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25 Jahre Hauptstadtbeschluss
"Bonn war ein Provisorium"

Vor 25 Jahren wurde Berlin mit sehr knapper Mehrheit zum neuen Regierungssitz gewählt. Ein Grund dafür sei gewesen, dass der Kalte Krieg in vielen Köpfen noch vorhanden war, sagte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki im Deutschlandfunk. Er selbst stimmte damals für Berlin.

Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Bettina Klein | 20.06.2016
    Der Fraktionsvorsitzende der schleswig-holsteinische FDP, Wolfgang Kubicki.
    Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki. (dpa-Bildfunk / Axel Heimken)
    Klein: Wolfgang Schäuble und Rita Süssmuth hörten wir da gerade. - Die Entscheidung war knapp am Ende und am Ende habe die Rede von Wolfgang Schäuble die Stimmung gewendet und die Unentschlossenen überzeugt, dann doch für Berlin statt Bonn als Hauptstadt zu stimmen, genau heute vor 25 Jahren. Wolfgang Schäuble selbst räumt heute ein, wie unfassbar es für ihn war, dass alle alten Bundesländer bis auf Berlin gegen Berlin als Hauptstadt gestimmt hatten. Der Riss ging durch alle Fraktionen und Parteien, auch durch die FDP. - Der Schleswig-Holsteiner Wolfgang Kubicki stimmte damals für Berlin und wie er die Diskussion heute sieht, darüber können wir jetzt mit ihm sprechen. Guten Morgen, Herr Kubicki.
    Wolfgang Kubicki: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Weshalb haben Sie eigentlich für Berlin gestimmt?
    Kubicki: Für mich als Nordlicht war klar, dass mit der Herstellung der deutschen Einheit die Hauptstadt wieder nach Berlin verlagert werden muss. Das war ja auch die ursprüngliche Intention. Die Bundesrepublik war ein Provisorium, Bonn war ein Provisorium und mit Hilfe der deutschen Einheit hatte sich das erledigt. Man muss sich nur angucken: Bonn ist eine liebenswerte, aber immerhin kleine Provinzstadt. Berlin ist tatsächlich eine Metropole und es musste selbstverständlich sein, dass nach der Wiedervereinigung auch Berlin wieder Hauptstadt wird.
    Klein: Sie weisen darauf hin, Herr Kubicki, dass es für Sie als Norddeutscher eigentlich klar war, für Berlin zu stimmen. Also haben durchaus auch landsmannschaftliche Erwägungen eine Rolle gespielt, dass man sich zum Beispiel als Norddeutscher eher in der nordostdeutschen Hauptstadt zuhause fühlen könnte?
    "Ich bin froh, dass sich Berlin durchgesetzt hat"
    Kubicki: Ja, das auch schon. Aber entscheidend war vor allen Dingen, dass es einen rheinischen Regionalpatriotismus gab. Im Rheinland, in Nordrhein-Westfalen, in angrenzenden Ländern war die Überlegung vorhanden, dass Berlin dann wieder ein Moloch werden würde, dass das sehr zentriert würde und dass man doch mit dem Provisorium Bonn sehr gut gelebt habe - kurze Wege, man hatte sich eingespielt. Und man muss hinzusetzen: Es war noch nicht ganz klar, wie sich die weitere europäische Entwicklung gestaltet. Berlin war näher an der polnischen Grenze. Deshalb ist beispielsweise das Bundesverteidigungsministerium ja auch im Wesentlichen in Bonn geblieben, weil noch nicht klar war, ob die Stabilität ausreichen würde, dass es keine weiteren Verwerfungen geben würde, dass die Feindschaft aufhören würde zum ehemaligen Ostblock und andere Dinge mehr. Der Kalte Krieg war auch noch in vielen Köpfen vorhanden, insbesondere der älteren Generation, und deshalb gab es ein so großes Votum für Bonn und ein vergleichsweise geringes Votum für Berlin. Aber ich bin froh, dass sich Berlin durchgesetzt hat, und wenn man das im Rückblick sieht, können wir alle froh sein, dass Berlin sich durchgesetzt hat.
    Klein: Bonn steht für 40 Jahre verlässliche deutsche Demokratie, auch für ein Modell deutscher Bescheidenheit. Das war ja ein zentrales Argument der Bonn-Befürworter damals. Weshalb hat Sie das nicht überzeugt?
    Kubicki: Weil das Argument der Bescheidenheit zwar ein durchgreifendes ist, aber Bonn stand auch für Provinzialität. Bonn ist eine Kleinstadt. Jeder kannte jeden, man traf sich immer überall wieder. Und entscheidend ist: Schauen Sie sich in der Welt um. Die Hauptstädte sind in den großen Städten und die Regierungszentralen sind in den großen Städten. Und noch einmal: Es war klar, mit Herstellung der deutschen Einheit wird Deutschland auch wieder von Berlin aus regiert, jedenfalls überwiegend. Wir haben einen föderalen Aufbau, deshalb musste man keine Angst haben vor einer starken Metropole Berlin, und es hat sich ja bis heute auch bewährt. Man muss sagen, wenn Sie jetzt zurückschauen, Bonn und Berlin vergleichen würden, dann würden Sie sagen, heute würden wir uns doch nicht, ich will nicht sagen, schämen, aber jedenfalls wären wir doch ein bisschen betroffen, wenn Bonn Regierungssitz wäre und nicht Berlin.
    Klein: Es gibt Rheinländer, die trauern dem bis heute hinterher und finden eigentlich bis heute, dass aus Bonn möglicherweise die bessere Bundespolitik gemacht worden wäre, wegen der Argumente, die auch damals schon für Bonn sprachen.
    Kubicki: Ja das glaube ich nicht. Einer meiner guten Freunde, Friedel Drautzburg, der damals die Kampagne gestartet hat "Bonn muss Bonn bleiben", Bonn muss Hauptstadt bleiben, der war einer der ersten, der nach Berlin gegangen ist, dort die ständige Vertretung aufgemacht hat und heute mit Sicherheit sagen würde, es war gut, sich für Bonn einzusetzen, aber die Entscheidung im Ergebnis war gut, dass Berlin Hauptstadt wurde.
    "Die innere deutsche Einheit hätte sich deutlicher verzögert"
    Klein: Viele derjenigen, die damals für Bonn gestimmt haben, sagen ja heute auch, sie bedauern rückblickend die Entscheidung oder finden es gut, dass es anders gekommen ist. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie die deutsche Geschichte möglicherweise anders verlaufen wäre, wenn es nicht zu diesem Umzug gekommen wäre? Denn wir sagen es noch mal: Die Entscheidung war knapp. Das war überhaupt gar nicht garantiert, dass es so kommen würde.
    Kubicki: Ich glaube, die innere deutsche Einheit hätte sich deutlicherer verzögert als gegenwärtig, denn es wäre auch eine Entscheidung gewesen gegen Ostdeutschland. Eines der Argumente war ja auch, Berlin liegt sozusagen im Zentrum der neuen Bundesländer und von Berlin aus kann auch die deutsche Einheit im Inneren hergestellt werden. Es hat zwar ein bisschen gedauert, aber es hat sich doch bewährt, denn von Berlin aus strahlt natürlich sehr viel nach Brandenburg, nach Sachsen, nach Sachsen-Anhalt, und es war für die Menschen, glaube ich, auch in Deutschlands Osten wichtig zu sehen, dass man auch eine positive Entscheidung in ihre Richtung treffen kann, um dem Satz damals von Helmut Kohl, wir werden daran arbeiten, dass blühende Landschaften entstehen, auch etwas mehr Gewicht zu verschaffen. Ich denke, für die innere deutsche Einheit war die Entscheidung Berlin genauso wichtig wie andere Dinge, die wir ins Leben gerufen haben, wie die Gesetze zur deutschen Einheit, die Infrastrukturmaßnahmen und andere Dinge mehr. Eine Abkehr von Berlin wäre auch rückwärtsgewandt gewesen. So finde ich, dass damit dokumentiert worden wäre, die deutsche Einheit muss noch ein bisschen auf sich warten.
    "Es geht Bonn heute besser als jemals zuvor"
    Klein: Ich will trotzdem noch mal an ein weiteres Argument erinnern, an das ich mich noch sehr gut erinnere, ein Argument nicht nur der Rheinländer, aber natürlich auch, dass mit diesem Umzug nach Berlin der Westen, sage ich jetzt mal, einem Reformstau überlassen werde, der bereits in den 80er-Jahren sich aufgetürmt hat, und nun wird der ganze Fokus in den Osten und auf den Aufbau Ost gerichtet, was ja dann auch tatsächlich so gekommen ist. Sehen Sie das rückblickend auch so, dass vieles im alten Westteil der Bundesrepublik liegen geblieben ist?
    Kubicki: Nun kann man den Reformstau im Westen der Republik nicht als Begründung dafür herziehen zu sagen, jetzt bleiben wir in Bonn und wir gehen nicht nach Berlin. Umgekehrt würde ich das sogar sehen. Bonn hat ja sehr viele Kompensationsleistungen erhalten. Es geht Bonn heute besser als jemals zuvor als Stadt. Es hat Riesen-Entwicklungsmöglichkeiten dort gegeben. Es sind internationale Organisationen dort hingezogen. Bonn hat nicht verloren, sondern gewonnen. Bonn hat zwar den Hauptstadtsitz verloren, aber hat als Stadt gewonnen, und wenn man heute durch Bonn geht und in Bonn ist, dann hört man ja auch immer wieder, eigentlich war es gar keine schlechte Entscheidung, selbst wenn viele Ministerialbeamte, die dort wohnen, die dort sich angesiedelt haben, dort soziale Bezüge haben, zunächst einmal gemault haben. Das ist ja auch abgefedert worden dadurch, dass wir einen Riesen-Reiseverkehr organisiert haben, der jetzt aber langsam zum Ende kommen muss. Nach 25 Jahren kann man feststellen: Es macht keinen Sinn, Dienstsitze in Bonn weiter zu unterhalten. Berlin hat sich entwickelt, Europa hat sich stabilisiert und deshalb, finde ich, müssten wir schnell dazu übergehen, dass wir Bonn endgültig als Regierungssitz verlassen und das alles auf Berlin konzentrieren.
    Klein: Genau darauf wollte ich jetzt zu sprechen kommen, denn Barbara Hendricks, die zuständige Ressortchefin, die Bauministerin in Berlin, hat das ja angestoßen, ich glaube im Dezember schon. Man sollte überlegen, ob das jetzt mal ein Ende haben soll mit diesem quasi Doppel-Regierungssitz. Damit hat sie sich jetzt nicht so übermäßig viele Freunde gemacht, aber Tatsache ist: Sie hat einen Arbeitsstab eingerichtet, der in den kommenden Monaten sich das Ganze jetzt mal anschauen möchte, und man wird dann zu weiteren Entscheidungen kommen. Gehen Sie davon aus, dass es da noch eine Menge Gegenwind geben wird und das nach eingehender Prüfung dann doch beerdigt wird?
    Kubicki: Na ja, es wird Gegenwind geben von denen, die persönlich betroffen sind. Die, die in Bonn wohnen und ihren Wohnsitz haben und lange dort zuhause sind, die ihre Kinder dort in den Schulen haben, werden natürlich nicht lachen darüber, dass sie dann möglicherweise ihren Dienstsitz verlegen müssen. Aber noch einmal: Darum kann es nicht gehen. Es muss darum gehen, dass man sich jetzt konzentriert, dass man die Reisetätigkeiten einschränkt, dass die vielen Kosten, die damit verbunden sind, dass Doppelstrukturen aufgebaut worden sind, vermieden werden. Und wenn man darüber nachdenkt, will doch jeder in die Nähe der Ministerien, der Zentralen und nicht auf dem Land versauern. Es wird eine Frage von wenigen Jahren sein und dann wird sich diese Erkenntnis insgesamt durchgesetzt haben, und die Behörden werden sich auf Berlin konzentrieren.
    Klein: Der Bonner Bürgermeister hat schon Widerstand dagegen angekündigt. Was würde das denn bedeuten für Bonn, Ihrer Meinung nach, wenn jetzt wirklich alle Regierungsbeamte auch umziehen? Denn die Befürchtung ist ja, dass damit auch internationale Behörden und Institutionen weggehen werden.
    "Es wird Zeit, dieses Provisorium doppelter Dienstsitze zu beenden"
    Kubicki: Das glaube ich nicht. Im Gegenteil: Es wird so sein, dass weitere Institutionen, ob von europäischer Ebene oder von internationaler Ebene, nach Bonn kommen können und dort die entsprechenden Baulichkeiten, die ja vorhanden sind, übernehmen können. Es wird natürlich schmerzlich sein für zunächst Arbeitsplätze in Bonn, denn die werden wegfallen, und es wird schmerzlich sein auch für diejenigen, die ihr Leben in Bonn organisiert haben. Aber die Republik kann darauf bedauerlicherweise keine Rücksicht nehmen, auf so Einzelschicksale. Es wird Zeit, dass wir nach 25 Jahren dieses Provisorium doppelter Dienstsitze beenden und uns auf Berlin konzentrieren.
    Klein: Das Bonn-Berlin-Gesetz müsste dafür geändert werden. Wenn der politische Wille vorhanden ist, dann könnte das so kommen. Das wird man sehen, ob das so kommt. Frau Hendricks sagt ja, sie geht davon aus, dass in dieser Legislaturperiode noch der Anstoß dafür gegeben wird.
    Unter dem Strich, Herr Kubicki: Man hat den Eindruck, es gibt auch weiterhin zumindest mentale Vorbehalte gegen Berlin, die es auch schon am Anfang gegeben hat, gegen den Moloch, gegen ein raues Klima. Es wurde beklagt, dort wird in Hintergrundgesprächen nicht mehr dichtgehalten. Das alles zählt für Sie nicht? Da müssen sich diejenigen, die da weiter Skepsis haben, dann möglicherweise auch zurückhalten, oder sich mit den Gegebenheiten abfinden, oder was sagen Sie?
    Kubicki: Ja gut. Dass in Bonn dichtergehalten wurde als gegenwärtig, hat nichts damit zu tun, dass Bonn klein ist und Berlin groß ist, sondern hat was mit der Veränderung der Medienlandschaft zu tun, und damit, dass sehr viel mehr Medien als in den 80er-, 90er-Jahren am Markt sind, und dass sehr viel mehr Freelancer unterwegs sind, die Informationen verkaufen. Berlin ist kein Moloch, sondern in Berlin hat man die Chance, auch als Abgeordneter mal wirklich für sich allein zu sein, denn Sie können in einer fast vier Millionen Stadt einfacher untertauchen im wahrsten Wortsinn, einfach mal rausfahren und werden nicht angesprochen. In Bonn wusste jeder, wer wer ist, und in Berlin interessiert sich wahrscheinlich drei Viertel der Bevölkerung überhaupt nicht für das, was im Reichstag passiert. Berlin ist auch kein Moloch, ist einfach nur eine große Metropole, eine wunderschöne Stadt, und alle die, die in Berlin sind und waren, wenn Sie die heute fragen, sagen die, Mensch, war eine tolle Entscheidung, dass wir jetzt hier sind. Man überlege sich, wir wären in einer kleinen Provinzhauptstadt wie Bonn, das wäre kaum zu ertragen.
    Klein: … sagt der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki zur Bonn-Berlin-Entscheidung heute vor genau 25 Jahren und der Frage, wie es jetzt weitergehen soll. Herr Kubicki, danke für das Gespräch.
    Kubicki: Bitte. - Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.