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27 plus x

Braucht die EU Grenzen? Diese Frage wird in unserem Weblog zum Programmschwerpunkt "Werkstatt Europa" kontrovers diskutiert. Das Thema interessiert auch die Teilnehmer an einem Deutschkurs des Goethe-Instituts in Kiew. Das Goethe-Institut ist einer unserer Partner bei der Internetdebatte, und einige Auslandsinstitute greifen die kontroversen Themen des Forums in ihrem Unterricht auf. Aus der Ukraine berichtet Florian Kellermann.

05.03.2007
    Das Goethe-Institut in der Maryna-Raskowa-Straße in Kiew - im zweiten Stock eines Bürogebäudes, mit etlichen Klassenzimmern, die alle so aussehen wie dieses: Tafel, Bänke, eine Europakarte an der Wand. Neun Teilnehmer sind an diesem Abend in den Sprachkurs gekommen - allesamt zwischen 17 und 27 Jahre alt. Sie besprechen ein Thema aus dem Weblog des Deutschlandfunks: Wo sind die Grenzen Europas?

    "Einmal wurde von jemandem gesagt: Europa ist kein Ort, er ist eine Idee. Und wahrscheinlich geografisch gibt es keine Grenze. Und wahrscheinlich von solchen Gründen wie auf welchem Niveau steht Demokratie, Rechts-, Wirtschaftsentwicklung, davon hängt in erster Linie ab, ob dieses Land europäisch ist."

    Alexej zeigt auf einen breiten, rosafarbenen Fleck auf der Landkarte: die Ukraine. im Osten die Grenze zu Russland, im Westen die Grenze zu Polen. Das Land fühlt sich hin- und hergerissen zwischen der alten Bindung an Russland und der neuen Hoffnung EU. Viele haben die orangefarbene Revolution mit einer europäischen Perspektive verbunden.

    Vor allem junge Leute, Schüler, Studenten, junge Berufsanfänger, setzen alles auf die europäische Karte: Wir denken europäisch, sagen sie, lernen Deutsch im Goetheinstitut oder Englisch im British Council, manche sogar beides. Entweder wollen sie einmal in einem EU-Land arbeiten oder dabei mithelfen, die Ukraine auf EU-Kurs zu bringen. Das versprechen auch die führenden Politiker des Landes, ohne dass das in Brüssel auf große Gegenliebe stieße.

    Kein Wunder, sagt die 23-jährige Nina. Erstens habe die EU selbst Probleme. Und zweitens sei die Ukraine noch nicht so weit.

    "Ich war auch einige Mal in Europäische Union, in Deutschland, Österreich. Ich habe auch mit Leute gesprochen. Sie haben sehr viel Respekt von Gesetze. Das ist gut, ich stimme zu, dass soll so sein. Aber bei uns beobachten wir keine solche Respekt von Gesetze. Leute versuchen irgendwie, solche Gesetze zu vermeiden."

    Nina stimmt den Weblog-Autoren zu, die die Frage nach den Grenzen Europas nicht nur geografisch definieren wollen. Das sei auch eine Frage der Werte, der Wirtschaftskraft und der Geschichte. Natalya mischt sich ein, ob EU-Beitritt oder nicht, sie wolle zumindest als Europäerin behandelt werden, sagt sie. Und nicht so, wie ihr Freund unlängst in einem Konsulat.

    "Diesen Winter wollten wir mit meinem Freund zusammen nach Österreich fahren. Ich hab das Visum in einem Tag bekommen. Und bei ihm hat man einfach nur abgesagt. Und hat nicht erklärt, warum man abgesagt hat. Ich weiß nicht, was da problematisch sein könnte. Ich meine, er ist Student, lebt hier sozusagen, und hat auch eine Arbeit. Die Frauen, die dort arbeiten, wollten auch nichts erklären. Es wurden ihm keine Fragen beantwortet, das ist schon demütigend."

    Das Bild, das man voneinander habe, sei nicht immer zutreffend, sagen die Teilnehmer des Deutschkurses: Auf beiden Seiten gebe es Klischees und Missverständnisse, sogar Unterstellungen. Stimmt, meint Nina.

    "Viele Europäer sagen, dass, wenn sie die Grenzen aufmachen, alle Ukrainer auswandern werden, vor allem Jugend, weil sie in der Ukraine keine Chancen, keine Perspektiven für ihre Tätigkeit, für ihr Leben sehen. Das ist nicht wahr. Es ist so eine falsche Vorstellung. Und es ist manchmal unangenehm zu hören, dass man in Dich immer Schwarzarbeiter sieht.""

    Nina gibt sich als Realistin. Sie sieht die Ukraine nicht in 30 und auch nicht in 40 Jahren in der Europäischen Union. Eine Chance gebe es erst nach 2050, meint sie.

    "Es muss vielleicht viel Zeit vergehen, bis hier in der Ukraine und auch in Europa die Menschen verstehen, dass diese Zusammenarbeit, sie muss für beide Seiten Vorteile geben."