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30 Jahre danach
Erinnerung an die Winterspiele in Sarajevo

1984 wurde Kati Witt bei den Olympischen Winterspielen in Sarajevo zum Weltstar. Das damals multikulturelle und zu Jugoslawien gehörende Sarajevo lief zur Hochform auf. Heute dominieren die Kriegsspuren, die meisten Olympischen Stätten sind zerstört oder rotten vor sich hin.

Von Ralf Borchard | 07.02.2014
    Die stark heruntergekommene olympische Bobbahn von 1984 auf dem Trebevic-Berg in der Nähe von Sarajevo (Bosnien-Herzegowina), aufgenommen am 16.01.2014. Vor 30 Jahren fanden die Olympischen Winterspiele in Sarajevo statt.
    Die olympische Bobbahn von 1984 auf dem Trebevic-Berg in der Nähe von Sarajevo (Bosnien-Herzegowina). (picture alliance / dpa)
    Als das Olympia-Maskottchen Vucko, der kleine Wolf, 1984 so herzzerreißend heulte, strahlte Sarajevo hinaus in die Welt, als multikulturelle Stadt, in der Muslime, Katholiken und orthodoxe Christen problemlos zusammenlebten. Die Menschen im damaligen Jugoslawien waren stolz auf die ersten Winterspiele in einem sozialistischen Land überhaupt.
    "Mit Sarajevo im 20. Jahrhundert verbindet man weltweit drei Dinge", sagt Edin Numankadic, Leiter des Olympia-Museums: "Das Attentat von 1914, das den Ersten Weltkrieg auslöste, die Belagerung Sarajevos im Krieg ab 1992 – und die Winterspiele. Die sind das einzig positive. Ich erlebe immer wieder, welche Nostalgie die Menschen hier empfinden, wenn sie an den Enthusiasmus, den Optimismus denken, mit dem damals alle zusammen die Olympischen Winterspiele vorbereitet haben."
    Nur eins fehlte damals bis zur Eröffnung: der Schnee. Doch er fiel noch, in Massen, genau am Eröffnungstag. Und weil es nicht genug Schneepflüge und Pistenraupen gab, griffen die Bewohner Sarajevos zur Schaufel, um Wege und Straßen frei zu räumen. Und Soldaten der jugoslawischen Volksarmee stampften zu hunderten den Schnee auf den Abfahrtspisten mit ihren Füßen fest. Acht Jahre später waren es teils die gleichen Soldaten, die von serbischen Stellungen aus auf die überwiegend muslimischen Bewohner schossen: im Bosnien-Krieg, der allein in Sarajevo 11.000 Tote forderte.
    "Oh mein Gott, das war völlig unerwartet, überraschend. Ich war schon 1992 Museumsdirektor und konnte es nicht glauben, vor allem, wie lange es gedauert hat. Im April, als der Krieg begann, dachte ich, naja, im Sommer fahre ich wieder an die Adria zum Baden. Dann ging der Krieg fast vier Jahre. Nie hätte ich geglaubt, dass sie die Nationalbibliothek und das alte Olympische Museum bombardieren. Aus der Wut darüber entstand mein Engagement, all die Dinge hier zu bewahren."
    Das Museum ist heute in einem Nebenraum der wieder aufgebauten Olympischen Eishalle untergebracht, auch sie im Krieg zerschossen, davor lange Reihen von Gräbern, hier war einer der wenigen Orte im eingekesselten Sarajevo, der Platz bot, die Toten zu begraben. Für westeuropäische Standards ist das Olympia-Museum in traurigem Zustand, doch Numankadic ist froh, dass es überhaupt existiert. Viele andere Museen in Bosnien sind aus Geldmangel geschlossen. In den angestaubten Vitrinen Medaillen, Fotos, Fahnen. Antonio Samaranchs silberner Mantel, den der damalige IOC-Präsident zur Eröffnung trug. Und an welche Sportlernamen denkt Numankadic?
    Katharina Witt natürlich, die für die DDR Gold im Eiskunstlauf gewann. Für Numankadic auch deshalb eine Legende, weil sie 2004 nach Sarajevo zurückkehrte zur Wiedereröffnung des Olympia-Museums.
    Gleich nebenan tobt das junge Leben im heutigen Sarajevo. In der äußerst populären Eishalle laufen vor allem Schülerinnen und Schüler Schlittschuh, wie die 17-jährige Nera, die stolz auf ihr Deutsch ist:
    "Ja, ich komme mit meinen Freundinnen. Und wir haben viel Spaß hier. Ich weiß, im letzten Krieg, es war kaputt. Und heute, es ist sehr schön, es ist am besten."
    "Die Kinder sind der eigentliche Grund für das Museum", sagt Edin Numankadic, "sie sind nach dem Krieg geboren. Und wir wollen, dass die Olympia-Erinnerung für die Zukunft erhalten bleibt."
    2017 soll das Internationale Jugend-Olympiafestival in Sarajevo stattfinden und eines Tages, sagt Numankadic zum Schluss, sollten wir uns wieder bewerbe, für die richtigen Winterspiele. Vielleicht, das ist jedenfalls sein Traum, kehrt der olympische Geist ja irgendwann zurück, in seine Stadt.