Samstag, 20. April 2024

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24 Préludes von Rachmaninow
Kühler Kopf gewinnt!

Rachmaninows Préludes bieten eine ideale Vorlage für schwülstige Interpretationen. Nikolai Lugansky aber tappt bei seiner Neu-Einspielung weder in die Klischee-Falle noch in die Kitsch-Grube. Er wählt lieber vornehme Zurückhaltung.

Am Mikrofon: Mascha Drost | 08.04.2018
    Der Pianist Nikolai Luganski
    Der Pianist Nikolai Lugansky (Jean-Baptiste Millot)
    Sergej Rachmaninow hatte es anfangs nicht darauf angelegt - aber es musste wohl so kommen. Man beginnt nicht einfach so einen Zyklus von Klavierpréludes, ohne schließlich bei der magischen Zahl 24 zu enden, und alle Tonarten einmal durchgespielt zu haben.
    Zykluscharakter trotz langer Enstehungszeit
    Anders etwa als Frédéric Chopin, Alexander Skrjabin oder später Dmitri Schostakowitsch hat Rachmaninow seine Préludes allerdings nicht unter einem großen, verbindenden Opus vereint, sondern innerhalb von fast 20 Jahren erst eines, dann zehn und schließlich dreizehn Préludes unter verschiedenen Opuszahlen veröffentlicht; dass sie dennoch zusammengehören, zeigt exemplarisch die heutige Neue Platte - einer der bedeutendsten Rachmaninow-Interpreten hat die 24 Préludes neu eingespielt: der russische Pianist Nikolai Lugansky. Eine herausragende Aufnahme, das sei vorweggeschickt!
    Musik: Sergej Rachmaninow, Préludes op. 23, Nr. 7 c-Moll
    Diese Verbindung von düsterer Leidenschaft und gleißender Artistik über alle Oktaven hinweg ist Rachmaninow par excellence - und wie oft klingt diese hochenergetische Musik aufgedunsen, schwülstig, gar ordinär. Schuld daran ist meist eine Überdosis an Pedal, Agogik und vor allem: zu gut gemeinter Hingabe. Nicht nur durch ungezähmten Überschwang junger Pianisten ist Rachmaninow immer wieder unter Kitschverdacht geraten - die Fülle seiner üppigen Harmonien, seiner Klangorgien verführt geradezu zum hemmungslosen Schwelgen - da einen kühlen Kopf zu bewahren, erfordert einiges an Selbstdisziplin.
    Nikolai Lugansky gelingt das selbst beim ersten, berühmt-berüchtigten cis-Moll-Prélude. Kraftvoll die ersten Töne, und dann, wie aus dem Nebel heraus, die berühmte Akkordfolge - suchend und frei von Bombast.
    Musik: Sergej Rachmaninow, Prélude op. 3, Nr. 2 cis-Moll
    Für den Komponisten waren diese gut vier Minuten Fluch und Segen zugleich: Ein Hit, der weltweit bekannt wurde, aber der anderen - und von Rachmaninow geschätzteren - Werken die Schau stahl, Konzert für Konzert, Zugabe um Zugabe.
    Reduktion heißt das Zauberwort
    Nikolai Lugansky gelingt hier eine Neuerfindung - aber nicht, indem er diesem und den anderen Préludes eine waghalsige Neuinterpretation überstülpt. Reduktion heißt das Zauberwort, vornehme Zurückhaltung - den Blick freilegen auf die großartige Architektur dieser Werke, die durch das kultivierte und niemals effekthascherische Spiel Luganskys so wie nur selten zum Tragen kommt.
    Musik: Sergej Rachmaninow, Préludes op. 23, Nr. 4 D-Dur
    Gerade an nicht vordergründig virtuosen Préludes wie dem eben gehörten Nr. 4 aus op. 23 zeigt sich die große pianistische Kunst von Nikolai Lugansky - wie er Rubati auf delikateste Weise einsetzt, wie er Vielstimmigkeit gestaltet, klanglich schattiert. So kunstvoll wie natürlich ist alles gestaltet, mit einer Noblesse, die keine Manierismen duldet, und je bekannter das Stück, desto größer die Abneigung vor Klischees.
    Musik: Sergej Rachmaninow, Préludes op. 23, Nr. 5 g-Moll
    Nikolai Lugansky zeigt hier: Man braucht für dieses "Alla marcia" in g-Moll keine Stahlfinger - und selbstauferlegte Zurückhaltung hat nichts mit Nüchternheit zu tun. Rachmaninows künstlerisches Credo lautete nicht ohne Grund: "Das zu sagen, was zu sagen ist, und dies ganz ohne Umschweife und in aller Klarheit." Und Nikolai Lugansky folgt ihm darin konsequent vom ersten bis zum letzten Prélude.
    Mit gelassener Raffinesse durch alle Tonarten
    Die 24 Werke sind innerhalb einer größeren Zeitspanne entstanden und verteilen sich über drei verschiedene Opuszahlen, aber auch sie spielen die Tonarten durch - wenn auch nicht streng nach dem Quintenzirkel - und knüpfen dramaturgische Verbindungen. So ist das folgende ein sanftes Gegenstück in G-Dur zum eben gehörten Marsch.
    Musik: Sergej Rachmaninow, Préludes op. 32, Nr. 5 G-Dur
    Je später die Préludes umso artifizieller scheint die Musik zu werden - weg von der überbordenden, wirkungsvollen Virtuosität der frühen Stücke hin zu einer verdichteten atmosphärischen wenn auch nicht weniger schwer zu meisternden Klangfülle. Enden lässt Rachmaninow seine Préludes in einer wahren Apotheose - eine mächtige Kathedrale aus Akkorden, eine rachmaninowsche Klangorgie.
    Musik: Sergej Rachmaninow, Préludes op. 32, Nr. 13 Des-Dur
    Hier kennt die ansonsten so kultivierte Aufnahme von Nikolai Lugansky keine Scheu - im letzten der 24 Préludes von Sergej Rachmaninow. Eine herausragende Neueinspielung, die gerade beim Label Harmonia Mundi France erschienen ist.
    24 PRELUDES
    Sergej Rachmaninow: Préludes op. 23 & 23, Morceaux de fantaisie, op. 3, Nr. 2
    Nikolai Lugansky, Klavier
    Label: harmonia mundi, LC 7045, EAN 3149020233924