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25 Jahre nach dem Völkermord in Ruanda
Ein Genozid durch die Ideologie des Hasses

Die Kolonialmächte Belgien und Deutschland machten aus den Hutu und Tutsi verschiedene Ethnien, ursprünglich waren sie zwei soziale Klassen. Dies begründete einen Hass, der sich ab dem 7. April 1994 im zentralafrikanischen Ruanda in einem Genozid entlud. Mindestens eine Million Menschen starben.

Von Bettina Rühl | 07.04.2019
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in einer Gedenkstätte in Ruandas Hauptstadt Kigali
    Fotografien von Opfern des Völkermordes in Ruanda (picture-alliance/ dpa / Wolfgang Langenstrassen)
    "Bekanntmachung an alle Kakerlaken, die uns hören. Ruanda gehört denen, die es ernsthaft verteidigen. Und ihr Kakerlaken, ihr seid keine Ruander."
    Mit den so genannten Kakerlaken waren Tutsi gemeint, eine Minderheit im zentralafrikanischen Ruanda, in dem die Hutu-Mehrheit herrschte. Der ruandische Sender "Radio et Television Libre des Milles Collins" verbreitete schon seit Juli 1993 Hasspropaganda wie diese. Bis am 6. April 1994 ein Ereignis den entscheidenden Funken auslöste: Ein Flugzeug mit den beiden Präsidenten Ruandas und Burundis wurde über dem Flughafen der ruandischen Hauptstadt Kigali abgeschossen.
    Beginn der systematischen Ausrottung der Tutsi
    Der bis heute ungeklärte Absturz der Maschine war für die militanten Hutus das Signal, mit der lange geplanten systematischen Ausrottung der Tutsi zu beginnen - denn sie gaben Tutsi-Rebellen die Schuld am Tod des ruandischen Präsidenten. Innerhalb von 100 Tagen wurden bis zu eine Million Menschen ermordet - überwiegend Tutsi, aber auch einige Hutu, die sich der Ideologie des Hasses widersetzt hatten. Der ruandische Historiker und Jean-Paul Kimonyo hat erforscht, wie so viele Menschen zu Tätern werden konnten.
    "Die Täter waren ja nicht unbedingt alle Monster. Die Propaganda hat natürlich eine wichtige Rolle gespielt, aber es gab noch andere Gründe dafür, dass sich so viele Menschen am Völkermord beteiligt haben: die extreme Armut der Bevölkerung über einen langen Zeitraum, der Mangel an Rohstoffen und nutzbarem Boden. Die Initiatoren des Völkermordes vertrauten deshalb darauf, dass die Bevölkerung problemlos beim Morden mitmachen würde, um ein Stück Land der Ermordeten oder etwas anderes aus deren Besitz zu bekommen."
    Hutu und Tutsi einst unterschiedliche soziale Gruppen
    Die Wurzeln des Konfliktes reichen weit in die koloniale Geschichte zurück. Ursprünglich waren Hutu und Tutsi keine getrennten Ethnien, sondern bildeten unterschiedliche soziale Gruppen: Tutsi waren Rinderzüchter und gehörten zur Aristokratie, Hutu lebten vom Ackerbau und waren oft von den Tutsi abhängig. Die deutschen und belgischen Kolonialherren jedoch erklärten Ende des 19. Jahrhunderts die Tutsi zur überlegenen Rasse, festigten deren Vorherrschaft - und legten so den Grundstock für den Hass der Hutu, der sich ab dem 7. April 1994 in einer Orgie des Mordens entlud.
    "Sie können sich das nicht vorstellen, der Gestank, das Geräusch von Hunden, die Menschenfleisch fressen, ihr Geheule Nacht für Nacht - es waren hunderte! Und dann all die Leute, die mich anriefen und flehten, Soldaten zu schicken und sie da rauszuholen. Aber noch während ich mit ihnen telefonierte, habe ich gehört, wie ihre Tür eingetreten wird und die Menschen am anderen Ende der Leitung erschossen werden."
    Versuch, den drohenden Völkermord zu verhindern
    Der kanadische General Roméo Dallaire war 1994 Kommandant der UN-Friedenstruppe in Ruanda. Schon vor Beginn des Mordens hatte er eine massive Aufstockung seiner Truppe auf 4500 Soldaten gefordert. Außerdem ein Mandat, das den Einsatz von militärischer Gewalt erlaubte. Dallaire war davon überzeugt, den drohenden Völkermord dadurch verhindern zu können. Der UN-Sicherheitsrat verweigerte beides, die Truppenstärke blieb bei 2548 Mann. Aber Dallaire gab nicht auf. Im Januar 1994 hatte er von einem Informanten erfahren, dass alle Tutsi in Ruanda auf Todeslisten namentlich erfasst worden waren und die Hutu-Miliz Waffenlager besaß. Damals war Kofi Annan für die Friedensmissionen zuständig. Ihn bat der Blauhelmkommandant um die Erlaubnis, die Waffenlager auszuheben.
    "Innerhalb weniger Stunden kam die Antwort, dass ich keine Erlaubnis habe, dass es nicht meinem Mandat entspreche und dass ich die gesamte Mission gefährden würde."
    Mehr Tote, immer weniger UN-Truppen
    Während die Zahl der Toten stieg, wurde die UN-Truppe immer kleiner. Am 21. April 1994 beschloss der UN-Sicherheitsrat, die Friedenstruppe in Ruanda auf 500 Mann zu reduzieren. Statt der Vereinten Nationen handelte eine Rebellenarmee geflohener Tutsi. Die Ruandische Patriotische Front, kurz RPF, eroberte das Land nach dem Beginn des Genozids in einem kurzen, aber heftigen Bürgerkrieg. Am 4. Juli 1994 marschierte die RPF in der Hauptstadt Kigali ein und beendete so den Völkermord.