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25.4.1974 - Vor 30 Jahren

Es ist Donnerstag, der 25. April 1974 - kurz nach Mitternacht. In einer Radiostation legt der Moderator mit zitternden Händen eine Platte auf. Das Lied ist verboten. Es heißt: Grândola villa morena - Grândola, braune Stadt der Brüderlichkeit. Das war das Signal.

Von Walter van Rossum | 25.04.2004
    Die Eingeweihten in Portugals Kasernen wussten, es ist soweit.

    So berichtete der Hörfunk-Korrespondent Robert Gerhardt noch am selben Tag aus Lissabon.

    Elitesoldaten des Ausbildungscamps der Kavallerie in Santa Rem, 80 km nördlich von Lissabon, marschieren in Richtung Hauptstadt. Aus Estremos rückt von Westen die Panzerdivision heran. Von Viseu kommen zwei Kompanien des Infanterieregiments Nr. 14. Schon gegen 3 Uhr nachts sind der Flughafen und andere strategisch wichtige Punkte der Metropole in den Händen der Aufständischen. Um 4.20 Uhr besetzen Einheiten des 5. Jägerregiments in Lissabon die private Rundfunkstation Radio Globe Português und verblüffen die verschlafene Nation mit der Ankündigung, eine Bewegung der Streitkräfte habe sich erhoben, um das Land zu befreien.

    Was sich zunächst bedrohlich anhörte, wurde bald zu einem Volksfest. Es kam nur zu einem kurzen Schusswechsel, dann übernahm das Militär unter der Führung von General Antonio de Spinola unblutig die Macht. Die Portugiesen steckten den aufständischen Soldaten Nelken in ihre Gewehrläufe. Deshalb wurde der Staatsstreich bald Nelkenrevolution genannt.

    Die Massen skandieren begeistert MFA – das portugiesische Kürzel für "Bewegung der Streitkräfte". Und die MFA fegte an einem einzigen Tag die alten Mächte weg, die seit einem halben Jahrhundert Portugal am Atmen hinderten. Ursprünglich waren die Streitkräfte zusammen mit Großgrundbesitzern, Banken und der Kirche Teil des diktatorischen Systems. Aber das Militär hatte sich in den jahrelangen so brutalen wie sinnlosen Kolonialkriegen, auch Buschkriege genannt, aufgerieben. Nicht umsonst war General de Spinola ein ehemaliger Kolonialoffizier. Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, die restlichen Kolonien Portugals für unabhängig zu erklären.

    Es ist jetzt der Moment für den Präsidenten der Republik gekommen, feierlich die Anerkennung des Rechtes der Völker der überseeischen Territorien auf Selbstbestimmung zu erklären – eingeschlossen die sofortige Anerkennung des Rechtes auf Unabhängigkeit.

    Bereits vor 1974 hatte de Spinola in einem Buch über die "Zukunft Portugals" die Notwendigkeiten eines Systemwechsels beschworen.

    "Das geeinte Volk wird nie besiegt", sangen die Massen an jenem Tag. Und nie waren die Massen geeinter. Nach 48 Jahren Diktatur war das Land vollkommen erschöpft. Mit einem pro Kopf Jahreseinkommen von 640 Dollar war es eines der ärmsten Länder Europas.

    Der Kopf der revolutionären Militärs war der erst 36jährige Otelo de Carvalho. Er wurde sofort zum Volkshelden. Er hatte nichts Geringeres vor, als Portugal zu einem europäischen Kuba zu machen. So folgte auf den wunderbaren Frühling der Revolution ein heißer Sommer, in dem heftig um die politische Zukunft Portugals gerungen wurde. Die linksrevolutionären Militärs wurden schließlich entmachtet, damit ging die letzte romantische Revolution in Europa zu ende und mündete in einer bürgerlichen Demokratie.