Donnerstag, 18. April 2024

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25 Jahre Musikmagazin "Intro"
"Die Kids wollen Intro noch"

Daniel Koch fing vor gut zehn Jahren als Praktikant beim Musikmagazin "Intro" an - heute ist er dort Chefredakteur. Braucht es in Zeiten der direkten Social-Media-Drähte zwischen Musiker und Fans noch Musikjournalismus? Koch meint: "Ja, natürlich!"

Daniel Koch im Gespräch mit Adalbert Sinawski | 08.12.2016
    Der Intro-Chefredakteur Daniel Koch zu Gast im Funkhaus Köln.
    Der "Intro"-Chefredakteur Daniel Koch zu Gast im Funkhaus Köln (Deutschlandradio / Adalbert Siniawski)
    Popmusik werde nach wie vor gefeiert, aber in jedem Monat gebe es so unendlich viele Neu-Erscheinungen: "Da braucht es meiner Meinung nach Menschen, die sich intensiv mit der Musik beschäftigen und sie einordnen - quasi eine Filterfunktion", sagte "Intro"-Chefredakteur Daniel Koch im Deutschlandfunk.
    Musikjournalismus sei auch nach wie vor eine Vertrauenssache. Und da habe "Intro" ein Pfund, mit dem es wuchern könne. "Ich glaube dran, dass die Kids Intro noch wollen und brauchen", sagte Koch.
    Als Gratismagazin Geld verdienen
    "Intro" ist ein Gratismagazin. "Wir müssen Geld verdienen - das ist klar", sagte Koch. Doch sei die Abhängigkeit von der Musikindustrie in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Intro habe sich breiter aufgestellt: "Filme, Mode passen gut zu uns - und deswegen sind wir auch für Lifestyle-Marken interessant." Außerdem seien den Labels unabhängiger Musikjournalismus wichtig, weil er glaubwürdiger sei. Man sehe Musikmagazinen an, wenn diese nur PR lieferten, meinte Koch.
    "Intro" mache den Labels auch von Anfang an klar, dass sie über Künstler in der Weise berichteten, die zum "Intro"-Stil passe: "Es kommt vor, dass Künstler geknickt sind, weil Intro ihre Platte nicht gut findet." Wenn dann vom Label das Druckmittel komme, die Anzeige im Magazin zurückzuziehen, dann sei das eben so: "Das halten wir aber aus."

    Das Interview in voller Länge:
    Adalbert Siniawski: Zeitsprung ins Jahr 1992: Vom Internet weiß kaum einer etwas. Was Popkultur angeht, sind Musikzeitschriften sind Infoquelle Nummer eins . Deutschland raved und tanzt auf der Loveparade. Und in dieser Zeit versuchte ein neues Blatt aus dem beschaulichen Melle-Dratum bei Osnabrück mit zunächst 12 Seiten die weite Welt des Pop zu berichten. Vor ziemlich genau 25 Jahren erschien die erste Ausgabe von "Intro". Ein Heft, was sich zum Branchenprimus gemausert hat, Medienkrisen überstanden hat und mittlerweile in Köln angesiedelt ist. Daniel Koch ist seit zweieinhalb Jahren Chefredakteur von "Intro" und bei mir im Studio. Herzlich Willkommen zum Corso-Gespräch.
    Daniel Koch: Hallo. Danke für die Einladung.
    Siniawski: Ja, vom improvisierten Blatt aus der Provinz zum überregionalen Echolot der Popkultur. Wundern Sie sich manchmal über diesen Aufstieg von "Intro"?
    Koch: Tatsächlich, also als ich das "Intro" Ende der 90er oder Mitte der 90er zuerst in die Hand bekommen habe, war das noch ein relativ irres Blatt. Also sehr leidenschaftlich gemacht und schon sehr tolle Autoren drin. Auch einige Namen, die dann nachher durchaus weiter gezogen sind und auch inzwischen journalistisch durchaus größere Namen sind, sage ich jetzt mal. Und da hätte ich damals nicht gedacht, dass das tatsächlich mal ein Magazin wird, was mein Musikhören jetzt prägt, aber was tatsächlich auch so lange dranbleibt. Und es geht mir immer noch so.
    Also ich bin so Mitte der Nullerjahre als Praktikant dort angefangen nach meinem Studium und dass ich da dann am Ende als Chefredakteur rauskomme, hätte ich jetzt auch nicht so gedacht. Und das ist eigentlich eine ganz schöne Klammer, vor allen Dingen weil ich auch aus der Gegend stamme, wo "Intro" damals groß wurde und diese ganzen Clubs, wo es zuerst auftauchte, auch durchaus so mit 16, 17, 18 besucht habe und da sozialisiert wurde.
    Die DNA von "Intro"
    Siniawski: Was ist das Besondere? Was ist der Spirit? Ihr Kollege Carsten Schumacher hat über das erste "Intro"-Team geschrieben: "Es waren beseelte Spinner auf der Suche nach einem neuen, besseren Land in der Musik". Wissen Sie, was damit gemeint ist?
    Koch: Er hat es angenehm pathetisch gemacht, wie ich finde. Aber gerade das finde ich eigentlich ganz schön, weil das ist glaube ich auch ein bisschen das, was für mich als Leser und inzwischen auch als Schreiber und natürlich auch als Chefredakteur also ein bisschen in der DNA des Blattes drin ist. Es sieht inzwischen sehr professionell aus, aber der ganze Duktus und die Art und Weise, wie da manchmal noch über Quatsch berichtet wird oder manchmal auch über Unbekanntes, das ist für mich immer noch so ein bisschen, wie so ein professionalisiertes Fanziehen und das fand ich eigentlich immer sehr schön. Und ich hab damals Musikmagazine verschlungen, alle möglichen, alle die ich in die Finger bekommen habe, auch je nach Musikrichtung so ein bisschen.
    Und fand das an "Intro" eigentlich schon immer schön, dass das ein sehr eigener Tonfall war. Dass es natürlich gratis war, war damals für mich auch gar nicht so schlecht, dass man da nicht noch Geld für ausgeben musste. Und es waren ganz viele Autoren über die Jahre, Carsten Schumacher war eine so eine Stimme zum Beispiel, Tim Jürgens in den Anfangsjahren, oder natürlich auch mein Vorgänger Thomas Venker und Linus Volkmann. Das waren sehr eigene Stimmen, die auch meiner Meinung nach auch spleenigen Musikjournalismus gemacht haben. Und das fand ich, hat für mich Intro so ein bisschen ausgezeichnet immer.
    "Die Popmusik braucht noch eine Stimme"
    Siniawski: Ja, Sie sagten Gratisblatt. Heute finden Fans Infos ja auch gratis im Netz, direkt auf den Internetseiten der Künstler und der Plattenlabels. Warum brauche ich dann eine "Intro"?
    Koch: Ja. Das ist natürlich die große Frage und es ist eine Frage, die natürlich dieser Tage immer wieder verhandelt wird, ob es noch einen Musikjournalismus braucht. Weil man sieht es ja, so ein Riesenkünstler wie Casper, der legt halt über Facebook die direkte Leitung zu seinen Fans und alle flippen aus. Das stimmt natürlich schon. Aber Musik, und gerade Popmusik, ist präsent wie eh und je: Wenn man auf Konzerte geht, wenn man in Clubs geht, wenn man in die O2-Arena, in die Mercedes-Benz … oder wie diese ganzen fürchterlichen Läden alle so heißen heute. Aber es gibt ganz viele Leute, die halt Popmusik noch feiern und deswegen glaube ich auch noch, dass es diese Stimme da noch braucht.
    Also wir haben jeden Monat so viel Musik und müssen halt immer diskutieren, was bringen wir dann rein. Wir finden auch immer mehr gut als reinpasst. Und so diese Filterfunktion, ich glaube, die ist noch wichtig und die halt auch in Zeiten, wo es immer einfacher ist, Musik rauszubringen, auch meiner Meinung nach wichtig bleiben. Dass man immer noch Leute hat, die sehr viel Zeit verbringen, Musik zu hören und das Ganze auch ein bisschen einordnen und dann auch mit den Künstlern direkt sprechen und einen direkten Zugang haben, der dann auch über das übliche Facebook-Nachricht-Schreiben hinausgeht.
    "Ich glaube daran, dass die Kids das auch noch wollen."
    Siniawski: Der Filter, sagten Sie, aber das sind andere auch. Also Blogs im Netz, aber auch die legendäre Zeitschrift "Musikexpress" oder "Spex" oder der "Rolling Stone", die machen das halt auch.
    Koch: Genau so ist es. Aber das ist ja gar nicht so verkehrt und das ist ja auch gar nicht verkehrt, dass es da verschiedene Marken gibt.
    Siniawski: Nein, Nein. Aber wie schaffen Sie sich, den dann nochmal, den Platz zu erobern?
    Koch: Für mich ist Musikjournalismus auch so ein bisschen Vertrauenssache immer ein bisschen. Ich habe immer ein Magazin gelesen, wo ich das Gefühl hatte, da sind Leute, die sind in meiner Richtung unterwegs, die wissen, was ich weiß. Die wissen aber vielleicht auch noch ein bisschen mehr, als ich weiß. Und das waren für mich irgendwann Marken. Das war eine Weile für mich die "Visions", als ich eher so Punkrock gehört habe, vorher war es mal der "RockHard" gewesen, irgendwann war es dann die "Intro", so ein bisschen auch durch die Musik-Sozialisation entwickelt. Und ich glaube, das ist ein starkes Fund und das ist das, was all diese Titel meiner Meinung nach haben: Dass sie Marken sind, dass sie halt für etwas stehen, für eine gewisse Ahnung, für eine gewisse Ausrichtung. Und dass es das ist, womit sie arbeiten müssen.
    Auf der anderen Seite muss man natürlich gerade bei einer Marke wie "Intro", "Musikexpress" oder "Rolling Stone" auch aufpassen, dass man sich nicht entscheidet, nur mit seiner Leserschaft zu altern. Weil dann ist der Musikjournalismus irgendwann auch abgeschrieben. Und uns haben mal zum 20. Jubiläum die Kollegen von "laut.de" so nett gedisst, dass das Magazin jetzt endlich älter ist als ihre Leser. Und das war glaube ich so ein bisschen als liebenswerter Diss gedacht. Aber für mich war das damals eigentlich ein sehr großes Kompliment. Weil das ist so ein bisschen das, was man probieren muss, und ich glaube daran, dass die Kids das auch noch wollen.
    "Die Abhängigkeit von der Musikindustrie nimmt ab"
    Siniawski: Sie sagten, diese Gate-Keeper sagen wir mal, oder Filterfunktion, die sei wichtig, allerdings, wie glaubwürdig ist man dabei. Das ist immer so eine wichtige Frage, Gratismedien stehen da unter besonderer Beobachtung der Medienforscher. Die große Abhängigkeit von Anzeigenkunden führt oftmals dazu, dass kritische Texte, ja, Verrisse abgemildert werden, weil man will es sich ja mit dem potentiellen Anzeigekunden aus der Branche ja auch nicht verscherzen. Was ist man als "Intro"-Mitarbeiter mehr? Ist man Journalist oder PR-Berater?
    Koch: Wir müssen natürlich - das darf man an so einer Stelle halt nicht verschweigen - man muss natürlich halt irgendwie als Gratismagazin halt auch Geld verdienen, das ist klar. Ich muss ganz ehrlich sagen, diese Diskussion und diese Abhängigkeit von der Musikindustrie, das sehe ich dieser Tage eigentlich gar nicht mehr so krass. Also wenn ich bedenke, wie das noch so vor 10, 15 Jahren war, da konnte man halt noch ein Politikum auslösen, wenn man geschrieben hat "die neue Metallica ist ganz fürchterlich schlecht" – dann hat die Plattenfirma damit gedroht, die Anzeige zurück zu ziehen, dann wurde zwei Monate nicht mehr miteinander geredet. Und das war natürlich ein Druckmittel und eine Abhängigkeit.
    Bei "Intro" war es von Anfang an immer schon so, dass man Popkultur auch sehr breit gefasst hat und halt auch sehr früh gesehen hat, okay, wir decken eine Lebenswelt ab, die geht auch über Musik hinaus, Filme passen auch ganz gut zu uns, Mode passt auch ganz gut zu uns. Und wir haben so ein bisschen ein Umfeld geschaffen, das auch sicherlich attraktiv für Lifestyle-Marken ist. Und dann ist natürlich eine schöne Sache, wenn die bei uns Anzeigen schalten wollten, nur weiß man natürlich dieser Tage auch, Marken wollen am liebsten auch sehr redaktionell passieren. Und das ist natürlich die Grenze, die halt in allen Medien dieser Tage ausgefochten werden muss. Ich finde, man liest es einem Magazin an, wenn es gekauft und ausverkauft ist.
    Siniawski: Das sehen Sie bei sich nicht? Allerdings, was ich gesehen habe in dieser aktuellen Jubiläumsausgabe: eine Anzeige von Universal. Sie werden vermuten, worauf ich anspiele. Ich zitiere mal für die Hörer: "Wir haben mit euch getrunken, mit euch gekuschelt, debattiert und gefeiert" heißt es in dieser Anzeige von Universal. Klingt nach ziemlich viel Nähe.
    Koch: Das klingt nach ziemlich viel Nähe, die in so einer inzestuösen Branche, wie die Musikindustrie inzwischen ist, nicht zu vermeiden ist. Letztendlich muss man natürlich sagen, natürlich haben wir bei sehr vielen Leuten, bei Universal halt gute Kontakte. Und natürlich gibt es halt auch Kooperationen, gibt es auch Anzeigeschaltungen und dergleichen. Aber, es ist schon immer noch so, dass man sagen kann: Okay, das funktioniert bei uns, das funktioniert nicht bei uns. Und wenn wir halt ein Thema machen, dann sind wir nicht eure Promotion-Maschine, sondern dann wollen wir den Künstler in der Ästhetik, die zu uns passt und mit dem Ansatz, der zu uns passt.
    Und letztendlich ist es natürlich so, dass sich Musikindustrie natürlich auch überlegt: Brauchen wir noch einen Musikjournalismus? Und das ist natürlich eine schöne Sache, dass wir auch sehen, okay, das ist den Labels auch noch wichtig, wenn sie in den etablierten Medien stattfinden und gemocht oder auch gehasst werden. Und es kommt jetzt immer noch manchmal vor, dass ein Künstler total persönlich geknickt ist, weil wir seine Platte fürchterlich finden. Und, ja mein Gott, dann kommt vielleicht auch mal das Druckmittel, dann ziehen wir die Anzeige zurück und das muss man dann halt mal aushalten.
    Zukunft des Print-Musikjournalismus
    Siniawski: Ausblick auf die nächsten 25 Jahre. Wie lange wird es die Druckausgabe des Magazins noch geben und wie lange wird "Intro" gratis sein?
    Koch: Wenn ich die Antworten da genau drauf wüsste, dann würde ich jetzt wahrscheinlich eine sehr clevere PR-Abteilung oder so aufmachen. Ich persönlich würde auch da wieder sagen: Ich glaube, dass halt Print-Musikjournalismus noch weiter existieren kann. Und wir sehen halt auch an unserem Magazin, dass das Interesse auch immer noch sehr groß ist, auch in unserem Heft zu passieren.
    Natürlich muss man sich - und das tun wir auch - auf allen Spielfeldern aufstellen und natürlich haben wir natürlich eine Website seit Jahren schon, natürlich nutzen wir die Möglichkeiten, dass man den Lesern dann gleich die Musik auch noch zukommen lassen kann und sie das dann gleich über Partner hören können. Aber ich glaube dadran, wenn man vor allen Dingen die jüngere Generation noch nicht für Musikjournalismus abschreibt, dann sollte hoffentlich der noch weiter existieren. Ich glaube da eigentlich fest dran.
    Siniawski: Schöner Ausblick, würde ich sagen. Daniel Koch, Chefredakteur der Pop-Zeitschrift "Intro", über das 25. Jubiläum. Die aktuelle Ausgabe liegt aus und ist auch im Netz zu finden. Vielen Dank für den Besuch im Studio und für das Gespräch.
    Koch: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.