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Hinweise auf Gesundheitsrisiken
Fachleute fordern Verbot hormonaktiver Chemikalien

Sie stecken etwa in Konservendosen oder Sonnenmilch: Hormonähnliche Chemikalien stehen im Verdacht, sie könnten Menschen schaden. Schon lange gibt es Forderungen, ihren Gebrauch einzuschränken. Doch die EU-Kommission reagiert bislang abwartend.

Von Hellmuth Nordwig | 03.01.2020
Drei Konservendosen hängen an Fleischerhaken.
Stoffe mit hormonähnlicher Wirkung werden etwa für die Innenbeschichtung von Konservendosen verwendet (imago )
In Plastik oder Kosmetika stecken Hunderte von Stoffen, die das Hormonsystem beeinflussen. Dass wir ihnen kaum entkommen können, macht Johanna Hausmann von der Nichtregierungsorganisation "Women Engaged for a Common Future" Sorgen.
"Bestimmt hat man zunächst nicht die Wirksamkeit dieser Stoffe in Richtung hormonelle Tätigkeit geprüft. Es ist auch leider so, dass wir viele Chemikalien auf dem Markt haben, deren Einfluss auf Gesundheit und Umwelt nicht weit genug getestet ist. Die Datenlage ist sehr, sehr schlecht."
Wirkung auf Menschen aus forschungsethischen Gründen unbekannt
Und das trotz des Regelwerks REACH, das eigentlich den Umgang mit Chemikalien in der EU sicherer machen soll. Auch Endokrinologen, die sich mit dem Hormonsystem befassen, sind besorgt. Denn Hormone steuern im Körper zentrale Vorgänge wie die Fruchtbarkeit oder das Körpergewicht. Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie, Josef Köhrle:
"In der letzten Zeit sind eine ganze Reihe von endokrin aktiven Substanzen in die Diskussion gekommen, weil man annimmt, dass sie daran beteiligt sind, dass es zu Volkskrankheiten wie Adipositas, also übermäßiges Gewicht, Diabetes, Bluthochdruck oder ähnlichem kommt."
Die Weltgesundheitsorganisation sieht bei der Zunahme von Brust- und Hodenkrebs ebenfalls den Einfluss der Hormonchemikalien. Das Problem ist aber: Wissenschaftlich bewiesen ist er, streng genommen, nicht. Denn dafür müssten Forschende die Auswirkungen der Stoffe direkt in Experimenten an Menschen untersuchen. Und das ist aus ethischen Gründen nicht möglich.
"Störung der Schilddrüsenfunktion und Reproduktionsorgane"
Aber es gibt zahlreiche Tierversuche. Josef Köhrle hat an der Berliner Charité zum Beispiel Sonnenschutzmittel untersucht.
"Die werden in großen Konzentrationen auf die Haut aufgebracht. Aber sie bleiben nicht auf der Haut. Man kann dann messen, dass sie in erstaunlich hohen Konzentrationen im Blut auftauchen nach der Anwendung. Und wenn man diese in einem Tierversuch einsetzt, sodass man vergleichbare Blutkonzentrationen erhält, dann führen diese Substanzen im Tierversuch zu einer Störung der Schilddrüsenfunktion und der Reproduktionsorgane."
Schon 2012 erschien ein erster Bericht über die Gefahren dieser Stoffe, und seitdem herrscht ein Tauziehen zwischen der EU und Hormonspezialisten. 2018 haben die endokrinologischen Fachgesellschaften in Europa die EU-Kommission dann schriftlich aufgefordert, den Gebrauch solcher Substanzen einzuschränken. Nur bei einem Stoff ist das seit einigen Jahren der Fall: Bisphenol A, ein wichtiger Ausgangsstoff für Kunststoffe, darf nicht mehr für Babyfläschchen verwendet werden.
Sonst aber hat die Kommission abwartend reagiert. Sie will erst einmal die Vorschriften angleichen, die es zum Beispiel in den Richtlinien über Pestizide oder Spielzeug bereits gibt. Diese Regelwerke sollen jetzt überprüft und im Hinblick auf die hormonaktiven Chemikalien vereinheitlicht werden, was Jahre dauern kann. Für Josef Köhrle ist das nichts anderes als weitere Verzögerungstaktik.
Neue Impulse durch den neuen EU-Umweltkommissar?
"Es gibt klare Hinweise darauf, dass es eine Reihe von Substanzen gibt, über die wir so viel wissen, dass wir sie heute aus dem Verkehr ziehen müssten und durch andere ersetzen müssten. Und das passiert leider nicht."
Auch das Europäische Parlament hat inzwischen die EU-Kommission zum Handeln aufgefordert. Möglicherweise mit Erfolg: Der neue Umweltkommissar, der Litauer Virginius Sinkevičius, hat vor kurzem zugesagt, die hormonwirksamen Stoffe nach dem Vorsorgeprinzip zu regulieren, sie also im Sinne des Verbraucherschutzes einzuschränken.