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Jüdisch-muslimische Friedensinitiativen
"Eine Zukunft kann es nur zusammen geben"

Vor fünf Jahren gründete sich in der Nähe von Bethlehem eine gemeinsame Bewegung von Juden und Muslimen. Um den Frieden zwischen Israel und Palästina zu sichern, setzen sich die Aktivisten für eine Zweistaatenlösung innerhalb einer Konföderation ein. Vorbild ist die Europäische Union. Die Unterstützer werden immer mehr.

Von Sabine Adler | 08.12.2017
    Ein Zaun teilt jüdische und palästinensische Gebiete.
    Ein Zaun teilt jüdische und palästinensische Gebiete. (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Mit den Geheimtreffen in Beit Jala fing alles an. Beit Jala in der Nähe von Betlehem ist erreichbar sowohl von Juden als auch Palästinensern, die sich kaum noch über den Weg laufen können im streng nach A- B- und C-Zonen unterteilten Westjordanland*. Eliaz Cohen ist Mitbegründer von mehreren Initiativen, die die Gräben überwinden will, die die Politik immer wieder schaufelt. Inzwischen hat er jede Menge Mitstreiter.
    "Wir sind Tausende. Wir haben vor fünf Jahren begonnen, das waren Geheimtreffen während des Ramadan in Beit Jala, wir waren zehn auf jeder Seite."
    Eliaz Cohen und Scha’ul Judeman
    Eliaz Cohen und Scha’ul Judeman (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Eliaz Cohen ist in Israel ein bekannter Poet, aber auch ein Siedler. Kein Hardliner. Vielmehr setzt er sich für eine nachhaltige politische Lösung des Dauerkonflikts ein. Dass er überhaupt Verbündete unter den Palästinensern fand, verdankte er einem Priester. Der fungierte als Vermittler zwischen Moslems und Juden, erinnern sich die, die mit Eliaz Cohen vor rund fünf Jahren dabei waren.
    Eliaz: "Du warst hier!"
    Chaled: "Am Ende jedenfalls gingen wir zum Tor unseres Bauernhofes hier. Und Ali gab Eliaz und Scha’ul den Schlüssel für das Tor. Er sagte, wenn ihr etwas braucht oder euch treffen wollt, tut es hier."
    "Das Land darf nicht geteilt werden"
    Diese erste direkte Begegnung veränderte ihr Leben. Die jüdischen beziehungsweise muslimischen Nachbarn erkannten überrascht, dass sie etwas sehr Wesentliches verbindet: dem jeweils anderen das Recht zuzugestehen, in diesem Land zu leben. Palästinenser hatten sie bislang nur ins Meer schicken wollen, dachten die einen. Die Juden sind nichts als Besatzer, dachten die anderen. Doch nun das:
    "Das Land darf nicht geteilt werden. Wir alle gehören in dieses Land. Aus historischen Gründen. Ich bin gläubiger Moslem."
    Erzählt Chaled Abu Awad, Mathematiker und Bruder von Ali, dem Mann mit dem Schlüssel.
    "Ich weiß, dass das Judentum hier begonnen hat. Unser Vater Abraham stammt von hier, und seine Söhne Isaak und Jakob. Dann gingen sie nach Ägypten, von wo sie 400 Jahre später zurückkehrten. Das steht im Koran, in unserem heiligen Buch."
    Chaled und sein Bruder Ali stellen seit der ersten Zusammenkunft ihren Bauernhof als Treffpunkt von Juden und Palästinensern zur Verfügung. Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer sollen sich kennen und verstehen lernen.
    Wie viel Macht von Gewaltlosigkeit ausgeht
    Auch die palästinensischen Brüder Chaled und Ali Abu Awar wurden zu den Geheim-Treffen nach Beit Jala eingeladen, die den Dialog beginnen und die Gewalt beenden sollten. Seitdem sind wir sehr aktiv, sagt Chaled Abu Awar, und dass sie jetzt verstünden, wie viel Macht von der Gewaltlosigkeit ausgehe, dass man Macht habe, wenn man seinen Ärger kontrolliere.
    Einig sind sich alle darin, dass die Politiker auf beiden Seiten nichts lösen, US-Präsident Trump mit seiner Anerkennung Jerusalems den Frieden eher verhindere, denn bringe. Eliaz Cohen und seine Mitstreiter werben dagegen seit rund fünf Jahren für ein neues Projekt: Zwei Staaten – ein Heimatland. Sie gehören keiner Partei an, aber sie sehen, dass weder eine Ein-Staaten-Lösung Aussicht auf Erfolg hat, noch die bisherig favorisierte Zwei-Staaten-Lösung. Deswegen fordern sie eine dritte Option: die Konföderation.
    "Wir passen das Modell der Europäischen Union auf die Situation hier bei uns an: Die Siedler können dann wählen: An diesem Platz zu bleiben, weil er zu unserem Volk gehört, was die Palästinenser ja anerkennen. Aber dann müssen die Siedler wissen, dass sie israelische Residenten in Palästina werden, denn unser Modell sagt: Hier wird Palästina sein."
    Der Ort Beit Jala
    Der Ort Beit Jala (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Leben wie Deutsche in Frankreich oder umgekehrt. Viele halten Eliaz Cohens Idee für utopisch. Denen erwidert er, dass auch Theodor Herzl, der Wiener Journalist, der den Zionismus erfunden hat, ein Utopist, ja sogar Prophet war, aber heute würden die Juden wieder in Israel leben. Außerdem findet die Konföderationsidee immer mehr Unterstützer. Rund 5000, Juden und Palästinenser, und Diskussionen seien allemal besser als eine dritte Intifada.
    Jerusalem als Hauptstadt von Israel und Palästina
    Die Aktivisten von "Zwei Staaten – Ein Heimatland" wollen nach Trumps Ankündigung beten, damit – so wörtlich – "dieser seltsame und klägliche Schritt des Präsidenten nicht zu einem neuen Zyklus von Blutvergießen zwischen beiden Völkern führt". Ihr Modell sieht Jerusalem als Hauptstadt sowohl von Israel als auch von Palästina vor, ohne Grenzen und ohne die schreckliche Mauer, schreiben sie.
    Acht Meter hohe Platten stehen auch mitten im Obstgarten von Faten Mukarker. Doch die christliche Palästinenserin überlegt, sich der Initiative anzuschließen, trotzdem oder gerade weil sie so sauer auf die Juden ist.
    "Die Soldaten kommen mit Baggern und dann sind wir alle hier hoch gekommen, die ganze Großfamilie. Und der Mann im Bagger – ich habe ihn erkannt und auf ihn gespuckt: Schämst du dich nicht, ihnen zu helfen unsere Bäume auszureißen?"
    Doch Faten Mukarker sagt auch, nur Verständigung ist eine Lösung.
    Faten Mukarker vor der Mauer in ihrem Obstgarten
    Faten Mukarker vor der Mauer in ihrem Obstgarten (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    Hier an der Kreuzung in Gush Etzion haben palästinensische Attentäter 2015 Juden, die auf den Bus warteten, mit Messern attackiert und vier getötet. Inzwischen werden die Haltestellen von bewaffneten Soldaten bewacht. Eliaz Cohen muss die Kreuzung Gush Etzion überqueren, um in seine Siedlung Kfar Etzion zu gelangen. Ein idyllischer Fleck auf einem Gipfel, umgeben von zwölf palästinensischen Dörfern, in denen er heute so viele Freunde hat. In Beit Umar zum Beispiel, wo Chaled wohnt.
    "Wir können den Muezzin von Beit Umar hören. Diese Orte hier ringsherum empfinden wir nicht als Bedrohung, sie gehören einfach zu diesem Platz. Aber eine Zukunft kann es nur zusammen geben, wenn man nicht mehr versucht, uns voneinander zu trennen."
    Mauer in Beit Jala mit Trump-Graffito
    Mauer in Beit Jala mit Trump-Graffito (Deutschlandradio / Sabine Adler)
    *In einer früheren Version dieses Beitrags hieß es an dieser Stelle "Israel". Dies wurde in "Westjordanland" korrigiert.