Mittwoch, 24. April 2024

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25. Todestag der Regisseurin Ruth Berghaus
Die Schönheit des Widersprüchlichen

Auch 25 Jahre nach ihrem Tod am 25. Januar 1996 bleibt Ruth Berghaus eine Ikone des Regietheaters. Die Schülerin von Gret Palucca und Bert Brecht setzte Akzente auf der Opernbühne und als Leiterin des Berliner Ensembles. In "ihrer" DDR wurde sie hofiert und ausgegrenzt zugleich.

Von Stefan Zednik | 25.01.2021
    Ein Schwarzweiß-Foto zeigt die Regisseurin und Choreografin Ruth Berghaus in den Stuhlreihen der Frankfurter Ope sitzend
    Regisseurin Ruth Berghaus 1986 (picture-alliance / dpa | Witschel)
    Allgemein, normal, kulinarisch – das waren die Opernarbeiten der Ruth Berghaus nie. Auch nicht die Arbeit an Wagners "Ring" in Frankfurt am Main. Als im Sommer 1987 die Burg der Götter zum letzten Mal in Flammen aufgeht, signalisiert der Abend ein mehrfaches Ende. Es ist das Ende der Tetralogie, es ist die letzte Vorstellung der Saison, und es ist das Ende der Ära von Michael Gielen, der das Haus zehn Jahre als Direktor geleitet, mit Hans Neuenfels, Herbert Wernicke und vor allem Ruth Berghaus neue Regie-Akzente gesetzt hatte. Sie ist an dem Abend persönlich anwesend und empfängt Ovationen, die rekordverdächtige 72 Minuten dauern.
    Es ist der Höhepunkt in der Regie-Karriere einer Frau, die eigentlich vom Tanz kam: "Palucca fragte mich, warum ich in die Schule möchte und da sagte ich, weil ich tanzen möchte." So erinnert sich Ruth Berghaus an das erste Zusammentreffen mit der berühmten Ausdruckstänzerin, an deren Dresdner Schule sie 1947 als 19-Jährige die Ausbildung beginnt:
    "Da hat sie mich genommen und hier in der Schule war auf Anhieb das da, was ich eigentlich wollte. Ich habe diese Schule gelebt von früh um acht bis abends um zehn, trainiert, getanzt und alles, was nichts mit Kunst oder Tanz zu tun hat, gab’s für mich gar nicht."

    Künstlerisch und privat liiert mit Paul Dessau

    Schnell wird deutlich, dass ihr Talent mehr im Choreographischen, in der Tanzregie liegt. Sie wird Meisterschülerin an der Akademie der Künste, lernt in Berlin Bertolt Brecht und Paul Dessau kennen. Dessau, der wie Brecht im Exil in den USA gewesen war, vertont dessen Texte zu Opern und schreibt Ballettmusiken für Ruth Berghaus. Dessau und Berghaus werden auch privat ein Paar. Beide sind überzeugte Sozialisten, beide glauben an die Kraft der Kunst. Erste eigenständige Arbeiten sind erfolgreich, doch 1962 zeigt sich, dass es mit dem Interesse der Kulturpolitik an modernen Formen des Ausdrucks nicht weit her ist. Ihr an der Palucca-Schule entwickeltes Tanzstück "Hände weg!" wird nach der Generalprobe verboten. Dazu Ruth Berghaus:
    "Da habe ich gesagt: Das ist sinnlos. Es war ein harter Bruch für mich, ein ganz schlimmer Einschnitt in meinem Leben, und ich war total verzweifelt. Ehe ich mich auch damit abgefunden habe, dass dieser klassische Tanz hier bevorzugt wird und der moderne Tanz Nebenfach ist, das hat Jahre gedauert."

    Ein gefeierter "Barbier von Sevilla" aus dem Geist des Tanzes

    Ruth Berghaus weicht auf die Opernbühne aus. Hier schafft sie bahnbrechende Arbeiten, etwa den mit Achim Freyer konzipierten "Barbier von Sevilla", bei dem sich eine aus dem Tanz entwickelte Bewegungssprache kongenial mit der Tradition der Commedia dell'arte verbindet.
    Ein Komponistenleben als Spiegel des Jahrhunderts: Paul Dessau (1894-1979)
    Paul Dessau - Ein leidenschaftlich sozialistischer Komponist
    Seine jüdische Abstammung zwang Paul Dessau zur Emigration. In New York lernte er Bert Brecht kennen und ging nach Kriegsende mit ihm in die entstehende DDR. Mit der Kulturpolitik dort geriet Dessau zwar aneinander, blieb der sozialistischen Idee aber treu.
    Der damals weit erfolgreichere Theaterrealismus von Walter Felsenstein und seinen Schülern ist ihre Sache nicht. Immer wieder werden ihre Arbeiten zensiert, verändert, nach wenigen Vorstellungen abgesetzt. Seit 1962 Mitglied der SED, wird sie in "ihrer" DDR zwar mit Preisen bedacht, doch gleichzeitig ausgegrenzt. "Sie hat sich von der DDR nie losgelöst, sie hat nie etwas gegen ihr Land gesagt.", so Michael Gielen, mit dem Berghaus in Frankfurt am Main eine ganze Reihe herausragender Arbeiten realisiert.

    "Ästhetik als die Schönheit des Widersprüchlichen"

    Nach 1990 beginnt eine Zeit, die Gielen als "Beginn einer Versteinerung" wahrnimmt und mit dem Beginn ihrer Krebserkrankung in Verbindung bringt. Ihrem strengen, unerbittlich auf Ernsthaftigkeit und Konzentration bestehenden Stil bleibt sie bis zu ihrem Tod am 25. Januar 1996 treu. "Ästhetik als die Schönheit des Widersprüchlichen" charakterisiert Berghaus selbst diesen Stil, der bei allem analytischen Tiefgang dennoch aus einer ganz anderen Quelle schöpfe:
    "Ich finde, dass wir manchmal beinahe zu viel theoretisieren. Man darf nicht vergessen, dass das Theater auch noch was vom Wanderzirkus haben sollte, denn der war ja gar nicht so schlecht."