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"2022, das bedeutet, da sind noch drei Wahlen dazwischen"

Die Grünen haben signalisiert, dem Atomausstieg der Bundesregierung zuzustimmen. Ihr klimapolitischer Sprecher im Bundestag, Hermann Ott, hält es für "unverantwortlich, den endgültigen Ausstieg bis 2022 hinauszuzögern und spricht vom "Trauma" der Laufzeitverlängerung.

Hermann Ott im Gespräch mit Friedbert Meurer | 17.06.2011
    Friedbert Meurer: Die Grünen-Spitze empfiehlt also der Partei und der Fraktion im Bundestag, dem Atomausstieg der Bundesregierung zuzustimmen. Nächste Woche am Samstag will sich die Grünen-Führung auf einem Sonderparteitag in Köln den Segen der Basis dafür holen. Am Telefon begrüße ich Hermann Ott, klimapolitischer Sprecher der Bündnis-Grünen im Bundestag. Guten Tag, Herr Ott.

    Hermann Ott: Guten Tag!

    Meurer: Sind Sie damit einverstanden, dass die Spitze so klar und deutlich Ja sagt zum Atomausstieg von Angela Merkel?

    Ott: Also ich hatte ja mehrfach im Vorfeld empfohlen, dass diese Empfehlung etwas vorsichtiger ausfällt, dass sie vor allen Dingen mit Bedingungen verknüpft wird, und das meine ich auch jetzt noch. Und das werden wir dann auf der BDK, also auf diesem Parteitag, diskutieren müssen.

    Meurer: Aber irgendwann kommt es dann zum Schwur, ja oder nein. Würden Sie ein Ja ausschließen?

    Ott: So wie die Atomgesetznovelle jetzt aussieht, die die schwarz-gelbe Bundesregierung da vorgelegt hat, ja, würde ich das ausschließen. Was man allerdings immer machen kann ist, sozusagen die Entscheidung noch mal aufzuteilen. Man kann zum Beispiel für jedes einzelne der Kraftwerke, die jetzt dann doch abgeschaltet werden sollen, was ja ein Erfolg ist, also die sieben ältesten und Krümmel, eine Einzelentscheidung darüber machen, der man dann auch zustimmen kann. Das würde ich natürlich nicht verweigern. Aber den endgültigen Atomausstieg bis 2022 hinauszuzögern, das sind ja vier Legislaturperioden, das halte ich für unverantwortlich.

    Meurer: Die Bundeskanzlerin hat eine erhebliche 180-Grad-Wende hingelegt. Sind die Grünen eine Dagegen-Partei?

    Ott: Nein, weiterhin eine Dafür-Partei, nämlich für den schnellen Atomausstieg, für eine konsequente Energiewende, hin zu einer solaren Gesellschaft, die auf erneuerbaren Energien und auf Effizienz basiert. Und dazu kann dieser Atomausstieg jetzt der erste Schritt sein.

    Meurer: Aber das sind ja Details, die Sie nennen, Herr Ott. Das Große und Entscheidende ist doch, dass die bürgerliche Regierung aus dem Atomzeitalter aussteigen will. Und das wollen Sie nicht honorieren?

    Ott: Das glaube ich ihnen so nicht! 2022, das bedeutet, da sind noch drei Wahlen dazwischen, und das Trauma vom letzten Herbst war doch, dass wir da sitzen mussten und zusehen mussten, wie diese schwarz-gelbe Bundesregierung den rot-grünen Atomausstieg wieder rückgängig gemacht hat und die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert hat, und das möchte ich nicht noch mal erleben. Das heißt, entweder verkürzt man noch mal radikal die Zeit, bis die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen, oder man kann zum Beispiel auch den Atomausstieg ins Grundgesetz schreiben. Jetzt haben wir doch eine Zwei-Drittel-Mehrheit dafür und das wird dann eben nicht wieder rückgängig sein. Wenn der Atomausstieg jetzt beschlossen wird, dann muss er endgültig sein.

    Meurer: Wie sehr haben Sie sich über Winfried Kretschmann geärgert, den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg?

    Ott: Ich fand das unklug, dass er den Atomausstieg zusammen mit schwarz-grünen Optionen verknüpft hat. Und das war in der Sache jetzt nicht dienlich und ist aber auch verschiedentlich dann korrigiert worden. Also hier geht es nicht darum, irgendwelche Koalitionsoptionen auszuloten, sondern wir müssen in der Sache richtig entscheiden, und das bedeutet endgültiger Atomausstieg. Das bedeutet, wir müssen dafür sorgen, dass es eine offene Endlagersuche gibt, dass nicht in Gorleben weitergebuddelt wird. Wir müssen dafür sorgen, dass in Gronau die Atomanreicherungsanlage stillgelegt wird, dort werden fast zehn Prozent des gesamten nuklearen Materials der Welt produziert.

    Meurer: Das mit der Endlagersuche hat die Ethikkommission doch genau vorgeschlagen und empfohlen, noch mal neu untersuchen, wo das Endlager sein könnte.

    Ott: Genau, und dass die Bundesregierung dem nicht folgt, das halte ich für einen großen Fehler. Deshalb müssen wir das reinverhandeln in diese Atomgesetznovelle.

    Meurer: Der Satz von Winfried Kretschmann, Angela Merkel verdient großen Respekt für ihre Entscheidung, der kommt Ihnen im Traum nicht über die Lippen?

    Ott: Nein, weil der natürlich, weil die Angst getrieben war. Wenn das nun wirklich eine ethische Entscheidung gewesen wäre, schön und gut, aber nur aus Angst vor den 80 Prozent der Deutschen, die jetzt keine Atomenergie mehr wollen, das, finde ich jetzt, verdient keine Bewunderung.

    Meurer: Für viele mag das so klingen, den Grünen kann man es nicht recht machen. Jetzt sagt die Kanzlerin und zieht ihre gesamte Parteienkoalition mit, Atomausstieg, und Sie sind damit nicht zufrieden.

    Ott: Wenn man das Ergebnis sieht, dann merkt man doch: Da sind verschiedene Hintertürchen, die sie sich offen gehalten hat. Und: der konsequente Umstieg auf erneuerbare Energien wird ja nicht gemacht. Da werden neue Wege eröffnet für Kohle- und Gaskraftwerke, da wird die Windkraft an Land schlechter gestellt als vorher. Das sind doch alles keine Bedingungen, wo man sagen muss, hier können wir frohen Herzens zustimmen. Das muss nachgebessert werden, dann können wir auch zustimmen. Ansonsten muss man mehr fordern als das, was die Bundesregierung jetzt da macht.

    Meurer: Wie turbulent, Herr Ott, glauben Sie, wird der Sonderparteitag nächste Woche in Köln verlaufen?

    Ott: Ich glaube und hoffe, dass wir sehr leidenschaftlich diskutieren werden, aber ohne Bitterkeit, dass also niemand dem anderen irgendetwas unterstellt, sondern das ist eines unserer Herzensthemen, das ist wichtig für die Identität unserer Partei, und wir werden aber am Ende, denke ich mal, ein Ergebnis bekommen, mit dem wir, mit dem die grüne Spitze dann in Verhandlungen mit Angela Merkel treten kann, wo einige kritische Bedingungen auch definiert werden, wie wir zustimmen können.

    Meurer: Soll das Ergebnis von Köln lauten, Herr Ott, "ja, aber ... ", oder "nein, aber ... "?

    Ott: Das Ergebnis des nächsten Parteitages sollte lauten, "ja, wenn ... " und "nein, wenn nicht ... ".

    Meurer: Hermann Ott, klimapolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, zur Empfehlung der Grünen-Spitze, dem Atomausstieg der Bundesregierung zuzustimmen. Herr Ott, besten Dank und auf Wiederhören.

    Ott: Danke, Ihnen auch.