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200. Jahrestag von Waterloo
Erinnerungen an Napoleons letzte Schlacht

Die Schlacht sollte Frankreich retten und in den Annalen der Welt gefeiert werden: So erwartete es zumindest Napoleon kurz vor seiner Niederlage bei Waterloo am 18. Juni 1815. Zum 200. Jahrestag erinnern viele Autoren an die wohl berühmteste Schlacht der Geschichte.

Von Peter Kapern | 15.06.2015
    In Belgien wird die Schlacht von Ligny nachgestellt, der letzte Sieg Napoleons, bevor er am 18. Juni bei Waterloo unterlag.
    Was, wie und warum: Mit ihren Waterloo-Bänden erschaffen Bernard Cornwell, Johannes Willms und Klaus Jürgen Bremm gemeinsam ein umfassendes Bild von der Schlacht, die Europa veränderte. (picture alliance / dpa / Nicolas Maeterlinck)
    Am Tag zuvor und weit in die Nacht hinein hatte es in Strömen geregnet. Felder und Wege waren ein einziger Morast, die Soldaten bis auf die Haut durchnässt. Aber jetzt, am späten Vormittag des 18. Juni, war der Boden wenigstens soweit wieder abgetrocknet, dass die schwere Artillerie der Franzosen schießen konnte, ohne durch den Rückstoß förmlich im Morast versenkt zu werden. Dies war der Zeitpunkt, den Napoleon für eine machtvolle Attacke abwarten musste. Auch sollten seine Soldaten die Gelegenheit haben, nach der regennassen Nacht zu essen und die Uniformen zu trocknen. Jetzt aber wandte sich der Kaiser an seine Befehlshaber:
    "Die Schlacht, die wir heute schlagen, wird Frankreich retten und in den Annalen der Welt gefeiert. Ich werde von meiner überlegenen Artillerie Gebrauch machen, mit meiner Kavallerie den Gegner zwingen, seine Stellungen offenzulegen und sobald ich mir darüber sicher bin, werde ich sie mit meiner alten Garde direkt angreifen."
    90 zu 10 stünden die Chancen zugunsten der Franzosen, ließ Napoleon noch wissen. Und dann gab er den Befehl zur Gefechtsaufstellung. Zwei sanfte Hügelketten prägen die Landschaft zwischen dem kleinen Örtchen Mont St. Jean im Norden und Plancenoit im Süden. Dazwischen eine Talsenke, die ein gerade einmal 500 Meter breites Schlachtfeld zwischen den Anhöhen bildet. Im Norden hatten sich die von Wellington geführten Truppen gruppiert: Briten, vor allem aber Hannoveraner, Braunschweiger, Holländer und Belgier. Und auf der südlichen Hügelkette ließ Napoleon an diesem späten Vormittag, beobachtet von Wellingtons Männern, seine Truppen Aufstellung nehmen.
    70.000 Männer versammelten sich zum Totentanz
    "Hoch zu Ross nahm Napoleon jetzt erst einmal die ganze Front ab. Dazu rührten die Tambours die Trommeln und die Musik spielte. Das alles versprach große Oper, war die auf überwältigende Wirkung berechnete Choreografie eines betörenden Prunkaufmarschs, ein Prachtbild höfischer Vanitas, für das rund 70.000 Männer, verschwenderisch kostümiert, sich zu einem Totentanz versammelten, unter dessen Evolution diese ganze Herrlichkeit in einem wahren Morast von Blut und Schlamm versinken und die Getreidefelder in einen einzigen Totenanger verwandeln würden, auf dem sich an manchen Stellen die Leiber der Erschlagenen meterhoch auftürmen."
    So beschreibt Johannes Willms die Szenerie, unmittelbar bevor gegen 11:30 Uhr der erste Schuss abgefeuert wurde. Der 200. Jahrestag dessen, was in den darauf folgenden zehn Stunden geschah, wird in einer ganzen Serie von Büchern gewürdigt. Kein Wunder, schließlich erklang in Waterloo der Schlussakkord des napoleonischen Zeitalters, und hier war es, wo der Startschuss gegeben wurde für die Weltherrschaft des britischen Empire im 19. Jahrhundert.
    Im Fokus der Erzählungen stehen die vier Tage vom 15. bis zum 18. Juni 1815. Von Napoleons Invasion in die Vereinigten Niederlande, wo sich die von Wellington und Blücher angeführten Truppen noch sammelten. Über die Schlacht von Ligny, wo Napoleon eine Weile lang glaubte, den Preußen schon den Garaus gemacht zu haben, bis hin zum Blutbad des 18. Juni.
    Cornwell lässt die Soldaten zu Wort kommen
    Bernard Cornwell hält mit seinem Buch, was sein literarischer Werdegang verspricht. Er ist ein früherer Journalist der BBC, der seit Langem sein Geld als sehr erfolgreicher Autor verdient. Als Autor historischer Romane. Und genau so liest sich sein Buch. Süffig geschrieben, üppig in den Formulierungen, drastisch in den Schilderungen. Er inszeniert die Schlacht vor allem als Duell zweier genialer Truppenführer. Napoleon und Wellington. Der Kaiser und der Duke. Die Charakterstudien seiner Protagonisten fallen dabei wenig ausgefeilt aus.
    Der Grund für Napoleons ebenso verwegenen wie zum Scheitern verurteilten Versuch, von Elba zurückzukehren? Dem Kaiser war langweilig auf seinem Eiland. Und er war wütend, weil die Bourbonen ihm seine Apanage verweigerten. Das ist nicht falsch, aber höchstens ein schmaler Ausschnitt einer viel größeren Wahrheit. Nicht jede Reduktion von Komplexität ist eben gut. Aber Cornwells Buch hat auch eine starke Seite: Er lässt sehr umfangreich die Soldaten zu Wort kommen, die auf dem Schlachtfeld von Waterloo knöcheltief durch das Blut gewatet sind. Ihre Erinnerungen an das Gemetzel sind es, die den Leser zuweilen fassungslos schaudern lassen:
    "Wir hatten drei Kompanien, die uns praktisch in Stücke geschossen wurden. Ein Schuss tötete oder verwundete fünfundzwanzig der 4ten Kompanie, ein weiterer tötete den armen Fisher, meinen Captain, sowie achtzehn unserer Kompanie. Ich sprach gerade zu Fisher und ich bekam sein ganzes Hirn ab, als sein Kopf in Stücke flog."
    Fakten- und lehrreich: Brems Waterloo-Erzählung
    Cornwell stützt sich vor allem auf die Augenzeugenberichte von Teilnehmern der Schlacht, die der britische Offizier William Siborne 15 Jahre nach den Kämpfen gesammelt hat. Eine Quelle, aus der auch Klaus Jürgen Bremm für sein Buch schöpft. Aber der in Osnabrück lehrende Militärhistoriker geht seine Waterloo-Erzählung weit analytischer an als Cornwell. Er liefert die Details, die Cornwell seinen Lesern erspart. Details über die landsmannschaftliche Zusammensetzung der Truppen, ihre Motivation, sich zum Kanonenfutter machen zu lassen, über die militärische Taktik und die Waffen jener Zeit. Das alles kommt ein wenig daher mit dem Charme einer akademischen Abhandlung, dem Kapitelüberschriften wie „Möglichkeiten und Grenzen der Steinschlossmuskete" geschuldet sind. Aber Bremm kann für sich in Anspruch nehmen, ein ebenso fakten- wie lehrreiches Buch geschrieben zu haben.
    Ebenso wie Johannes Willms, der für seine Waterloo-Erzählung allerdings eine andere Perspektive wählt als Bremm und Cornwell. Auch Willms schildert natürlich den Ablauf dieses letzten Feldzugs Napoleons. Aber ihn interessieren weit mehr als die Ereignisse auf dem Schlachtfeld der Weg nach Waterloo und der prägende Einfluss der Schlacht auf die folgenden Jahrzehnte. Anders gewendet: Für Willms, den Biografen der französischen Revolution und des französischen Kaisers, ist sein Waterloo-Bericht ein Bestandteil seiner umfassenden Geschichtserzählung, die sich von den 1780er-Jahren bis weit in das 19. Jahrhundert hinein erstreckt. Er beschreibt nicht ein Ereignis, er erklärt eine Epoche.
    Alle drei Autoren befassen sich natürlich mit jenen Fragen, die schon immer im Zusammenhang mit der Schlacht von Waterloo gestellt wurden. Hat Wellington Blüchers Preußen im Stich gelassen, als die am 16. Juni in Ligny, von den Franzosen attackiert, auf den Beistand der Briten warteten? Ja; lautet die Antwort von Bremm und Willms, nein lautet die des Briten Cornwell.
    Willms: Waterloo als Bestandteil einer ganzen Epoche
    Hat Wellington die Preußen um ihren Anteil am Ruhm gebracht, indem er die Schlacht nach seinem Hauptquartier benannte, dem Örtchen Waterloo, das sechs Kilometer vom Schlachtfeld entfernt lag? Statt das Gemetzel "La belle Alliance" zu taufen, also auf den Namen eines Gasthauses am Rande des Schlachtfelds, wo sich Blücher und Wellington nach der Flucht der Franzosen trafen?
    Und schließlich die Frage aller Fragen: Wie sind die zahlreichen taktischen Fehlleistungen des Militärgenies Napoleon zu erklären? Besonders interessant fällt Willms Antwort aus. Er rekonstruiert den Wissensstand der Befehlshaber zu bestimmten Zeitpunkten der Kämpfe anhand der rekonstruierbaren Kommunikationswege. Und macht so deutlich, warum in bestimmten Situationen so und nicht anders entschieden wurde.
    Fazit: Wer wissen will, was damals geschehen ist, der ist mit Cornwells Buch bestens bedient. Wer erfahren will, wie es geschehen ist, der sollte zu Bremms Erzählung greifen. Wer aber lesen will, warum es geschehen ist und welche Folgen es hatte, der muss den von Johannes Wilms verfassten Band lesen.
    Bernard Cornwell: "Waterloo. Eine Schlacht verändert Europa"
    Übersetzt von Karolina Fell und Leonard Thamm,
    Wunderlich, 480 Seiten, 24,95 Euro, ISBN 978-3-805-25083-2

    Johannes Willms: "Waterloo. Napoleons letzte Schlacht"
    C.H. Beck, 288 Seiten, 21,95 Euro, ISBN: 978-3-406-67659-8

    Klaus Jürgen Bremm: "Die Schlacht. Waterloo 1815"
    Theiss Verlag, 256 Seiten, 24,95 Euro, ISBN: 978-3-806-23041-3