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20 Jahre Widerstand mit Erfolg

Über 20 Jahre hat der Kampf der Bürgeriniative Freie Heide gegen das sogenannte Bombodrom in Brandenburg gedauert. Doch es hat sich gelohnt, nun darf das Areal nicht mehr militärisch genutzt werden. Die Bürgeriniative löst sich auf. Betreten darf man den ehemaligen Truppenübungsplatz allerdings noch immer nicht.

Von Axel Flemming | 12.07.2012
    Mitten im Gelände des stillgelegten Truppenübungsplatzes steht eine ausgediente Militärtribüne. Rundum nur Natur. Birken und Kiefern, Silbergras und Heide, Ginster und Gestrüpp. Es ist eine riesige Fläche - 12.000 Hektar, die selbst von hier oben nur zu einem kleinen Teil überblickt werden können. Lebensraum für einige gefährdete Pflanzen- und Tierarten: Wiedehopf, Steinschmätzer und Bachpieper.

    Die Stiftung des verstorbenen Tierfilmers Heinz Sielmann, die ein Drittel dieses Areals übernimmt, will hier in erster Linie die Natur sich wieder entwickeln lassen, aber die Öffentlichkeit nicht ausschließen. Geschäftsführer Michael Spielmann:

    "Da muss man sehr aufpassen, dass keine Enttäuschung sich breitmacht, dass nicht so eine Stiftung aus dem Westen kommt und reißt sich das unter den Nagel. Dieser Eindruck darf nicht entstehen."

    Denn nochmals enttäuschen will man die Menschen vor Ort nicht.

    Immerhin kämpften die Bewohner der umliegenden Dörfer fast 20 Jahre lang für eine freie Heide. Nach der Wende plante die Bundeswehr, das Areal für die Luftwaffe weiter militärisch zu nutzen. Spielmann überlegt, diesen Kampf der Gegner prominent darzustellen, vielleicht sogar auf der Tribüne des Feldherrenhügels.

    "Ich würde es für völlig unverantwortlich halten, das einfach zu ignorieren, was da vorher war, nicht nur wegen der Menschen, um die es hier auch geht, sondern auch die Geschichte, die ja auch düstere Seiten hat: Hier sind Menschen zu Tode gekommen. Hier ist die Natur auch malträtiert worden. - Ich weiß nicht, ob’s ein Museum wird, aber es muss eine Dokumentation geben; das wollen wir; daran muss erinnert werden."

    Zühlen in der Nähe von Rheinsberg, ein kleines Straßendorf. Hinter der Kirche steht das Pfarrhaus, in dem Benedikt Schirge wohnt. Bart und Haare des sogenannten Friedenspfarrers werden langsam grau. Er war Kopf und Gesicht des Widerstandes gegen das Bombodrom – das hat Spuren hinterlassen. Sein Kampf begann 1992, als die Rote Armee der Sowjetunion das Gelände aufgab.

    "Keiner hat allerdings geahnt, was für ein langer Weg das wird."

    17 Jahre lang, rangen er und seine Mitstreiter – anfangs Nur eine Handvoll, zwischendrin ein paar Zehntausend - mit fantasievollem Protest und in endlosen juristischen Auseinandersetzungen um das Gelände – mit Erfolg. Am 9. Juli 2009 gab Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung nach. Jetzt hat sich die Bürgerinitiative "Freie Heide" aufgelöst. Deren Sprecher ist froh, dass der Kampf endlich vorbei ist.

    "Der Satzungszweck der Bürgerinitiative war die nicht-militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide. Und das ist erreicht. Die Bürgerinitiative hat in diesen 20 Jahren viel Kraft verbraucht."

    Kraft, mit der sich Schirge seiner eigentlichen Aufgabe widmen kann. Er arbeitet wieder als Pfarrer in der Region. Der Kontakt zu den Mitstreitern bleibt, wenn auch seltener: Seelsorge statt Bürgerinitiative. Auf den Erfolg des Engagements ist er heute noch stolz: Wir haben gezeigt, dass die da oben nicht machen können, was sie wollen, sagt er.

    "Die Euphorie war schon berechtigt, weil erstens das ein Kampf David gegen Goliath war, den David gewonnen hat. Und zweitens wirklich die ganze Region ganz erleichtert aufatmen konnte, und zum Dritten sich gezeigt hat, dass der Einsatz in der Demokratie lohnt. Auch wenn nicht immer gleich absehbar, und ich glaube, das haben auch viele verstanden, dass Demokratie nur so funktionieren kann, dass eben auch die Vernunft sich durchsetzt, und nicht immer der stärkere oder der Staat, sonst wär’s keine Demokratie, wenn der Staat sich überall durchsetzen würde."

    Hier haben sich die Menschen durchgesetzt. Ihre Heide ist nun
    Zwar frei vom Militär, nicht aber frei zugänglich. Obwohl Zühlen direkt an die Kyritz-Ruppiner Heide grenzt, Schirge ist und war selten dort.

    "Ich bin nur hin und wieder auf dem Gelände gewesen, es ging uns ja vorwiegend nie darum, dass wir Geländegewinn brauchten, also dass wir jetzt für den Tourismus ganz schnell dort rauf müssen, um dort irgendetwas zu ermöglichen, sondern es ging hier immer ums Gesamtkonzept. Dass noch der Wermutstropfen dabei ist, dass die Heide-Räumung noch eine Weile dauern wird, das nehmen wir auch hin. Aber ich denke, die Bürger und auch die Kommunen und der Landkreis werden das im Blick haben, dass man immer wieder in kleinen Schritten auch dort Fortschritte zu vermelden hat."

    Falls nicht, könnten die Bürger ja mal wieder auf die Barrikaden gehen. Doch es gibt ein Problem: Das Gelände ist munitionsverseucht. Und eine Räumung der militärischen Altlasten wäre teuer: Minen und Munition vollständig zu entfernen, kostet pro Quadratmeter etwa einen Euro – macht bei 12.000 Hektar fast 600 Millionen Euro. In Zeiten knapper Kassen haben weder Bund noch Land das Geld dafür. Weshalb die Heide für Wanderer erst einmal gesperrt bleiben wird. Rainer Entrup von der BImA, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, die das Gelände verwaltet:

    "Wir reden hier aber von Munitionsarten, die tatsächlich lebensgefährlich sind. Insbesondere Dinge wie Streuwaffen, die man nicht anfassen darf. Gehen Sie mit einer Wandergruppe einen Weg lang, und es liegt fünf Meter neben dem Weg was schönes Glänzendes, dann wird ein Kind hingehen und das aufheben – und das darf hier nicht sein."

    'Lebensgefahr, Kampfmittel. Betreten und Befahren verboten’ warnen nach wie vor Schilder an den Grenzen der Kyritz-Ruppiner Heide. Der nördliche Teil wird als FFH-Gebiet geschützt und deshalb unzugänglich bleiben. Für den Bereich der sogenannten 'weißen Stadt', in der die Sowjetsoldaten untergebracht waren, gibt es Pläne, Gebäudedächer zur Energiegewinnung mit Solarfeldern zu nutzen. Damit kann auch die einstige Bürgerinitiative leben.