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200 Jahre Wartburgfest
Nationalgedanken damals und heute

1817 warben auf der Wartburg Studenten für Freiheitsrechte und ein einiges Deutschland. Heute kommen jährlich tausend Burschenschafter aus Deutschland und Österreich nach Eisenach. Sie feiern unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn die Stadt vermietet ihnen keine Halle mehr.

Von Henry Bernhard | 22.10.2017
    Burschenschafter aus Deutschland und Österreich versammeln sich in Eisenach zu Festakt mit anschließendem Fackelzug und Totengedenken am Burschenschaftsdenkmal. Der Stiftungsrat der Wartburg vermietet nicht mehr an die Burschenschaften.
    Burschenschafter aus Deutschland und Österreich versammeln sich in Eisenach zu Festakt mit anschließendem Fackelzug und Totengedenken am Burschenschaftsdenkmal. (Aufnahme von 2015) (imago / Future Image)
    Weil sie als deutsche Burschenschaft seit drei Jahren auf der Wartburg unerwünscht ist, machten sich Samstagvormittag einige Hundert Burschenschaftler unangemeldet auf den Weg, um sich oben auf dem Burghof zu versammeln. Der Pressesprecher der Deutschen Burschenschaft, Philip Stein (*), konnte seine Freude über den Coup schwer verbergen.
    "Da waren ungefähr 500 Personen anwesend, die sich ganz spontan dort zusammenfanden, um dort also dem Wartburgfest zu gedenken."
    Michael Büge, Bursche und Politiker, früher für die CDU, heute für die AfD, sprach zu ihnen. Im Stiftungsrat der Wartburg ist man noch uneins, ob dieser mögliche Verstoß gegen das Versammlungsrecht Folgen nach sich ziehen wird.
    Zu Fuß von Kiel zur Wartburg
    200 Jahre zuvor, am Morgen des 18. Oktober 1817, zogen erstmals 500 Studenten den steilen Weg von Eisenach zur Wartburg hinauf. Viele von ihnen kamen aus Jena, wo sich zwei Jahre zuvor die ersten Burschenschaften gegründet hatten.
    "Aber auch Kiel war gut vertreten", sagt Stefan Gerber, Historiker an der Universität Jena. "Die Kieler haben sich also tatsächlich zu Fuß von Kiel auf den Weg zur Wartburg gemacht."
    Immerhin jeder 17. Student aus dem Raum des Deutschen Bundes nahm am Wartburgfest 1817 teil. Sie trugen schwarz-rote Fahnen und wollten Deutschland einen und liberaler gestalten, landständische Verfassungen nach der Maßgabe der Deutschen Bundesakte von 1815 einführen.
    "Die liberale Bewegung sagt: Verfassung, das ist eine moderne Konstitution, wie sie im Grunde seit der Französischen Revolution ins Leben getreten ist, die bestimmte Mitbestimmungsrechte in politischen Angelegenheiten verheißt, die vor allen Dingen Rechtssicherheit gibt und die bestimmte Grundrechte auch verbirgt."
    Beschwörung von Luthers Geist
    Die Wartburg und das Datum ihres Treffens hatten die Studenten ganz bewusst gewählt. Auf den Tag genau vier Jahre zuvor wurde Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Daran wollten die Studenten erinnern. Und an den 300. Jahrestag von Luthers Thesenanschlag. Hier oben auf der Wartburg hatte er das Neue Testament ins Deutsche übertragen. Seinen Geist wollten sie beschwören, der doch die geistige Freiheit gebracht und nun mithelfen soll, die politische folgen zu lassen.
    "Es ist eine Mischung aus schon religiöser Feier und politischer Manifestation."
    Eine politische Demonstration im ganz modernen Sinne. Der Deutsche Bund, so forderten sie, müsse zu einem stärker nationalstaatlichen Gebilde werden.
    "Für die Liberalen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist eben Liberalität, Freiheitsrechte, Mitbestimmung, Beteiligung, Parlamente, Verfassung – das ist unmittelbar an den Nationalstaat gebunden. Also, Einheit und Freiheit, das gehört für die untrennbar zusammen."
    Kritik an Bücherverbrennung radikaler Studenten
    Aber schon am Abend des 18. Oktobers 1817 wurde der janusköpfige Charakter des Wartburgfestes und der studentischen Nationalbewegung deutlich: Eine kleine Gruppe von besonders radikalen Studenten entzündete ein Feuer und verbrannte darin symbolisch "Schandschriften des Vaterlandes", Bücher, deren Autoren ihrer Meinung nach "das Vaterland geschändet und die Wahrheit und Tugend verleugnet haben". Dies kritisierten zunächst konservative Kreise, die Ordnung und Sicherheit gefährdet sahen.
    "Aber es gibt dann eben in späterer Zeit eher Kritik von links, die sagt: Hier wird schon der ausgrenzende Charakter der deutschen Nationalbewegung recht früh deutlich. Wie kann man eigentlich für Meinungs-, Pressefreiheit eintreten und gleichzeitig da diese Bücherattrappen verbrennen?"
    "Da können wir keine Gastfreundschaft mehr zeigen"
    Nationalismus, Chauvinismus, Antisemitismus und die Ablehnung der Demokratie prägten viele Burschenschaften der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Eine Entwicklung, die in der Selbstauflösung in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund gipfelte, beim Wartburgfest 1935. Zu völkisch, zu rechts, zu rechtsextrem, zu fremdenfeindlich war auch vielen Mitgliedsbünden der Dachverband Deutsche Burschenschaft in den letzten Jahren geworden. Die Hälfte trat seit 2008 aus. Anlass auch für die Oberbürgermeisterin der Stadt Eisenach, Katja Wolf, der Deutschen Burschenschaft keine Halle mehr zu vermieten.
    "Mit einem so gewaltigen Rechtsruck ist für eine Stadt irgendwann automatisch die Situation, dass wir sagen: Da können wir keine Gastfreundschaft mehr zeigen."
    Und so feierten die deutschen und österreichischen Burschen gegenüber der Wartburg, in einem Festzelt am Burschenschaftsdenkmal, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, "um dem Wunsch der Teilnehmer nach Privatsphäre nachzukommen", wie es offiziell hieß. Man wollte unter sich sein, wenn ein Deutschland "von der Maas bis an die Memel" besungen wurde.
    (*) Name wurde in einer ursprünglichen Form falsch geschrieben.