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30 Jahre Poesie in einem Band

Rainer Malkowski hat zu Lebzeiten neun Gedichtbände veröffentlicht. Das gesamte lyrische Werk des 2003 verstorbenen Autors, der einer der erfolgreichsten Werbetexter der Bundesrepublik war, wird hier in einem Band vorgestellt.

Von Matthias Kußmann | 10.09.2010
    Rainer Malkowski:

    "Ein Tag für Impressionisten
    Auch nach drei Wochen
    noch keine Spur von Langeweile
    beim Anblick des Sees.

    Das Wasser schmatzt am Ufer
    mit ungestilltem Appetit.

    Ein Tag für Impressionisten,
    vielleicht etwas windig.

    Der alte Mann auf der Bank
    hält die flatternde Buchseite fest.

    Nichts überschlagen.
    Jedes Wort ist das gesuchte.

    Eine Glocke buchstabiert die Mittagsstunde
    ruhig und bestimmt ins Blaue."

    "Ein Tag für Impressionisten, vielleicht etwas windig" - Rainer Malkowski war kein Freund vieler oder gar großer Worte. Seine Arbeit aus 30 Jahren ließe sich in einem Band von kaum 1000 Seiten fassen. Den Löwenanteil machen Gedichte aus – und die gibt es jetzt in einer schönen Ausgabe. Sie enthält alle Lyrikbände des Autors und zeigt die beeindruckende Konsequenz eines Werks, das leider immer noch zu wenig gelesen wird. Es sind klare, im besten Sinn einfache Texte, die konstatieren, was da ist, wahrgenommen werden kann – aber auch dem Rätsel, dem nicht fassbaren Raum geben.
    Rainer Malkowski wird 1939 in Berlin geboren. Er arbeitet erfolgreich in Werbeagenturen, zuletzt als Geschäftsführer in Düsseldorf. Dann wechselt er die Seiten. Vom Wort, das etwas verkaufen will, zum Wort, das sich selbst genügt: zur Lyrik. 1972 zieht er sich als freier Autor in die bayrischen Voralpen zurück. Nico Bleutge:

    "Was ich auch sehr schätze an ihm, ist diesen Zusammenhang zu lernen, wie Leben und Schreiben zusammenhängen."

    Der junge Lyriker Nico Bleutge schrieb ein kluges Nachwort zu der Ausgabe:
    "Ich bewundere auch diesen Mut, eine feste Beschäftigung aufzugeben und sich ganz dem Schreiben zu widmen, mit allen Risiken, die damit verbunden sind. Malkowski selber meinte einmal: 'Die finanziellen Risiken sind noch das Geringste. Es geht auch um das geistige Risiko, eine Schreibexistenz zu führen, mit all den Gefahren, dass die Stimme eines Tages versiegen könnte und man geradezu aufgesaugt wird von der Leere des Blattes."

    1975 erscheint Malkowskis Debüt "Was für ein Morgen" in der renommierten "edition suhrkamp". Er findet von Anfang an einen eigenen, sicheren Ton, der sich im Lauf der Jahre kaum ändert. Die Kritik begrüßt sein Debüt und die späteren Werke fast einhellig. Das mag auch an der Genauigkeit dieses Autors liegen, der sich vor allem auf die kleine Form des Gedichts und der kurzen Prosa konzentrierte. Nico Bleutge:
    "Er hatte die Überzeugung, dass die einfache Sprache sozusagen das "Einfallstor" ist, um sich dem Komplexen und der Ganzheit der Welt nähern zu können. Am Anfang jedes Gedichts steht für ihn die Wahrnehmung. Malkowski nennt das "Wahrnehmung als Ereignis". Es ist also nicht nur die zufällige Alltagsbeobachtung, sondern das genaue Sehen. Auch die anderen Sinne sind sehr wichtig. Aber seine Gedichte bleiben dabei nicht stehen, sondern versuchen das Wahrgenommene mit dem Nachdenken zu verknüpfen. Es gibt sogar die Überzeugung bei ihm, dass das genaue Sehen sich, je intensiver man es betreibt, gar nicht mehr unterscheiden lässt von Reflexion."

    Rainer Malkowski:

    "Zwei Sessel
    sie haben mir gedient.
    Und ich besinge sie so nüchtern,
    wie es ihnen entspricht.
    Schwarz gestrichenes Holz
    und Segeltuch -
    Material für ein Schiff,
    eine Reise.
    Und bin ich nicht
    in ihnen gereist?
    Manchen Tag, manche Nacht
    denkend
    und träumend?
    Sie gaben immer,
    was Dinge geben können:
    zuverlässig scheinenden Halt,
    Orientierung
    und ein leises
    Echo
    des entschwundenen Lebens."

    Malkowskis frühe Bücher erscheinen zur Zeit der sogenannten "Neuen Subjektivität", reichen mit ihrer poetischen Verdichtung und Reflexion aber weit darüber hinaus. Später finden sich Verse, die man gleichsam als "Maximen und Reflexionen" des Autors lesen kann – nicht nur was sein Leben betrifft, sondern auch seine Unabhängigkeit von literarischen Moden.

    "Ein Ausdruck der Freiheit:
    sich eine eigene
    Notwendigkeit schaffen."


    Manchmal äußerte er sich über Kollegen, etwa Heine, Brecht, Günter Eich. Er tat es mit wenigen Worten – nicht, weil er wenig zu sagen hatte, sondern aus Respekt. Literaturtheorie bedachte er skeptisch; seine wenigen poetologischen Schriften sind denn auch alles andere als abstrakt.

    "Zum Schreiben gehört die Erfahrung der Ohnmacht. Aber in glücklichen Augenblicken ist es die Lust, etwas zu "machen", in dem sowohl die Welt als auch ich selbst auf geheimnisvolle Weise anwesend sind - durch nichts als eine Handvoll Wörter. Und das zugleich ein Drittes ist: ein Ding für sich, mit eigenem Atem."

    Nico Bleutge:

    "Das Schöne an Malkowski ist, dass seine Gedichte im Innersten hochkomplex sind, man ihnen das aufs erste Lesen aber überhaupt nicht ansieht. Jeder kann sich ein solches Gedicht nehmen und lesen, findet sofort einen Zugang. Erst nach und nach, auch in den kürzesten Gedichten, kann man immer mehr Schichten erkennen und sieht, mit welchen Vorlagen er gearbeitet hat, wie er rhythmisch arbeitet. Das Schöne ist, dass er sich nicht auf große philosophische Theorien bezieht, sondern seine "Gegenstände" aus der alltäglichen Beobachtung nimmt - und versucht, den Dingen, die er beobachtet, ihre Essenz abzuhorchen. Oder er versucht einem Gegenwartsmoment nachzuhorchen, versucht den festzuhalten, aber nicht als eine Art Augenblicksaufnahme. Er ist sich vollkommen im Klaren darüber, dass ein gutes Gedicht in diesem Versuch, die Gegenwart festzuhalten, immer schon Vergangenheit und Zukunft mitdenkt - und versucht, die Paradoxie der vergehenden Zeit in Sprache zu bannen."

    Malkowskis letzte Lebensjahre sind von Krankheit überschattet. Der Augenmensch und Meister der Wahrnehmung erblindet und ist schwer krebskrank. Er stirbt 2003, mit nur 63 Jahren. Posthum erscheint der Band "Die Herkunft der Uhr". Er enthält Gedichte und Prosagedichte, die zuvor verstreut erschienen, sowie Texte aus dem Nachlass. Diese späte Lyrik über Menschen und Dinge, Reisen und Spaziergänge, Kunst und Musik belegt noch einmal das Können des Autors; sie ist hoch verdichtet und zugleich transparent. Allerdings gibt es, nach Jahren der Krankheit, mehr Trauriges und Düsteres als früher. Doch findet man auch zuversichtliche, fast heitere Verse. "Was ich unter anderem noch schreiben will" heißt eines seiner letzten Gedichte. Er trotzt es buchstäblich Krankheit und Tod ab – und formuliert zugleich einen Einspruch dagegen. Ein schönes Paradox: Es geht um ein Vorhaben, welches das Gedicht selbst schon einlöst:

    "Was ich unter anderem
    noch schreiben will:
    Einen schimmernden Vers
    über einen Frauenschenkel.
    Meinen Dank an einen Rock,
    der wusste,
    wann er sich zurückziehen muss.
    Ein Spottlied
    über alternde Männer,
    die sich zum Narren machen.
    Eine Verteidigungsrede
    für jede Narrheit,
    die das Leben ist."