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20 Jahre "Jagged Little Pill"
Wie Alanis Morissette zu einem glücklichen Menschen wurde

Weg vom pflegeleichten Pop, hin zu Rockmusik mit Ecken und Kanten: Mit ihrem Album "Jagged Little Pill" wurde Alanis Morissette zum Sprachrohr einer ganzen Generation. Mit fünf Grammys und 33 Millionen verkauften Tonträgern stellte das Werk die Unterhaltungsindustrie auf den Kopf - und gleichzeitig das Leben der damals 21-jährigen Musikerin.

Von Marcel Anders | 07.11.2015
    Die kanadisch-US-amerikanische Musikerin Alanis Morissette bei ihrem Auftritt am 2. Juli 2012 bei dem 46. Montreux Jazz Festival in der Schweiz.
    Für die 41-jährige Sängerin Alanis Morissette steht mittlerweile fest: "Meine Familie ist mir tausend Mal wichtiger als meine Karriere." (picture alliance / dpa / Laurent Gillieron)
    "Ich habe Texte geschrieben, die sich nicht reimten und ein bisschen anders waren als das, was ich mit 16 gemacht hatte. Was dafür sorgte, dass eine Menge Leute regelrecht ausflippten. Wie in dem Moment als sich Miley Cyrus entschied, von Hannah Montana zur aktuellen Miley zu werden. Also habe ich mir gesagt: 'Ich bleibe nicht in Kanada und lasse mich auf das reduzieren, was ich früher gemacht habe.' Ich wollte mich weiterentwickeln."
    Nämlich weg vom pflegeleichten Pop, der ihr den Ruf einer kanadischen Debbie Gibson oder Tiffany bescherte. Die 19-jährige Alanis wollte Rockmusik mit Ecken und Kanten machen. Beeinflusst vom Grunge der frühen 90er und von klassischen Singer-Songwritern. Den passenden Partner fand sie in Produzent Glen Ballard, der ihr hohes Identifikationspotenzial sofort erkannte: Eine junge Frau voller Ängste und Komplexe, die von einer vertrackten Beziehung in die nächste schlingerte, und in Stücken wie "You Oughta Know" ihren geballten Frust thematisierte.
    "Der Song beruht auf meinen Tagebuch-Aufzeichnungen. Aber ich habe nie darüber gesprochen, von wem er handelt – selbst wenn es vier oder fünf Männer gibt, die behaupten, es ging um sie. Dabei handelt er in erster Linie davon, wie verzweifelt ICH war. Und wenn ich mich früher in einer solchen Situation befand, bin ich halt wütend geworden."
    "Es war wie ein Sturm, vor dem es kein Entkommen gab"
    Ein Ansatz, mit dem Alanis den Zeitgeist traf und zum Sprachrohr einer ganzen Generation werden sollte. Dabei wurde das Werk, das für knapp 125.000 Dollar Produktionskosten entstand, zunächst von jeder Plattenfirma abgelehnt. Bis sich Maverick, das Label von Madonna, zu einer Veröffentlichung in limitierter Auflage entschied, um die Reaktion von Medien und Konsumenten zu testen. Doch "Jagged Little Pill" stellte die Unterhaltungsindustrie schlichtweg auf den Kopf.
    "Es war wie ein Sturm, vor dem es kein Entkommen gab. Und es fühlte sich völlig surreal an - ich bin an Flughäfen gelandet, wo mich 30.000 Menschen begrüßt haben, meine Haare wurden im Vorbeigehen geschnitten, Fans haben mir im Hotel aufgelauert und meine Koffer wurden durchwühlt, während ich auf der Bühne stand. Außerdem musste ich alle zehn Sekunden irgendwelche Entscheidungen treffen: Nein, ja, vielleicht, Morgen, einen Moment bitte. Mir wurde unheimlich viel abverlangt."
    Was bei der damals 21-Jährigen für einen ersten Burn-Out sorgte – und für die Entscheidung, in Zukunft deutlich kürzerzutreten. Was zwar bedeutete, dass ihre folgenden fünf Alben deutlich geringere Stückzahlen verkauften, ihr aber dennoch genau das Leben ermöglichten, das sie sich immer gewünscht hat. Eben finanziell unabhängig, mit einer Vielzahl an Aktivitäten und Hobbies und eigener Familie. All das definiert einen Menschen, der mit 41 so ausgeglichen und glücklich ist, dass man fast neidisch werden könnte:
    "Meine Familie ist mir tausend Mal wichtiger als meine Karriere. Aber ich brauche auch Freiräume, um meine Leidenschaften auszuleben. Etwa mit dem Buch, das ich gerade schreibe. Mit meinem sozialen Engagement, meinen Reisen, meinen Seminaren oder was auch immer. Es ist also eine Kombination aus mehreren Dingen."
    Erfolg kann glücklich und mutig machen
    Diese kreative Mischung will Alanis in Zukunft noch weiter ausbauen. Neben ihrer Autobiografie, die zugleich Ratgeber und Kochbuch ist, bastelt sie auch an neuen Songs und schreibt ihren eigenen Internet-Blog. Auf dem gibt sie mal praktische Ernährungs- oder Ehrziehungstipps, befasst sich mit Umwelt- und Tierschutz, aber auch Weltpolitik und dem Flüchtlingsstrom aus Syrien.
    Mit klaren, deutlichen Worten, die zu mehr Humanität und Verständnis auffordern und sich wohltuend von anderen Künstlern ihres Genres wie Status absetzen. Einfach, weil Alanis sagt, was sie denkt, und sich längst nicht nur in ihrem eigenen Mikrokosmos bewegt. Was zeigt: Erfolg kann tatsächlich glücklich, aber auch mutig machen.