. Kumut Imesh ist fest entschlossen, einen zweiten Teil zu filmen - und in die Wüste zurückzukehren.
    "Du verlierst alles. Flucht tötet deine Intelligenz und dein Leben. Wir wollten mit dem Film das Bewusstsein schaffen: Gehe nicht, wenn du nicht unbedingt musst. Frauen sind noch viel schutzloser. Wenn man einen kleinen Teil des Geldes, das die EU zur Zeit in den Ausbau von Frontex steckt, direkt ihnen geben würde, 150 Euro reichen, um ein Geschäft zu eröffnen, würden sie es tun. Das ist einfach und würde Fluchtursachen an der Wurzel bekämpfen."
    Als weißer Alien in der Wüste
    "Revenir" wurde schon im Kongo, in Ghana, in Marokko gezeigt - und soll weiter durch Afrika touren. Doch bei weitem nicht alle Filme des Festivalschwerpunkts sind dokumentarisch. In "Frontières", Grenzen, zeigt die burkinische Regisseurin Apolline Traoré als Roadmovie, was vier Frauen so auf der Flucht erleben: Handel treibend, um zu überleben, durchqueren sie fünf Länder in sieben Tagen, erleben sexuelle Belästigung, Verbrechen, Willkür - und verlieren doch nie ihre resolute Lebensenergie.
    Dass trotz aller Probleme Afrika ein Kontinent mit Zukunft ist, voller Bodenschätze, Wirtschaftswachstum, zunehmend medial vernetzt und technologisch breit aufgestellt, unterstreichen verblüffende Virtual Reality-Kurzfilme zum Thema "Afrofuturismus". Im VR-360-Grad-Winkel kann man in "Spirit Robot" in ein Straßenfestival in Ghana eintauchen. Oder man steht auf einmal als weißer Alien in einer Wüste und wird rundherum bedroht und als Eindringling gefangen genommen. Die schwarze, bewaffnete Aufseherin direkt vor mir im virtuellen Raum verhört mich: Wenn ein schwarzer Planet existierte - wäre ich dort als weiße Europäerin wohl willkommen?