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20 Jahre Verbrechen aus Deutschland

Eifersucht, Hass, Habgier, Rache und verschmähte Liebe. Das sind die Motive, aus denen gemordet wird. Zumindest in den Krimis des ebenso kleinen wie erfolgreichen Dortmunder Verlages Grafit. Dort lässt der Gründer Rutger Booß seit mittlerweile 20 Jahren ermitteln. Polizisten und Detektive werden von seinen Autoren auf Verbrecherjagd geschickt, aber auch Journalisten, Anwälte, Taxifahrer und Sozialhilfeempfänger sagen Mord und Totschlag immer wieder den Kampf an.

Von Matthias Eckoldt | 10.12.2009
    Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war
    Der Tatort, nachdem die Spurensicherung schon da war (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    "Nach 20 Jahren ist für mich das Interessanteste wohl die Erfahrung, die ich mit vielen Autoren gemacht habe. Ich habe viele Autoren kennengelernt. Autoren ticken jeder für sich ganz anders. Und das macht den Beruf des Verlegers besonders interessant. Ich habe die Krimiautoren als außerordentlich friedfertig und klar denkend und nicht als impulsive Gewalttäter kennen gelernt. Ausgesprochene Schreibtischtäter und das sollen sie auch sein. Sie sollen ihrer Fantasie freien Lauf lassen und sollen mit Raffinesse ganz schreckliche Verbrechen ersinnen, die aber plausibel sein müssen."

    Als Rutger Booß seinen Verlag 1989 aus der Taufe hob, hatten sich die großen Verlage von der Publikation deutscher Krimis weitgehend zurückgezogen. Diese Nische besetzte Grafit mit seinen zum Markenzeichen gewordenen Regionalkrimis. So steht in den wohl bekanntesten Romanen von Jacques Berndorf die Eifel im Brennpunkt des kriminellen Geschehens. Detektiv Wilsberg aus Münster wurde vom Grafit-Autor Jürgen Kehrer ersonnen und schließlich auch vom ZDF verfilmt. Der mehrfach preisgekrönte Autor Horst Eckert ist zusammen mit Gabriella Wollenhaupt und ihrer exzentrischen Ermittlerin Grappa eine weitere inhaltliche und finanzielle Stütze des Verlags. Dass deutsche Autoren Krimis schreiben, die hierzulande angesiedelt sind und damit ihren Lesern Verbrechen und deren Aufklärung in wieder erkennbaren Orten und Landschaften offerieren, ist jedoch nur ein Teil der verlegerischen Konzeption. Booß und seine mittlerweile fünf Mitarbeiter achten sehr genau darauf, dass die Story der Krimis mitreißend, die Figuren lebendig und die Atmosphäre so gut eingefangen ist, dass die Bücher auch ohne Kenntnis der Region mit Gewinn gelesen werden können. Auf einer soliden finanziellen Basis wagte sich Grafit in jüngster Zeit auch in neue Gefilde vor. 2005 veröffentlichte der Verlag seinen ersten historischen Krimi. Der Erfolg des fünfhundertseitigen Mittelalter-Romans "Die Buchmalerin" von Beate Sauer ermutigte Grafit in diesem Segment weiter zu machen. So sind bislang insgesamt sieben historische Kriminalromane - darunter fünf Römerkrimis - in die Regale der Buchhandlungen gekommen. Auf der Suche nach neuen Autoren verlässt sich Grafit weiterhin auf sein bewährtes Erfolgsmodell.

    "Wir haben nicht die Möglichkeit, wie große Verlage ..., die Autoren einfach abzuwerben, sondern wir müssen die Autoren entwickeln. Wir fangen die Autoren buchstäblich im Niemandsland der unverlangt eingesandten Manuskripte ein. ... Es beschäftigen sich drei Menschen ... an vielen Stunden des Tages damit, diese Manuskripte zu sichten und da nach den Perlen zu suchen, die die Berndorfs von morgen werden. Im Prinzip ist es so, dass wir in fast allen Fällen mit Autoren, die wir auf diese Weise gefischt haben, glücklich wurden."

    Ralph Gerstenberg ist einer dieser Autoren, dessen Manuskript Rutger Booß und sein Team aus den jährlich bis zu 1500 Einsendungen herausgefischt hat. Das war 1999. Mittlerweile genießt er eine Sonderstellung bei Grafit, weil der Verlag mit Gerstenbergs Büchern auch Krimis aus der Hauptstadt als festen Bestandteil im Programm etablieren konnte. Seit seinem Debüt-Krimi "Ganzheitlich sterben" im Jahr 2000 steht der Berliner mit der mittlerweile siebenten Veröffentlichung auch im Jubiläumsprogramm von Grafit. "Feuer im Aquarium" heißt das Buch, in dem das Gerstenberg-Lesern vertraute Ermittlerteam agiert: Der wegen seiner Herzkrankheit auf einen Schonplatz versetzte Kriminalkommissar Oeser und der Hartz-IVler Henry Palmer. Der Fall könnte brisanter kaum sein: Es geht um einen Bombenanschlag im Herzen Berlins. Die Sicherheitsmaschinerie läuft auf Hochtouren:

    "In den U-Bahn-Stationen patrouillierten Trupps der Bundeswehr. Sie waren mit Maschinengewehren bewaffnet. Verdächtige wurde aufgefordert, ihre Taschen und Rucksäcke zu öffnen. Noch immer kreisten Hubschrauber über der Stadt. Alle paar Minuten waren im Radio die aktuellen Opferzahlen durchgegeben worden. Vor dem Brandenburger Tor hatten Panzerwagen und schwer bewaffnete Soldaten Stellung bezogen."

    Gerstenberg gelingt es mit seiner klaren, schnörkellosen Sprache das Schreckensszenario einer deutschen Großstadt im Ausnahmezustand so realistisch heraufzubeschwören, dass dem Leser der Atem stockt. Die Lektüre von "Feuer im Aquarium" sensibilisiert für die Verletzbarkeit der westlichen Zivilgesellschaften und macht zugleich klar, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte nicht nur von den Terroristen der El Kaida unter Beschuss geraten. Ralph Gerstenberg:

    "Wie ein Ausnahmezustand ausgerufen wird und wie eine Gesellschaft eine Paranoia entwickelt und Sicherheitsmaßnahmen beschließt, womit sie ihre demokratischen Grundrechte unterläuft. Das war schon erstaunlich: Ich habe drei Jahre an dem Buch gearbeitet und wie doch der Innenminister meine Fiktion oft übertroffen hat. Online-Überwachungen und so was, das war ja schon im Gespräch. Aber es kam dann auch das Gespräch darauf, dass man doch eigentlich Terroristen auch straffrei erschießen dürfen müsste. Das war zum Beispiel schon was, das ich schon erstaunlich fand."

    Die Story von "Feuer im Aquarium" ist spannend, die Personage hochkarätig. Immerhin geben sich in Gerstenbergs Krimi Beamte von CIA, Mossad, BKA und BND die Klinke in die Hand. Doch am Ende - man ahnt es aufgrund der Sympathieverteilung beim Lesen bereits - am Ende deckt der auf Initiative eines einflussreichen Freundes aus Studientagen ins aktive Polizeileben zurückgeholte Hauptkommissar Oeser das ganze Ausmaß des Verbrechens auf. Allerdings nützt das niemandem. Denn aus den im Buch oft zitierten "höheren Interessen" heraus sollen die wahren Täter und Tathintergründe, die an dieser Stelle natürlich auch nicht verraten werden, nicht an die Öffentlichkeit kommen. So ist "Feuer im Aquarium" ein politischer Krimi über die Skrupellosigkeit und den Zynismus der Macht. Verstärkt wird die gesellschaftskritische Dimension noch durch die zweite Ebene des Buches, in der Henry Palmer als Statist an den Manöverübungen der GI's mitwirkt. Das geschieht in Oesers Auftrag, da die Bombe in einem Büro hochgegangen ist, von dem aus Statisten an die amerikanischen Streitkräfte vermittelt.

    "GIs mit Maschinengewehren liefern sich ein letztes Gefecht mit zwei, drei bewaffneten Turbanträgern, die sich in der Moschee verschanzt haben. Ich gehöre zu den wenigen Überlebenden und lasse mich auf die Knie fallen. Mit erhobenen Händen schaue ich in Seans junges Gesicht. Ohne mit der Wimper zu zucken, legt er auf mich an und drückt ab. Er muss das halbe Magazin leer geschossen haben."

    Gerstenberg: "Dieses Kriegsspielen in amerikanischen Manövergelände. Also das habe ich von Bekannten gehört, dass die da waren und auch etwas traumatisiert zurückkamen. Jeder, der dort hingeht, musste sich dazu verpflichten, nicht darüber zu berichten. Ich war auch selbst bei einer Bewerbung in einem Berliner Hotel, wo Statisten für die US-Manöver geworben wurden. Das hat mich interessiert. ... Der Krieg im Irak, den ja Deutschland abgelehnt hat, der quasi hier in bayerischen Wäldern nachgespielt wird und damit die amerikanische Armee auch ausgebildet wird hier."

    Leider führen die beiden Ebenen des Buches, in denen jeweils Henry Palmer und Bernhard Oeser getrennt agieren, im Finale nicht zusammen. So fehlt dem Outlaw Palmer, der sich bei den Manövern für achtzig Euro mehrmals am Tag erschießen lassen muss, die Bindung zum Stoff, und man vermisst als Leser schließlich eine elegante Schlusspointe. Auch die vielen Repliken im ausgeschriebenen Berliner Dialekt wirken auf Dauer ein wenig enervierend, weil sie den ansonsten raschen Lesefluss immer wieder abbremsen. Trotzdem aber liegt mit "Feuer im Aquarium" ein sehr lesenswerter Krimi vor, der die Genregrenzen in Richtung Politthriller durchlässig macht.

    Ralph Gerstenberg "Feuer im Aquarium", Grafit, 9,90 Euro, 283 Seiten