Dienstag, 16. April 2024

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1918: Ende des Ersten Weltkriegs
"Situation für uns nachvollziehbar und geradezu verwandt"

Vier Jahre, 16 Millionen Tote, der Zusammenbruch von vier Weltreichen: Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hätten viele Menschen gehofft, dass nun ein neues Zeitalter anbrechen würde, sagte der Historiker Daniel Schönpflug im Dlf. Instabilität und Unsicherheit seien auch prägend für die heutige Zeit.

Daniel Schönpflug im Gespräch mit Jonas Reese | 31.12.2017
    Sturz des Kaiserreichs: Demonstration junger Arbeiter vor dem Abgeordnetenhaus in Berlin im November 1918.
    Sturz des Kaiserreichs: Demonstration junger Arbeiter vor dem Abgeordnetenhaus in Berlin im November 1918. (dpa picture-alliance / Ullstein)
    Frieden, neuer Wohlstand und Sicherheit: Darauf hätten viele Menschen nach dem Ende des Krieges 1918 gehofft, so der Historiker Daniel Schönpflug. Visionen und Hoffnungen hätten sich damals kristallisiert. Am Ende sei nicht nur nichts davon einglöst worden, alles wäre auch noch viel schlimmer gekommen. "Der Zweite Weltkrieg ist ja tödlicher als der Erste gewesen."
    Aber: Der Erste Weltkrieg sei in ganz fürchterlicher Weise bahnbrechend für die Entstehung einer neuen utopischen Welt und der Welt des 20. Jahrhunderts gewesen. So seien Ordnungen zusammengebrochen, die emanzipatorische Strömungen gehemmt hätten. Vor allem in den "Verliereländern". So seien in Deutschland fortschrittliche Bewegungen und künstlerische Avantgarden im Kaiserreich zuvor zurückgehalten und gehemmt worden.
    Keine Revolution, aber Revolten
    Nicht nur in Europa habe sich damals viel verändert, sondern auch in Japan, China oder Lateinamerika. Dort habe es keine Revolutionen wie in Europa oder dem Mittleren Osten gegeben, so Schönpflug, dafür aber große Erneuerungsbewegungen und Revolten. Man habe das Gefühl gehabt, es würde ein Neuanfang geschaffen. Auch mit dem Zusammenbruch des Russischen, des Osmanischen und des Habsburger Reiches sowie des Deutschen Kaiserreiches sei die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg die Schwelle zu einer neuen Weltordnung gewesen.
    "Wissen nicht, was jetzt 2018 wird"
    Vergleichbar wäre die Zeit nach 1918 für uns heute vielleicht mit der Zeit um 1989, als auch eine Revolution stattgefunden habe, so Schönpflug im Dlf. Damals seien große Blöcke zusammen gebrochen und es habe seitdem eine Kettenreaktion von Dingen gegeben, die niemand habe absehen können. "Wir haben das Gefühl, dass die Kette der Veränderungen nicht mehr zur Ruhe gekommen ist." Wie die Menschen in den 1920er-Jahren wüssten auch wir heute nicht, was 2018 auf uns zukomme. In Deutschland blicke man aktuell auf die Bildung einer neuen Regierung. Angesichts der Wirtschaftslage wisse niemand, ob nicht eine neue Krise auf uns warte. Hinzu kämen die instabilen Verhältnisse im Mittleren Osten und die Tendenzen zu neuen autoritären Regimen in Osteuropa und vielen Ländern des Westens.