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25 Jahre nach dem Brandanschlag in Mölln
Gedenken mit Spannungen

25 Jahre ist es her, dass in Mölln drei türkische Frauen an den Folgen eines rechtsextremistischen Brandanschlags starben. Das Gedenken in Mölln gestaltet sich seit Jahren kompliziert - denn Stadt und Angehörige haben unterschiedliche Vorstellungen und Anliegen.

Von Johannes Kulms | 22.11.2017
    Blick auf das ausgebrannte Haus in Mölln, in dem in der Nacht zum 23. November 1992 drei Menschen ums Leben gekommen sind.
    Blick auf das ausgebrannte Haus in Mölln, in dem in der Nacht zum 23. November 1992 drei Menschen ums Leben gekommen sind. (dpa / picture-alliance)
    Seit vielen Jahren lebt Ibrahim Arslan in Hamburg. Jedes Jahr, wenn es auf den 23. November zugeht, brechen bei ihm Traumata auf, erzählt der 32-Jährige beim Interview in einem Hamburger Café.
    Sieben Jahre ist er alt, als in der Nacht vom 22. auf den 23. November 1992 plötzlich das Haus seiner Familie in Flammen aufgeht. Zwei Neonazis haben Molotowcocktails in das Gebäude in der Möllner Mühlenstraße 9 geworfen.
    "Ich geh’ davon aus, dass meine Oma mich in die Küche gebracht hat. In nassen Handtüchern und neben den Kühlschrank gestellt hat und meine Schwester und meine Cousine retten wollte, weil wir im gleichen Zimmer geschlafen haben. Aber dann selber ums Leben gekommen ist."
    Ibrahim Arslan, Überlebender des Brandanschlags in Mölln im November 1992, spricht am 26.08.2017 in Rostock.
    Ibrahim Arslan am 26.08.2017 in Rostock (dpa / picture-alliance)
    Auch seine Schwester und seine Cousine sterben in den Flammen. Erst nach mehreren Stunden wird Ibrahim Arslan von der Feuerwehr gefunden. In der Küche kauernd, noch immer eingewickelt in die Handtücher.
    "Ich kann mich dann halt nur noch erinnern, weil ich ja ein Kind war mit Fantasie, dass mich Aliens entführt haben. Was aber letztendlich Feuerwehrleute mit Masken waren, die kommuniziert haben."
    Mölln wurde zum Symbol für Ausländerhass
    Die Bilder vom Möllner Fachwerkhaus in Flammen – sie gehen im November 1992 um die Welt. Über Nacht wird die kleine Stadt im Herzogtum Lauenburg zum Symbol für Ausländerhass.
    Seit Jahren geht Arslan regelmäßig an Schulen, erzählt seine Geschichte und diskutiert mit den Jugendlichen über Rassismus. Er hat sich in den letzten Jahren mit den Opfern der NSU-Terrorserie solidarisiert. Arslan will Opfern von rassistischer Gewalt nicht nur eine Stimme geben – sondern auch ihre Rolle anders definieren. Sein Ziel:
    "Dass Betroffene viel mehr Mut sammeln sollen, um zu erkennen, dass sie nicht die Statisten sind, dass sie nicht die Gäste sind, sondern dass sie die Hauptzeugen sind, dass sie die Hauptdarsteller sind in einer Gedenkveranstaltung, in einer Veranstaltung, wo sie eingeladen sind."
    Angehörige der Opfer wollen auf ihre Art gedenken
    In Mölln wohnt Arslan schon lange nicht mehr. Doch zum Jahrestag am 23. November kehrt er stets zurück in das 19.000-Einwohnerstädtchen östlich von Hamburg. Auch viele Mitglieder aus dem linken Spektrum der Hansestadt reisen an.
    "Also, der 23. November ist für uns immer ein großes Spektakel. Weil wir jahrelang eine Erinnerungskultur mitgemacht haben, die inszeniert wurde."
    Arslan sagt: Er und seine Familie seien als Gäste und auch als Redner eingeladen worden – aber eben nicht als Hauptorganisatoren.
    "Und wir haben das nicht eingesehen, weil das unser Gedenken ist, weil wir die Hauptzeugen des Geschehens sind und nicht Statisten haben wir gesagt: Wir möchten jetzt unsere eigene Gedenkveranstaltung."
    Zwei Gedenkveranstaltungen in einer Stadt
    So läuft es nun seit Jahren: Ibrahim Arslan organisiert zusätzlich zu den Aktivitäten der Stadt eine eigene Gedenkveranstaltung. Wir können daran nicht viel ändern, sagt Jan Wiegels, seit sieben Jahren Möllner Bürgermeister.
    "Unser Bemühen ist es nach wie vor, dass wir eine gemeinsame Veranstaltung durchführen möchten, ja? Und wenn eine Person dieses nicht möchte, dann haben wir das zu akzeptieren. Ich kann darüber mein Bedauern ausdrücken – mehr kann ich nicht tun."
    Der Kontakt und die Abstimmung mit Ibrahims Vater Faruk funktioniere reibungslos, sagt der SPD-Politiker. Anders als zu Ibrahim. Den Vorwurf, die Stadt habe die Familie nach dem Anschlag im Stich und beim Gedenken außen vor gelassen, weist Wiegels zurück.
    "Unmittelbar nach den schrecklichen Geschehnissen – zu der Zeit war ich nicht in Mölln, um das mal klar zu sagen - ist sehr viel getan worden. Da ist aber möglicherweise die Wahrnehmung der Familie `ne andere. Und danach – wir sind jetzt im Jahr 25 nach den Brandanschlägen – können wir nur versuchen, das Gedenken an dieses schreckliche Geschehnis wachzuhalten und zu erinnern. Und dafür Sorge zu tragen, das so etwas nie wieder passiert. Und schon gar nicht in unserer Stadt."
    Ismet Celik lebt seit 45 Jahren in Mölln. Lange Zeit war er Vorsitzender des Moscheevereins. An diesem frühen Nachmittag sitzt der 64-Jährige im Kaffeeraum des kleinen Gebetshauses an der Hauptstraße – nur wenige hundert Meter entfernt vom Tatort in der Mühlenstraße. Er freue sich, dass der Toten gedacht werden – und sei doch traurig.
    "Weil ich kenn‘ ja die Leute, die da umgekommen sind. Und von daher tut das natürlich genauso weh wie damals am ersten Tag."
    Celik hat damals nur wenige Tage nach dem Brandanschlag den Verein "Miteinander leben" mitbegründet. Er besteht bis heute und tritt für ein friedliches Miteinander der Menschen in Mölln und in der Region ein.
    Interreligiöses Gedenken in der Nikolai-Kirche
    Dass der Bürgermeister und die Stadt Mölln sich zu wenig um die Familie Arslan gekümmert haben, kann Celik nicht erkennen.
    "Also, an die Stadt würde ich nicht so hart drangehen."
    Die Möllner Nicolai-Kirche steht auf einem Hügel und überragt die Stadt. Hier wird morgen der interreligiöse Gottesdienst stattfinden. Pastorin Kerstin Engel-Runge rechnet in diesem Jahr mit einer größeren Anteilnahme.
    "Ein Vierteljahrhundert, das hebt das wieder stärker ins Gedächtnis. Ich selber finde es ganz wichtig. Gerade diese Daten, wenn man die nicht hat als Fixpunkte – dann hätten wir gar kein historisches Gedächtnis."
    Gleichzeitig sei sie aber auch traurig. Nicht nur wegen des Grundanlasses – dem Tod von drei Menschen. Sondern auch, weil das Gedenken an den Möllner Brandanschlag mit so viel Spannungen einhergehe. Die Stadt komme damit zurecht, glaubt Kerstin Engel-Runge.
    "Das sind sozusagen die Akteure, die natürlich auch für ihre Stadt auch ein angenehmes Klima wollen, auch in einem guten Licht dastehen möchten, natürlich, wer will das nicht. Aber in anderer Weise sind die Angehörigen betroffen. Denn deren Leben ist davon gezeichnet. Und die Weichenstellung ihres Lebens ist damals eine andere geworden."