Freitag, 29. März 2024

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45 Jahre nach Francos Tod
Wie Spanien um die Aufarbeitung seiner Verbrechen ringt

Am 20. November 1975 starb Spaniens ehemaliger Diktator Francisco Franco Bahamonde. Doch auch Jahrzehnte nach dem Ende seiner Herrschaft sind viele Fragen offen, Opfer-Angehörige warten auf Wiedergutmachung. Ein neues Gesetz soll nun die Aufarbeitung voranbringen. Doch auch daran gibt es Kritik.

Von Hans-Günter Kellner | 20.11.2020
Vor dem Jahrestag des Todes des spanischen Diktators Franco haben Demonstranten in Madrid an die Opfer seiner Herrschaft erinnert
Vor dem Jahrestag des Todes des spanischen Diktators Franco haben Demonstranten in Madrid an die Opfer seiner Herrschaft erinnert (dpa / Oscar Gonzalez / NurPhoto)
"Guadalajara, am 21. Oktober 1940. An meinen so sehr geliebten Sohn Paquito!" Schrieb Benigno Calvo Espartosa aus dem Gefängnis von Guadalajara bei Madrid ein Jahr nach Ende des spanischen Bürgerkriegs an seinen Sohn, den er liebevoll Paquito nennt, den kleinen Francisco:
"Mit väterlicher Sehnsucht wünsche ich dir viel Gesundheit. Deine Mama, deine Großeltern und Tante Sole werden dich zu deinem dritten Geburtstag mit Küssen überhäufen. Dein Vater kann sie dir leider nicht geben. Ungerechte Verleumdungen und Hass anderer hindern ihn daran. Ich muss das mit Resignation ertragen. Und wenn das mir vorgesehene Urteil vollstreckt wird, bitte ich dich nur darum, dass du mehr Glück im Leben hast als dein unglücklicher Vater, der niemandem ein Leid angetan hat und dennoch verurteilt ist."
Gewerkschafter und Landarbeiter hingerichtet
Die Karte zum Geburtstag aus dem Gefängnis ist das letzte Andenken, das Francisco Calvo, Paquito, heute noch an seinen Vater hat. Zwei Monate, nachdem sie geschrieben wurde, richtete das Regime des spanischen Diktators Franco Benigno Calvo an der Friedhofsmauer von Guadalajara hin und verscharrte seine Leiche an Ort und Stelle.
Mehr als 800 Gewerkschafter und Landarbeiter wurden unter Franco in Guadalajara hingerichtet. Heute, etwa 80 Jahre später, exhumieren Aktivisten der Organisation zur Wiedererlangung des Historischen Erbes Spaniens ihre Gebeine. Seit drei Jahren läuft die Arbeit. Ein Bagger hebt die Gräber aus, während Helfer Francisco Calvo interviewen:
"Ich war drei Jahre alt. Bislang weiß ich nichts weiter von meinem Vater, als dass sie ihn hingerichtet haben. Jetzt suche ich seine Gebeine."
Gut 70 Leichen hingerichteter Menschen hat die Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Erbes bisher exhumiert. Gründer und Vorsitzender der Bürgerinitiative ist Emilio Silva. Er erklärt, was an diesem Tag geschieht:
"Wir exhumieren hier 21 Menschen aus einem Gruppengrab. Sie wurden 1940 ermordet, nach dem spanischen Bürgerkrieg. Militärgerichte hatten sie zum Tode verurteilt, weil sie Gewerkschafter waren. Die meisten waren Landarbeiter."
Emilio Silva, Gründer und Vorsitzender der Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Erbes
Emilio Silva, Gründer und Vorsitzender der Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Erbes (Hans-Günter Kellner)
Franco, vom Putschisten zum Diktator
Spaniens Bürgerkrieg begann 1936. Es war die Zeit der demokratischen Republik. Linke und liberale Kräfte hatten ein umfangreiches soziales Reformprogramm initiiert, als eine Reihe von Generälen um den späteren Diktator Francisco Franco putschten. Franco war ein damals recht junger General und stieg schnell zum Anführer des Staatsstreichs auf, wie diese Rede aus dem ersten Bürgerkriegsjahr zeigt, in der er zum Kampf aufruft. Die Schätzungen der Toten durch Kampfhandlungen gehen weit auseinander, die Angaben sprechen von mindestens 200.000 Toten. Nach drei Jahren gewannen die Putschisten den Bürgerkrieg – auch mit deutscher und italienischer Hilfe – und Franco wurde der "Generalísimo", der General der Generäle. Seine Herrschaft endete erst am 20. November 1975 mit seinem Tod in einem Madrider Krankenhaus. Seinen Nachfolger hatte er selbst bestimmt: Es sollte Spaniens König Juan Carlos I. werden.
Die Friedhofsmauer, an der die Repressionsopfer hingerichtet wurden. Die Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses hat die Einschusslöcher an der Mauer markiert.
Die Friedhofsmauer, an der die Repressionsopfer hingerichtet wurden. (Hans-Günter Kellner)
Die Hinrichtungen waren nur der Beginn des Leids
Francos wollte keine Versöhnung. Stattdessen herrschte nach dem Bürgerkrieg jahrelang eine brutale Repression gegen mögliche Oppositionelle, linke Politiker oder Gewerkschafter, der Schätzungen des spanischen Nationalen Gerichtshofs zufolge 114.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Auch ihre Angehörigen wurden als "los rojos" gebrandmarkt, als "die Roten", erklärt Silva:
"Diese Hinrichtungen waren ja nur der Beginn des Leids. Die Angehörigen der Repressionsopfer Francos waren wie eine niedere Kaste in Indien. Diesen Friedhof hier durften sie zum Beispiel lange Jahre überhaupt nicht betreten. Für ihre Trauer warfen sie die Blumen über die Friedhofsmauer. Der Staat müsste diese mangelnde Anerkennung korrigieren. Der Terror der baskischen ETA wurde juristisch aufgearbeitet, die Opfer der ETA sozial, politisch und wirtschaftlich entschädigt. Die Angehörigen der Opfer des Franco-Regimes bekommen nicht einmal bei der Umbettung ihrer Toten Unterstützung."
Blick auf das Tal der Gefallenen (Valle de los Caidos) nahe Madrid, der Gedenkstätte zu Ehren der Gefallenen der faschistischen Truppen Francos im Spanischen Bürgerkrieg (undatiertes Archivfoto). Diktator Franco hatte die Anlage als Monument seines Sieges über die spanische Republik von politischen Gefangenen in Zwangsarbeit errichten lassen. Er selbst wurde nach seinem Tod am 20.11.1975 in den größtenteils unterirdisch in den Fels gehauenen Räumlichkeiten beigesetzt. 
Umbettung von Ex-Diktator Franco - Vergangenheit bewältigen, alte Wunden aufreißen
Mit einem Bürgerkrieg hat sich Francisco Franco in den 1930ern in Spanien an die Macht geputscht und eine Diktatur aufgebaut. Seit 40 Jahren ist das Land eine Demokratie, aber das historische Erbe spaltet die Gesellschaft.
Aufarbeitung des Franco-Regimes findet nicht statt
Öffentliche Anerkennung und Rehabilitierung für die Opfer des Franco-Regimes. Das hat sich Silva zum Ziel gesetzt, seit er die Organisation zur Wiedererlangung des Historischen Erbes vor 20 Jahren gegründet hat. Er hatte damals selbst nach den Gebeinen seines Großvaters gesucht und sie schließlich in einem Gruppengrab in der Nähe des nordwestspanischen León gefunden. Bis dahin war die politische Repression während und nach dem Bürgerkrieg kaum bekannt. Seither graben die Aktivisten der Vereinigung zur Wiedererlangung des Historischen Gedächtnisses aber nicht nur in der spanischen Erde, sie rekonstruieren auch die Geschichte der Opfer. Viele wurden enteignet, erzählt Silva:
"Ich habe Schuldscheine der Falange-Bewegung über das Geld, das meinem Großvater genommen wurde. Angeblich für die Sicherheit des Dorfs. Mein Großvater musste praktisch seine eigene Ermordung bezahlen. Er hatte drei Tage Zeit, das geforderte Geld zusammenzubringen. Das war eine klare Drohung. Solche Fälle aus dem Bürgerkrieg und den Folgejahren gibt es Tausende, Menschen, denen Felder und Häuser abgenommen worden sind."
Nationalflagge Königreich Spanien
Vor 40 Jahren - Spanien stimmt über seine Verfassung ab
Die spanische Verfassung besiegelte den Übergang von der Diktatur zur Demokratie. Am 6. Dezember 1978 nahm Spanien die Verfassung in einem Referendum an.
"Man muss doch Antifranquist und Antifaschist sein"
Silva und seinen Mistreitern geht es vor allem darum, die Repressionsopfer in Würde zu bestatten und ihren meist selbst schon sehr alten Kindern und Enkelkindern den Seelenfrieden zu gewährleisten. Silva ist davon überzeugt, dass seine Arbeit für das heutige Spanien aber auch noch aus einem anderen Grund wichtig ist:
"Wir können die Vergangenheit nicht ändern, aber ihre Bedeutung. Wir wollen den Blick darauf verändern. Kein Regierungschef hat sich jemals mit den Angehörigen der Repressionsopfer Francos öffentlich getroffen. In 45 Jahren Demokratie. Das sagt doch viel über die politische Kultur in diesem Land aus. Ich würde gerne in einem Land leben, in dem die Opfer gewürdigt werden, in dem anerkannt wird, was in der Vergangenheit richtig und was falsch war. Man kann politisch rechts oder links stehen, aber man muss doch Antifranquist und Antifaschist sein."
Übergang von der Diktatur zur Demokratie
Doch nicht umsonst ist vom spanischen Labyrinth die Rede, wenn es um Bürgerkrieg, Francos Diktatur und auch die Jahre danach geht. Die Geschichte ist komplex: Zwar bekennen sich heute nur noch Ultranationalisten wie Vertreter von der Rechtsaußenpartei Vox zu Francos Erbe, sprechen von seinen angeblichen sozialen Wohltaten und spielen die Verbrechen des Regimes herunter. Doch nach dem Tode Francos am 20. November 1975 gab es keinen Bruch. Vielmehr stieß König Juan Carlos I. einen Übergang in die Demokratie an, den Rechte wie Linke gemeinsam aushandelten. Am Ende war es Francos Pseudoparlament, das sich im November 1976 selbst auflöste und damit den Weg für die demokratische Verfassung freimachte, die zwei Jahre später im Referendum angenommen wurde.
Opfer der Franco-Diktatur warten bis heute auf Wiedergutmachung
Verwandte des spanischen Diktators Francisco Franco tragen den Sarg mit seinen sterblichen Überresten aus einem Mausoleum.
Verwandte des spanischen Diktators Francisco Franco tragen den Sarg mit seinen sterblichen Überresten aus einem Mausoleum. (AFP / Pool / Juan Carlos Hidalgo)
Es war ein Blick nach vorne, nicht zurück. Niemand musste Rechenschaft ablegen, die Opfer Francos seien vergessen worden, werfen ihre Sprecher wie Emilio Silva den Verantwortlichen der Übergangszeit nach Franco vor. Während das Regime jedes Jahr den Opfern der linken Repression während des Bürgerkriegs - ermordeten Geistlichen, Militärs oder anderen, die verdächtigt wurden, auf der Seite der Putschisten zu stehen - sehr wohl gedachte, Denkmäler für sie aufstellte oder die berufliche Entwicklung ihrer Angehörigen förderte. Das sagt Fernando Martínez López. Er ist Staatssekretär der spanischen Regierung für das Demokratische Gedächtnis:
"Die Sieger im Bürgerkrieg ließen den Opfern der linken Repression jede Art von Reparation zukommen: Sie wurden wirtschaftlich wie symbolisch entschädigt. Jedes Jahr wurde ihnen feierlich gedacht. Die Angehörigen der Opfer der Repression Francos wurden hingegen kriminalisiert und unterdrückt. Das so genannte ‚Generalverfahren gegen die rote Herrschaft‘ der Franco-Justiz wurde zur offiziellen Geschichtsschreibung. Alle sind Opfer, aber die Opfer von Bürgerkrieg und Diktatur warten auf Widergutmachung."
Urteil werden annulliert
Darum hat die Regierung nun einen Entwurf für ein Gesetz zum Demokratischen Erbe vorgelegt. Der Entwurf stellt die gegenwärtige, nach Francos Tod im Volksentscheid angenommene Verfassung, in eine lange Tradition demokratischer Verfassungen Spaniens, begonnen beim bereits 1812 von der Versammlung von Cádiz verabschiedeten Gesetzestext bis zur heutigen Verfassung von 1978.
"Die Opfer stehen im Zentrum dieses Gesetzes. Die Verletzung ihrer Menschenrechte soll anerkannt werden. Die Militärgerichte des Franco-Regimes, die sie verurteilt haben, werden als illegitim und ihre Urteile für nichtig erklärt. Diese Annullierung hatten wir bislang auch im Gesetz von 2007 nicht, das ist einer der großen Fortschritte mit dem neuen Gesetzentwurf."

Der Staatssekretär spricht vom "Gesetz zum Historischen Gedächtnis" von 2007, das zum Beispiel Hoheitszeichen der Diktatur aus dem öffentlichen Raum verbannte. Die damals regierenden Sozialisten scheuten sich jedoch, die Unrechtsurteile der Franco-Justiz zu annullieren. Sie fürchteten, es könnten damit auch Schadensersatzforderungen auf die Regierung wegen des vom Franco Regime enteigneten Vermögens seiner Opfer zukommen. Schon damals eine unbegründete Sorge, sagt Martínez López:
Fernando Martínez López, Staatssekretär für das Demokratische Gedächtnis
Fernando Martínez López, Staatssekretär für das Demokratische Gedächtnis (Hans-Günter Kellner)
"Das demokratische Spanien hat ja bereits Entschädigungsleistungen gezahlt. Bis heute sind mehr als 680.000 Menschen entschädigt worden. Dafür sind mehr als 20 Milliarden Euro aufgewandt worden. Für die Kinder aus dem Krieg, für die Polizeieinheiten und der Armee der Republik, die Franco nicht anerkannte, für die Ermordeten, die Verschwundenen und so weiter. Über das beschlagnahmte Eigentum benötigen wir eine umfassende Untersuchung, um zu sehen, wie weit hier eine Wiedergutmachung möglich ist."
Zu welchen Ergebnissen die Untersuchungen über beschlagnahmtes Eigentum auch kommen werden, mit ihrem Gesetzentwurf hat sich die Regierung auf alle Fälle abgesichert: "Es kann keine Anerkennung einer Regressionspflicht des Staates und keine wirtschaftliche oder berufliche Reparation oder Entschädigung geben", heißt es wörtlich.
Angehörigen geht es nicht um Entschädigungen
Entschädigungsforderungen stellen die Angehörigen der Opfer Francos jedoch so gut wie nie. Sie wünschen viel lieber eine zentrale Anlaufstelle, die die Genehmigungen für die Exhumierungen erteilt. Bislang sind dafür die Kommunen zuständig, die sich je nach politischer Couleur konstruktiv zeigten oder Anträge ablehnten, beklagt Emilio Silva am Rande der Exhumationen in Guadalajara.
"Es wird gute Kommunen geben, die uns helfen, und solche, bei denen die Angehörigen darum kämpfen müssen, dass sie die Opfer exhumieren dürfen. Sollen die Kommunalparlamente wirklich darüber diskutieren und entscheiden können, dass Angehörigen bei der Exhumierung nicht geholfen wird? Wenn eine würdige Bestattung ein Recht ist, kann darüber doch kein Parlament verhandeln."
Normalerweise finden sich zu den Exhumierungen viele interessierte Anwohner ein, auch Angehörige, die darauf warten, dass die Gebeine ihres hingerichteten Vaters oder Großvaters endlich gefunden werden. Doch diesmal sind es wegen der Corona-Pandemie weniger. Mari Carmen Pizarro und ihre 16-jährige Tochter Elisa aus Guadalajara haben sich hingegen auf den Weg zur Friedhofsmauer gemacht:
Auch die Angehörigen brauchen Frieden
Man müsse die Geschichte doch kennen, viele Familien wüssten bis heute nicht, wo ihre Angehörigen verscharrt seien, sagt Mari Carmen Pizarro und wischt sich die grauen Strähnen aus dem Gesicht. Elisa meint, die Opfer müssten mit Würde bestattet werden.
"Viele Angehörige der Opfer sterben ja jetzt auch. Und wenn die nicht ihre Eltern und Großeltern finden und bestatten, sterben sie nicht in Frieden. Es sind so viele. Man kann nicht einfach so tun, als wäre nichts passiert. Dass das einfach vergangen und vergessen ist. So ist das keine echte Demokratie."
Doch die jungen Spanier wüssten heute so gut wie nichts über Franco, beklagt sie. Sie habe noch nie etwas von Bürgerkrieg und Diktatur in der Schule gehört, seufzt sie. Es hänge wohl vom Lehrer ab. Immerhin, die Jahre der Diktatur sollen mit dem geplanten neuen Gesetz zum Demokratischen Erbe verpflichtend in die Lehrpläne aufgenommen werden.
Spanien: Haupteingang des spanischen Parlaments 'Congreso de los Diputados', Madrid Foto vom 30 Dezember 2015.
Ein neues Gesetz soll zur Aufarbeitung der Franco-Diktatur beitragen (dpa)
Kritik am geplanten Gesetz
Doch am geplanten Gesetz und an Franco als festem Bestandteil des Schulunterrichts gibt es auch Kritik. Die Regierung wolle eine offizielle Geschichtsschreibung diktieren, protestiert Javier Zarzalejo. Er ist Direktor der rechtskonservativen Stiftung für Analyse und Sozialstudien und sitzt zudem für die konservative Volkspartei im Europäischen Parlament.
"Eine offizielle Geschichtsschreibung, die spaltet, statt zu einen. Das ist das genaue Gegenteil davon, was für unseren Demokratisierungsprozess nach Francos Tod so grundlegend war. Das eint die Gesellschaft nicht."
36 Jahre war Franco an der Macht. Trotz allen Leids, das diese Zeit für viele Menschen brachte: Spanien entwickelte sich stellenweise auch weiter, es industrialisierte sich, es entstand eine Mittelklasse. Die Nutznießer des Regimes saßen im Demokratisierungsprozess anschließend mit am Verhandlungstisch. Diesen Konsens kündige Spaniens Linke nun auf, wirft ihr Javier Zarzalejo vor:
"Bei diesem Gesetz geht es um eine Revision der Geschichte. Es geht nicht darum, das Schicksal der Opfer der Repression hinter den Frontlinien aufzuklären, damit ihre Angehörigen ihre Gebeine würdig bestatten können. Es geht auch nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit den Symbolen der Diktatur im öffentlichen Raum. Das ist keine Verurteilung der Franco-Diktatur, sondern des Demokratieprozesses."
Streit über Amnestiegesetz
Lange galten jene Jahre der Demokratisierung Spaniens zwischen Francos Tod und der Verabschiedung der heute gültigen Verfassung von 1978 als vorbildlich. "Zum ersten Mal in der Geschichte Spaniens setzten sich das liberale und das konservative Spanien zusammen, statt sich gegenseitig umzubringen", kommentierte Miquel Roca, einer der Verfassungsväter, jene Jahre rückblickend. Dieser Pakt werde nun aufgekündigt, wirft Zarzalejo der Regierung vor:
"Ein Teil der Linken, die jetzt sehr stark sind, behauptet: ‚Die transición war nicht mehr als eine Lüge, in der sich feige linke Verhandlungsunterhändler dem Franco-Regime ergeben haben.‘ Und diese Ursünde müsse jetzt korrigiert werden. So stehen wir jetzt vor einem authentischen Regimewechsel durch die spanische Linke."
Die anders als heute damals auch das Amnestiegesetz befürwortete, das bis eine juristische Aufarbeitung der Verbrechen der Diktatur unmöglich macht. Es gewährte sowohl den Vertretern des Regimes aber auch der Opposition Straffreiheit für alle bis 1976 begangene Taten. "Der Dreh- und Angelpunkt der Politik der Nationalen Versöhnung muss die Amnestie sein", sagte der Sprecher der Kommunisten, Marcelino Camacho im Parlament 1977.
Es geht um mehr als um Wiedergutmachung
Fassen wir zusammen: Spaniens Konservative würden sich am liebsten ein Ende der Debatte wünschen, für die Linken geht es hingegen um grundsätzliche Fragen ihrer Demokratie. Eine Demokratie könne keine Denkmäler für einen ehemaligen Diktator unterhalten, argumentierte Regierungschef Pedro Sánchez und ließ den Leichnam Francos vor einem Jahr aus der enormen Basilika im vom Regime errichteten sogenannten Tal der Gefallenen in ein privates Mausoleum umbetten. Einige Hundert Nostalgiker protestierten gegen die Maßnahme.
Emilio Silva, der sich mit seiner Bürgerinitiative gegen das Vergessen und für die Exhumierung von Franco-Opfern einsetzt, ist der Debatten überdrüssig. Viele Angehörige hätten keine Zeit für lange politische Debatten, sagt er, und fragt sich, ob überhaupt ein Gesetz notwendig ist, damit die spanischen Behörden die Opfer öffentlich würdigen und nach ihnen suchten:
"Wir haben seit 45 Jahren eine Demokratie, wir sind seit mehr als 30 Jahren in der Nato, fest verankert in der Europäischen Union. Niemand kann vom Druck der Militärs sprechen, die bestimmte Dinge nicht zulassen würden. Es ist nur eine Frage des politischen Willens. Es wäre leicht, die Demokratie öffentlich zu würdigen. Der Ministerpräsident müsste diese Angehörigen der Repressionsopfer nur zum Essen einladen. Als politisches Bekenntnis. Es ist nur eine Frage des politischen Willens. Und wenn ich mir dieses Gesetz ansehe, sehe ich diesen Willen nicht."
Für Paquito, für Francisco Calvo, dessen Vater 1940 vom Franco-Regime verurteilt und hingerichtet wurde, drängt die Zeit. Immerhin ist er 83 Jahre alt. Doch das Gesetz ist ihm schon wichtig, denn es würde ja auch das Verfahren annullieren, in dem sein Vater zum Tode verurteilt wurde und würde so seine Ehre wiederherstellen. Denn, so sagt er: Es war ja kein gerechtes Verfahren.