Dienstag, 19. März 2024

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44 Praktika in fünf Monaten
"Viele Berufe waren ganz anders, als wir uns vorgestellt haben"

Dachdecker, Buchbinder, Ofenbauer - seit Anfang August touren Charlotte Stanke und Marvin Möller durch die Republik und machen ein Praktikum nach dem anderen. Bei der Aktion des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks müssen die beiden auch mal ihre bisherigen Vorstellungen von manchen Berufen über Bord werfen.

Charlotte Stanke und Marvin Möller im Gespräch mit Manfred Götzke | 24.11.2017
    Die Rekordpraktikanten Charlotte Stanke und Marvin Möller stehen am 06.10.2017 in Schönebeck (Sachsen-Anhalt) auf dem Gerüst einer Baustelle.
    Die Rekordpraktikanten Charlotte Stanke und Marvin Möller. Vom 01. August 2017 bis zum 22. Dezember 2017 werden die beiden insgesamt 44 zweitägige Praktika absolviert haben. (picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    Manfred Götzke: Jetzt haben Sie das Ganze sich ja nicht selber ausgedacht mit den 44 Handwerksberufen, die Sie in fünf Monaten da mal so alle durchpraktizieren, durchtesten. Warum haben Sie sich entschieden, da mitzumachen?
    Marvin Möller: Bei mir war es so, dass ich nach meinem Abi nicht wirklich wusste, in welche Richtung ich mal gehen möchte, aber ich hatte nicht so Lust, auf Studieren direkt und wieder die ganze Zeit nur Theorie lernen. Und da kam das ganz gut, in 44 verschiedene Berufe reinzugucken.
    Götzke: Und Frau Stanke, wie war das bei Ihnen, warum haben Sie sich entschlossen, da mitzumachen?
    Charlotte Stanke: Ich hatte erst mal eh nichts vor, und ansonsten hätte ich auch nur rumgejobbt. Und dann habe ich gedacht, ja, kann ich jetzt genauso gut das machen und mir auch Deutschland ein bisschen angucken!
    Götzke: Das klingt ja jetzt erst mal nicht nach einer total großen Begeisterung für das Handwerk! Also hatten Sie überlegt überhaupt nach dem Abitur, einen Handwerksberuf zu ergreifen? Oder ist das jetzt durch diese Reise erst gekommen?
    Möller: Eine Option ist es auf jeden Fall.
    Stanke: Ich habe quasi die Stellenausschreibung gesehen für dieses Projekt und mich dann natürlich vorher ein bisschen mal reingelesen, mich ein bisschen informiert. Und das hat mich dann doch schon interessiert. Vorher wusste ich auch gar nicht, was es so überhaupt gibt im Handwerk, was es da für eine Vielfalt überhaupt gibt.
    Zwei Tage Praktikum, dann weiter
    Götzke: Jetzt haben Sie schon einiges gesehen, 38 Berufe haben Sie getestet. Welcher der Berufe hat Sie am meisten überrascht? Wo würden Sie sagen: Das hätte ich so überhaupt nicht erwartet!
    Möller: Ich glaube, da kann man gar nicht so einen Einzelnen nennen. Da gibt es echt viele Berufe, die ganz anders waren, als wir uns die vorgestellt haben. Zum Beispiel jetzt auch der Orthopädieschuhmacher. Als ich das gehört habe, habe ich nur gedacht, die machen halt so ein bisschen Einlagen und dann tritt man in irgendwas rein und die gießen da halt irgendwas rein so, und das war’s. Aber das ist heute viel technischer und die machen Laufanalysen mit Extremsportlern und mit viel mehr Technik und 3-D-Druck und irgendwelchen Fräsmaschinen und so was. Also das ist schon ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe.
    Stanke: Ja, auch der Raumausstatter hat uns, glaube ich, beide ein bisschen überrascht, weil es da halt auch so drei Teilbereiche gibt oder sogar vier: Fußboden, Wandbehänge, Polsterei und Näherei. Das ist auch sehr, sehr umfangreich, das hatte ich auch nicht erwartet.
    Götzke: Gibt es denn einen der Berufe, wo Sie sich jetzt konkret überlegen, den dann zu ergreifen im nächsten Jahr?
    Möller: Ich glaube, man kann das nach zwei Praktikumstagen nicht so sagen, dass ich jetzt sage, ja, das will ich machen. Man kriegt einen ersten Eindruck, aber man kann sich jetzt nicht irgendwie festlegen. Dafür bräuchten wir dann schon zwei Wochen oder so. Man kann eben nicht so tief in den Beruf reingucken. Man merkt schnell, wenn etwas es für einen nicht ist. Aber ich kann jetzt nicht sagen, ja, das möchte ich machen. Da müsste man dann schon noch mal länger hin.
    "Ziemlich anstrengende Erfahrung"
    Götzke: Jetzt haben Sie in den letzten Monaten nicht nur diverse Handwerksberufe kennengelernt, Sie sind auch durch ganz Deutschland gereist, gefahren. Was war das für eine Erfahrung für Sie?
    Möller: Eine ziemlich anstrengende Erfahrung. Wir fahren am Wochenende immer nach Hause und am Sonntag mittags, abends los. Und dann sind wir meistens so sechs, sieben Stunden unterwegs oder länger. Und das ist schon anstrengend. Auf jeden Fall, was ich gar nicht so auf dem Schirm hatte, wie schön das hier unten alles ist mit den ganzen Bergen und der Landschaft. Aber das Autofahren ist echt ziemlich anstrengend.
    Götzke: Sehen Sie beide sich jetzt auch so ein bisschen als Botschafter des deutschen Handwerks, indem Sie diese ganzen Berufe kennengelernt haben, praktiziert haben?
    Stanke: Das denke ich schon, weil wir ja quasi zwischen den Berufen sozusagen, den Berufsbildern und den jungen Leuten, die uns halt auf Social Media folgen, irgendwie auch vermitteln und auch so Sachen rüberbringen. Und wenn wir Fragen von jungen Leuten bekommen, dass wir die auch möglichst beantworten, weil das vielleicht auch leichter fällt für junge Leute, uns einfach mal anzuschreiben, weil die auch denken, okay, die werden uns auch irgendwas antworten, was wir verstehen, und nicht uns einfach nur irgendeinen Link von einer Seite schicken von irgendwie der Agentur für Arbeit, wo ewig lange Dokumente sind, die sich eh keiner wirklich durchlesen will.
    Überraschungen garantiert
    Götzke: Was stellen die jungen Leute Ihnen denn so für Fragen?
    Stanke: Könnt ihr uns irgendwie helfen, wo bekommt man ein Praktikum oder wie alt muss man sein, um das zu machen? Oder wart ihr schon bei dem und dem Beruf? Manchmal vor dem Praktikum posten wir halt so: Habt ihr irgendwelche Fragen, die wir dem Brauer stellen sollen oder so was?
    Götzke: Wie ist das denn, wenn Sie dann am Sonntagmittag losfahren, sich ins Auto setzen, und dann steht da irgendwie so ein Unternehmen XY auf dem Plan? Haben Sie da auch manchmal den Gedanken oder die Überlegung, oh nee, nicht jetzt so was, darauf haben wir diese Woche keine Lust? Gibt es solche Momente auch?
    Stanke: Ja, das hatten wir in der Tat auch schon. Wobei es uns dann, muss ich sagen, positiv überrascht hat. Ich habe gedacht beim Fleischer, oh Gott, nee, bitte nicht! Und letzten Endes fand ich es eigentlich ziemlich cool so und habe da ziemlich viel auch gefragt und gemacht und angefasst und so. Ja, das ist nicht immer gleich alles so, wie man sich das vorstellt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.