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250. Todestag von Johann Mattheson
Was dem Gehör gefällt, ist gut

Johann Mattheson gilt als bedeutendster Musiktheoretiker der frühen deutschen Aufklärung. Vor 250 Jahren starb der Komponist und Herausgeber der ersten deutschen Musikzeitschrift. Mit seinen Schriften löste er eine kontroverse Debatte über die gesellschaftliche Bedeutung der Musik aus.

Von Holger Böning | 17.04.2014
    Eine Geige, eine Flöte, eine Mundharmonika und ein Banjo liegen auf einem Notenblatt.
    Johann Mattheson gehört zu den Begründern der modernen Musikwissenschaft. (picture-alliance / dpa / Wolfgang Thieme)
    Johann Mattheson, 1681 in Hamburg geboren, lässt als erster Kantor am Dom seiner Heimatstadt ab 1715 – gegen das paulinische Schweigegebot - Frauenstimmen in der Kirchenmusik zu. Später kommentiert er dies ironisch:
    "Ich weiß, was mir's für Mühe und Verdruss gekostet hat, die Sängerinnen in der hiesigen Dom-Kirche einzuführen. Anfangs wurde verlangt, ich sollte sie bei Leibe so stellen, dass sie kein Mensch zu sehen kriegte; zuletzt aber konnte man sie nie genug hören und sehen."
    Die Hamburger Musikwissenschaftlerin Birgit Kiupel würdigt die liberale Haltung Matthesons, die ihn in die Konfrontation mit der orthodoxen Geistlichkeit führte: "Wenn es um die Schönheit der Musik ging und um musikalisches Gotteslob, dann kannte Johann Mattheson keine Vorurteile. Sein wichtigstes Anliegen war es, in der Kirchenmusik alle Mittel einzusetzen, welche die Musik bot."
    Entscheidend für Matthesons musikalische Laufbahn wird, dass der Direktor der Hamburger Oper den Neunjährigen als Sänger entdeckt. Die folgenden fünfzehn Jahre steht er 2.000 Mal auf der Bühne. Das Singen gilt ihm als Grundlage der Musik, die menschliche Stimme als das "allerschönste und richtigste Instrument, das Muster aller klingenden Werkzeuge".
    Nach einem - unblutig endenden - Duell mit seinem Freund Georg Friedrich Händel Ende 1704 beendet Mattheson seine Opernkarriere und wird Sekretär beim englischen Gesandten. Der neue Beruf lässt ihm hinreichend Zeit zum Komponieren und Publizieren.
    Die Schönheiten der Oper auch für die Kirchenmusik nutzen
    Ab 1713 entstehen musiktheoretische Werke und praktische Anleitungen zur Musik. Seine Generalbassschulen und der "Vollkommene Capellmeister" sind bis heute Referenzwerke für junge Musiker. Aus seinen Erfahrungen als Opernsänger entwickelt er eine Affekten- und Melodienlehre. Mattheson erklärt "die Melodie zum Grunde der ganzen Setz-Kunst" und verfasst die erste ausführliche Fugenlehre in deutscher Sprache. Dabei schwört er allen dogmatischen Regeln ab und vertraut der Urteilskraft der Sinne:
    "So lange nur ein musikalisches Gehör nicht verletzet, so lange ist nichts zu tadeln noch zu verwerfen. [...] Was dem Gehör gefällt, ist gut; so lange der Verstand nicht widerspricht. Was dem Gehör aber nicht ansteht, ist ausdrücklich und ohne Einwendung böse [...]. Ohne Vernunft kann in der Musik wenig gutes sein; aber ohne den Beifall der Ohren noch weniger."
    Ab 1715 kämpft Mattheson als Kantor darum, die Schönheiten der Oper auch für die Kirchenmusik zu nutzen, als Publizist wendet er sich gegen Johann Christoph Gottsched, der dem Musiktheater das Existenzrecht anspricht. Als Kritiker liebt er die Polemik. Mit seinen Zeitschriften stößt er eine kontroverse öffentliche Debatte über die gesellschaftliche Bedeutung der Musik an. Den wissenschaftlichen Autoritäten schreibt er ins Stammbuch:
    "In Wissenschaften gilt die autorité einer Meinung von tausend Leuten nicht so viel / als ein Fünklein Vernunft eines einzigen. [...] Öffentlichen Lehrern darf man ihre Irrtümer [...] gar wohl öffentlich zu erkennen geben [...]. Es gehöret zu den öffentlichen Wohltaten."
    Taubheit führte in die soziale Isolation
    Selbst zu schauen, selbst zu erfahren und selbst zu urteilen, lautet Matthesons Credo. Er gilt als bedeutendster Musiktheoretiker der frühen deutschen Aufklärung. Als Sammler von Musikerbiographien wird er Mitbegründer der Musikgeschichte. Seit den 1950er-Jahren ist er zum Kronzeugen der Alte-Musik-Bewegung geworden. Sein kompositorisches Werk, darunter zahlreiche Opern und Oratorien, wird seit einigen Jahren neu entdeckt.
    In seinen letzten Lebensjahrzehnten bleibt Mattheson als Schriftsteller produktiv, doch seine zunehmende Schwerhörigkeit bis zur völligen Taubheit führt zur sozialen Isolierung. Sein Nachlass - die ungeheure Summe von 44.000 Mark - wird schon zu Lebzeiten für eine neue Orgel der abgebrannten Michaeliskirche verwandt. Am 17. April 1764 stirbt Johann Mattheson in dem festen Glauben, dass es auch im Himmel Musik geben werde. Für seine Trauerfeier hat er sich ein Oratorium komponiert, das "Fröhliche Sterbelied"; es wird so machtvoll geklungen haben wie das Gotteslob in seinem fast fünfzig Jahre älteren "Magnificat a due cori".