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25 Jahre Treuhandanstalt
"Eine einzige Schweinerei"

Vor 25 Jahren wurde die Treuhandanstalt gegründet, um die volkseigenen Betriebe der DDR zu privatisieren - das war gedanklich richtig, der Ansatz war jedoch falsch, meint der ehemalige Vizepräsident der Staatsbank der DDR, Edgar Most. Der Prozess der Privatisierung sei völlig schiefgelaufen, sagte er im DLF. Deswegen gebe es im Osten heute "Notstandsgebiete".

Edgar Most im Gespräch mit Mario Dobovisek | 28.02.2015
    Der ehemalige Vizepräsident der DDR-Staatsbank und heutige Autor Edgar Most
    Der ehemalige Vizepräsident der DDR-Staatsbank und heutige Autor Edgar Most (imago/stock&people)
    Mario Dobovisek: Es gehört eine gehörige Portion Vertrauen dazu, Verantwortung über das eigene Vermögen zu treuen Händen abzugeben. Bankmanager verzocken sich, Lebensversicherungen können ihr Zinsversprechen nicht halten. Zu treuen Händen gab vor 25 Jahren auch der letzte Ministerrat der DDR das Volksvermögen und gründete die Treuhandanstalt. Nach Grundsätzen der Marktwirtschaft sollten die volkseigenen Betriebe privatisiert werden, der Ausverkauf der Republik begann, und nicht immer geschah alles mit rechten Dingen. Bilanzen wurden gefälscht, Unternehmen unter Wert verramscht, ein Drittel aller Arbeitsplätze ging verloren. Schnell wurde die Treuhandanstalt zum Hassobjekt. Claudia van Laak blickt für uns zurück.
    Lothar de Maizière zieht im Bericht von Claudia van Laak einen versöhnlichen Schlussstrich unter die Arbeit der Treuhandanstalt. Am Telefon begrüße ich Edgar Most. Er war der letzte Vizepräsident der Staatsbank der DDR, gründete anschließend die Deutsche Kreditbank und schaffte es später in die Chefetage der Deutschen Bank. Wie haben Sie damals die Gründung der Treuhandanstalt beziehungsweise ihren Vorläufer erlebt, in der Zeit rund um den ersten März 1990?
    Edgar Most: Die Gründung der Treuhand war ja gedanklich richtig, ist ja damals am Runden Tisch entstanden, und da gab es ja die Überlegung, dass man das staatliche Eigentum, was ja bei uns fast alles war in der DDR, dass man das insgesamt zur Verfügung stellt und dafür eben eine Treuhand braucht. Aber Treuhand heißt natürlich, dieses Eigentum zu bewahren und aus ihm mehr zu machen. Und das ist ja genau nicht eingetreten.
    Dobovisek: Wir haben den versöhnlichen Abschluss von Lothar de Maizière gehört, andersherum, ein Drittel der Arbeitsplätze ging verloren, aus einem Vermögen wurden Schulden. Hat die Treuhandanstalt versagt?
    Most: Ja, der ganze Ansatz war falsch, wie er dann durchgeführt wird. Als ich noch mit Herrn Rohwedder die Gespräche geführt habe, war ja als Chef –
    Dobovisek: Das war der damalige Chef der Treuhand.
    Most: – der Treuhand, und ich, und alle Altkredite aus der DDR-Zeit mussten wir ja als Kreditbank gegenzeichnen, ob es ein Käufer übernimmt oder nicht und so weiter, oder ob der Staat dafür eintritt in Form von Ausgleichsforderungen gegenüber der Bank. Und Rohwedder sagte mir damals, mir und Herrn Siegert, der damals amtierender Finanzminister war - ja, der sagte, 80 Prozent des DDR-Vermögens bleibt erhalten. Und wenn es nicht sofort privatisiert werden kann, wird erst saniert, und dann privatisiert. Und genau das Umgekehrte ist eingetreten.
    "Theo Waigel hat Vorschub für kriminalistisches Handeln geleistet"
    Dobovisek: Ich zitiere den Publizisten Thomas Brussig, der sagt, aus einem Anfangsvermögen von 586 Milliarden D-Mark wurde ein Schuldenberg von 264 Milliarden D-Mark. Lässt sich der ursprüngliche Wert der über 8.000 DDR-Unternehmen überhaupt beziffern?
    Most: Na ja, das lässt sich deshalb nicht beziffern, weil die Einführung der D-Mark falsch war. Also nicht gegenüber der Bevölkerung der Eins-zu-eins-Kurs, aber gegenüber der Wirtschaft. Und da hätte man einen Kurs von ein zu sieben, eins zu acht nehmen müssen. Wir in der Staatsbank haben ja bereits alles das in diese Richtung umgerechnet. Wir haben also die gesamten Export-Import-Geschichten im RGW damals mit dem transferablen Rubel verrechnet, und der stand so bei eins zu 4,8. Und dann alles, was Ausland war, kapitalistisches Ausland in unserem Sinne, wurde über den Dollar gerechnet, wie steht die D-Mark zum Dollar. Und die stand eben 4,4. Und das wurde noch berichtigt durch einen Richtungskoeffizienten. Und dann hätte man die ganze Wirtschaft, die damit zu tun hätte, eins zu sieben, eins zu acht umrechnen müssen. Aber mit der Umrechnung eins zu eins hat auch die Treuhand nicht leben können. Die Verluste, die mit der falschen Währungseinführung entstanden, mit der falschen D-Mark-Eröffnungsbilanz, und die das ganze Treiben verrückt gemacht haben, die musste dann die Treuhand ausweisen. Insofern sind diese Zahlen zwar, ich sage mal, statistisch richtig, aber insgesamt haben sie nie den Wert der DDR widergespiegelt.
    Dobovisek: Fassen wir das noch einmal zusammen: Die Währungsunion, sie kam am 1. Juli 1990, und es gab einen Umrechnungskurs von eins zu zwei für das Barvermögen auf den Konten, aber eben Löhne und Gehälter und laufende Kosten wurden eins zu eins umgerechnet. War das also der Tod der ostdeutschen Wirtschaft?
    Most: Ja. Ja, und vor allen Dingen, dass das Vermögen, das in den Betrieben war, die Aktiva, die Grundmittel, die Fonds, die Grundstücke, die alle wurden ja auch nur eins zu eins oder eins zu zwei umgerechnet. Und damit hat keine D-Mark-Eröffnungsbilanz gestimmt. Ich weiß nicht - am Ende ist bei der Privatisierungsrunde ja alles zweimal, dreimal gemacht worden. Am Ende haben die Käufer den Wert bestimmt und nicht die Verkäufer. Insofern konnte die Treuhand ihre Verpflichtung nie wahrnehmen. Außerdem muss ich auch dazu sagen, nachdem Herr Waigel die Treuhandchefs freigestellt hat von falschen Entscheidungen, wenn sie sie getroffen haben, was er später noch mal bekräftigt hat, hat er allen Vorschub geleistet für, ich sage mal, kriminalistisches Handeln.
    "Der Prozess der Privatisierung über die Treuhand ist völlig schief gelaufen"
    Dobovisek: Wo viel Geld liegt, da liegen auch meistens die Kriminellen mit auf der Straße, das lässt sich vermutlich nicht vermeiden. Aber, um noch einmal zurück zur Währungsunion zu kommen - war sie einfach zu früh oder im falschen Umrechnungskurs.
    Most: Falscher Umrechnungssatz. Man hätte die Bevölkerung eins zu eins oder eins zu zwei lassen können, aber die Wirtschaft, die hätte man eins zu sieben, eins zu acht umrechnen müssen. Und die haben wir bereits in der Staatsbank so gerechnet. Als ich am 20. April 1990 zum Deutschen Bankentag nach Bonn in die Beethoven-Halle eingeladen wurde - ich hatte gerade meine Kreditbank gegründet -, da habe ich die Staatsbankbilanz mitgenommen, was ja eigentlich verboten war, als geheime Verschlusssache, und hab die dem Helmut Kohl vorgelegt. Ich habe vier Stunden mit Kohl darüber verhandelt. Da hat der am Ende gesagt, wissen Sie, Herr Most, ich bin Politiker, treffe politische Entscheidungen, Sie sind Wirtschaftler, und andere wie Sie werden das schon lösen. Und das konnte nie gelöst werden, bis zum heutigen Tage nicht. Dadurch haben wir heute im Prinzip im Osten Deutschlands viele Gebiete, die Notstandsgebiete sind, wenn man es mal genau betrachtet. Und das muss alles ausgeglichen werden am Ende durch den Steuerzahler. Die Abwanderung junger Leute aus dem Osten. Die Auflösung der Akademie der Wissenschaften, wo nichts mehr übrig blieb. Die großen Forschungszentren der Kombinate. Alles das, was Wissen der DDR war, zählte nichts mehr. So kann man doch keine Arbeit machen. Aber das alles wurde dann durch die Treuhandanstalt unter Leitung von Frau Breuel, aber natürlich mit dem Verwaltungsrat vom Finanzminister so geregelt. Und insofern war für mich die Treuhandarbeit eine einzige Schweinerei.
    Dobovisek: Eine einzige Schweinerei, so sehen es auch viele Ostdeutsche. Aber Sie führen ja auch Gründe eben an wie eben die Währungsunion, den Umrechnungskurs - hat sich mit der Treuhandanstalt der Frust vieler Ostdeutscher im Grunde am falschen Ort entladen?
    Most: Ja. Also, die hatten ja keine Chance. Erstens einmal, wenn Sie sich die Leitungsebene der Treuhand angucken, da war ja außer einem, Wolfram Krause, war ja kein einziger Ossi mehr dabei. Und der musste dann auch gehen, den hat dann die Dresdner Bank aufgefangen, ist dann nach Petersburg und nach Moskau gegangen. Ansonsten war ja kein Ossi da vorne in der Führungsetage. Und damit konnten natürlich die anderen alle machen, was sie wollten. Und die paar Ossis, die auf der mittleren Ebene tätig waren, die waren froh, dass sie nicht rausgeschmissen wurden. Und die mussten ihren Mund halten. Also eigentlich ist dieser Prozess der Privatisierung über die Treuhand völlig schief gelaufen.
    Für Korrekturen ist es zu spät
    Dobovisek: Sie haben damals in der DDR-Staatsbank die Pleite, den Bankrott der DDR vorausgesagt mit diversen Gutachten. Hätte die ostdeutsche Wirtschaft denn überhaupt eine reelle Chance gehabt, Währungsunion hin oder her?
    Most: Im Rahmen des RGW ja, alleine nein. Im Rahmen des RGW, wenn nicht Gorbatschow damals auf die Frage - also alles freigegeben hätte - wir haben ja praktisch dann, weil wir zwei Millionen Tonnen Erdöl weniger gekriegt haben, die DDR, schlagartig fast zwei Bilanzen, unsere Zahlungsbilanz für zwei Jahre praktisch zusätzlich erwirtschaften müssen. Also, es gab da vieles, was man hätte besser machen können. Zum Beispiel gab es die Idee, die langfristigen Handelsabkommen mit den RGW-Staaten so weit weiter zu realisieren, bis sie erfüllt sind, und zwar nach beiden Seiten. Das wurde alles über Nacht abgeschafft. Also gingen im Osten von Europa, also Sowjetunion, aber auch in Polen, in Tschechien und so weiter, viele Betriebe pleite, und in der DDR genauso. Und das verstehe ich nicht. Wenn Sie sich angucken, wie hoch die BRD alt Beziehungen zum RGW hatte, und das im Verhältnis, was sie dann danach hatte, das ist ums Mehrfache gestiegen, aber nicht für den Osten, sondern eindeutig für den Westen.
    Dobovisek: Sie wurden in den vergangenen Jahren, Herr Most, nicht müde, nach Korrekturen im Einheitsprozess zu rufen. Ist es für jedwede Korrektur inzwischen zu spät?
    Most: Ja. Das ist alles gegen uns gelaufen. Ich hab mir immer noch mal gewünscht - ich war ja fünf Jahre Berater bei Gerhard Schröder, Gesprächskreis Ost, mit dem Herrn Dohnanyi zusammen, und wir haben ja Vorschläge gemacht, über 40 Stück, wie man wenigstens im Osten noch dieses und jenes aufarbeiten könnte, wie man mit bestimmten Dingen neu umgehen sollte. Aber das ist bis auf ein paar wenige Sachen auch nicht durchgeführt worden. Also insofern war das für mich alles eine Enttäuschung. Aber ich brauche nur meine eigenen Freundschaften alle anzugucken, meine Verwandtschaften - das sind alles Verlierer der deutschen Einheit geworden. Ich bin Gewinner der deutschen Einheit. Also für mich hat das positive Auswirkungen gehabt, dass ich eben so eine hohe Funktion in der Deutschen Bank wahrnehmen konnte und durch die Gründung der Kreditbank. Aber ich war am Ende der einzige Ost-Banker, der auch international akzeptiert wurde. Also, mit der deutschen Einheit hat man Fehler gemacht, die eigentlich nicht wieder gut zu machen sind.
    Dobovisek: Vor 25 Jahren wurde die Treuhandanstalt gegründet, um die volkseigenen Betriebe der DDR zu privatisieren. Darüber sprach ich mit dem früheren Bankmanager Edgar Most. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Most!
    Most: Bitte sehr!
    Dobovisek: Und das Gespräch haben wir am Abend aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.