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2.2.1754 - Vor 250 Jahren

Ein lahmer Körper fördert bisweilen einen flinken Geist. Egal, ob Charles-Maurice de Talleyrand–Périgord am 2. Februar 1754 schon mit einem verbogenen Fuß zur Welt kommt, oder ihn sich durch einen Sturz in frühesten Jahren erst zuzieht, die Behinderung wird ihn sein Leben lang zum Hinken zwingen. Als gewaltige Demütigung wird der Abkömmling eines uralten, aber verarmten Adelsgeschlechts den körperlichen Makel empfinden und darum zu kompensieren suchen – durch die Geisteskräfte, die er, so beschreibt er es in seiner Biographie, bereits in jüngsten Jahren durch rastlose Lektüre zu entwickeln suchte.

Von Kersten Knipp | 02.02.2004
    Meine traurige und freudlose Kindheit veranlasste mich, diese Kräfte schon früh einzusetzen und intensiver zu denken als ich es getan hätte, wenn meine frühen Jahre voll Glück und Freude gewesen wären.

    Und die Bücher bringen Früchte. Schon mit zwanzig Jahren wird Talleyrand, wegen seiner Behinderung von den Eltern nicht für eine politische, sondern eine geistliche Laufbahn vorgesehen, zum Abt von Saint-Denis in Reims ernannt, vier Jahre später erfolgt die Priesterweihe, ein Jahr darauf wird er Generalagent des französischen Klerus, im Januar 1789 empfängt er die Bischofswürde. Doch der Diener des Herrn bleibt ein Mann von Welt. So gut wie nie ist Talleyrand in seinem Bischofssitz Autun zu finden. Ihn zieht es in die Hauptstadt, zu den Frauen ebenso wie zur Politik. Nicht mit Gott, sondern mit den Menschen sucht er das Gespräch, und im Umgang mit ihnen wird er auch seine politischen Fähigkeiten entwickeln.

    Der Idealfall ist, eine Situation durch eine bloße Geste oder einen Wink zu beherrschen. Ein Minister, der sich in der Gesellschaft bewegt, kann die Zeichen der Zeit sogar bei Festivitäten erkennen; einer, der sich in seinem Arbeitszimmer verkriecht, lernt nichts dazu.

    Und Talleyrand lernt schnell. Stets ein Verfechter der konstitutionellen Monarchie, schließt er sich im Juni 1789 dennoch dem Dritten Stand an, fordert gar, den Klerus zu enteignen, will ihm zudem eine zivile Verfassung geben. 1791 legt er sein Bischofsamt nieder, kurz darauf wird er vom Papst exkommuniziert. Doch auch die Ideale der Revolution, erkennt Talleyrand, können dem Land keine Zukunft bieten.

    Nur eine lächerlich kleine Anzahl von Menschen ist dem Ideal der Freiheit treu geblieben, und dies trotz des Blutes und des Kots der verabscheuungswürdigen Greueltaten, die jetzt ihre Züge verdeckt. (…) Jede zittert vor dem Henker, vom Jakobinerführer bis zum einfachen, ehrlichen Bürger.

    So unterstützt er den abgesetzten König, was ihm umgehend den Bannspruch des Revolutionskonvent und eine mehrjährige Verbannung nach Amerika einträgt. Zurück in Frankreich, wird er 1797 zum Außenminister ernannt, als der er die Politik Napoleons unterstützt. Durchaus angenehm, berichtet Talleyrand, verlief sein erstes Treffen mit dem Feldherrn.

    Unser erstes Gespräch war von seiner Seite aus ganz vertraut. Er sprach in freundlichen Worten von meiner Ernennung zum Minister des Äußeren und beschrieb überzeugend die Freude, die ihm der Briefwechsel gemacht habe, der so anders als die Direktoren ist.

    Als Außenminister Napoleons wird Talleyrand fortan die Geschicke Europas mitbestimmen. Doch sehr bald schon bemüht er sich, die Flurschäden, die der General in Europa anrichtet, so gering wie möglich zu halten. Doch nicht einmal er kann den ungestümen Feldherrn mäßigen, so dass er 1807 von seinem Amt zurücktritt. Nach Napoleons Spanienfeldzug 1808 kritisiert Talleyrand den Kaiser der Franzosen in indirekten, aber deutlichen Worten.

    Wenn ein Mann von Welt unklug handelt, wenn er sich Freundinnen hält oder Frau und Freunde schäbig behandelt, wird man ihm sicherlich Vorwürfe machen; ist er aber reich, mächtig und klug, wird ihm die Gesellschaft vieles nachsehen. Aber wenn der gleiche Mann beim Kartenspiel betrügt, wird man ihn aus der Gesellschaft ausschließen und ihm nie verzeihen.

    Der Bruch zwischen den beiden ist bald endgültig. 1814 betreibt Talleyrand die Absetzung Napoleons, um sein Land als Außenminister unter Ludwig dem XVIII. auf dem Wiener Kongress vor den Folgen von Napoleons desaströser Politik zu bewahren und seine territoriale Integrität zu erhalten. Doch die Skepsis der Nachbarn bleibt. So schreibt der englische Diplomat Lord Castlerreagh an Georg III.

    Ich bin durchaus Ihrer Meinung, dass man sich auf Talleyrand nicht verlassen kann; und doch wüsste ich keinen, auf den Seine Majestät sich eher verlassen könnte als auf ihn. Denn Frankreich ist eine Diebes- und Räuberhöhle, und deshalb können die Franzosen als Verbrecher auch nur von Verbrechern regiert wird.

    Vielleicht ist Frankreich keine Räuberhöhle. Wohl aber ein Haifischbecken. Unmittelbar nach dem Wiener Kongress zwingt die Opposition Talleyrand zum Rücktritt. Erst 1830 wird er durch den so genannten "Bürgerkönig" Louis-Philippe rehabilitiert und als Botschafter nach London geschickt, ein Amt, das der Greis bis 1834 innehaben wird. Als er am 5. September 1838 stirbt, findet sich Europa, wo es lange nicht mehr gestanden hatte: in einer anhaltenden Periode des Friedens.