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50 Jahre Amargosa Opera House
Skurriles Theater mitten in der Wüste

In dem abgelegenen Ort Death Valley Junction befindet sich eines der kleinsten Theater der USA. Die inzwischen verstorbene Künstlerin Marta Becket hatte sich mit dem Amargosa Opera House vor 50 Jahren einen Traum erfüllt und ist selbst als "Wüstendiva" zu einer Legende geworden.

Von Thomas Migge | 26.02.2018
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    Theater im Nirgendwo: Amargosa Opera House (Deutschlandradio/ Thomas Migge)
    Der Vorhang wird jedes Mal von Hand aufgezogen. Die Musik kommt aus Lautsprecherboxen, die, was kaum zu überhören ist, nicht mehr die allerneuesten sind.
    Auf der Bühne tanzt Jenna McClintock, im blütenweißen Tutu und mit einer großen Blüte am Dekolleté und einer anderen an den zu einem Dutt zusammen gebundenen Haaren. Jenna tanzt eine Choreografie ihrer Lehrerin, ihres Idols: der am 30. Januar 2017 im Alter von 93 Jahren verstorbenen Marta Becket. Das Publikum schaut ergriffen zu. Viele Zuschauer haben Tränen in den Augen, vor allem jene, die Marta Becket seit Jahrzehnten kannten, und ihr Projekt eines Theaters in der Wüste fördern - immer noch, auch nach dem Tod der Künstlerin.
    Einer der kuriosesten Orte US-amerikanischer Kultur
    Zum 50. Gründungsjubiläum des Amargosa Opera Houses ist das Theater bis auf den letzten Platz ausgefüllt. 120 geladene und zahlende Gäste sind angereist aus Los Angeles, San Francisco und sogar New York City - und das, obwohl es in dem winzigen Kaff mit dem kuriosen Namen Death Valley Junction, Todestalkreuzung, in der Mojave-Wüste, umgeben von Sand und Geröll, nur fünf Gästezimmer gibt. Aber von langen Fahrtzeiten lassen sich die vielen Besucher des kleinsten Musik- und Tanztheaters der Vereinigten Staaten nicht abschrecken.
    Grabstein von Marta Becket
    Am 30. Januar 2017 ist Marta Becket im Alter von 93 Jahren verstorben (Deutschlandradio/ Thomas Migge)
    Das Amargosa Opera House in Death Valley Junction ist unbestritten einer der kuriosesten Orte des US-amerikanischen Kulturlebens. Es war fast 50 Jahre lang die Bühne einer sehr ungewöhnlichen Künstlerin, erklärt Jenna McClintock, die vor sechs Jahren in die Fußstapfen ihres Tanzidols Marta Becket trat:
    "Ich kam an diesen Ort zum ersten Mal 1982, als ich sechs Jahre alt war. Ich campte hier in Death Valley Junction mit meinen Eltern. Wir besuchten natürlich das Amargosa Opera House und sahen Marta Becket auf der Bühne. An jenem Abend war ich so hingerissen von Marta, dass ich mich dazu entschied, Tänzerin zu werden."
    Reifenpanne veränderte Marta Beckets Leben
    Marta Becket, 1924 geboren, war ein typisch amerikanisches Allround-Talent: Schauspielerin, Choreografin und leidenschaftliche Malerin. Als Mitglied der Tanztruppe an der New Yorker Radio City Hall tanzte und sang sie in so berühmten Musicals wie "Show Boat", "A tree grows in Brooklyn" und "Wonderful Town" und machte sich so einen Namen. Später zog sie als Solistin durch die USA und trat an verschiedenen Theatern auf. Auf der Fahrt nach Los Angeles hatte ihr Wagen 1968 eine Reifenpanne, an einem verstaubten kleinen Ort, der erst 1914 von der Death-Valley-Railroad-Eisenbahncompany gegründet worden war: eine Hand voll Steinhäuser, errichtet in einem vagen pseudomexikanischen Baustil. Darunter ein so genanntes Civic Center, ein Versammlungssaal. Während der Platten am Wagen von Marta Becket repariert wurde, schaute sie sich den Saal genauer an und traf eine Entscheidung, die ihr Leben, wie sie in einem ihrer letzten Interviews, das während der Gedenkgala zum 50. Theaterjubiläum ausgestrahlt wurde, komplett auf den Kopf stellte:
    "Ich schaute in diesen Saal und sah eine kaputte Puppe auf dem Boden und mehrere Ratten. Und da entschied ich, hier mein eigenes Projekt auf die Beine zu stellen, mein eigenes Theater zu gründen."
    Ihre Tournee durch die USA sagte sie kurzerhand ab, kaufte den Versammlungssaal und malte ihn mit einem fiktiven Publikum aus, das ihr damals noch fehlte, berichtet die Lokalhistorikerin Jennifer Moore, die Besuchern das komplett mit fiktiven Zuschauern in historischen Gewändern ausgemalte Theater zeigt:
    "Sie begann hier über dem Haupteingang mit ihren Malereien, mit einem König und einer Königin. Umgeben sind sie, wie Sie sehen, von einem ganzen Hofstaat. Auch alle Türen sind bemalt. Es gibt auch Mönche und Nonnen unter den Zuschauern."
    Theatersitze vor einer bemalten Wand
    Der ehemalige Versammlungssaal wurde mit einem fiktiven Publikum ausgemalt (Deutschlandradio/ Thomas Migge)
    Der zu einem Theater umgebaute und ausgemalte Saal sollte 49 Jahre lang Marta Beckets ganz private Bühne sein. Die Künstlerin entschied sich auch, in Death Valley Junction dauerhaft zu leben, wie sie in der mit einem Emmy Award ausgezeichneten Dokumentation "Amargosa" des Filmemachers Todd Robinson von 2000 erzählte:
    "Death Valley Junction gab mir die Möglichkeit, Platz und Zeit zu haben, um mich zu verwirklichen. Das Gebäude ist wunderbar. New York gab mir diese Möglichkeiten nicht. Und hier war es billig zu leben."
    Die "Wüstendiva" mit Opernhaus ohne Oper
    Von Opernhaus kann im Fall des Amargosa Opera House allerdings keine Rede sein: Richtige Opern wurden in den 50 Jahren seines Bestehens keine aufgeführt. Doch Marta sang, hauptsächlich in One-woman-shows begleitet von Livemusik, Arien, parodierte, zusammen mit ihrem Mann und anderen Künstlern, Szenen aus Opern, sie tanzte zu Opernmusik und kreierte witzige Sketche – zunächst vor leerem Saal.
    1970 kamen Journalisten der Zeitschrift "National Geographic" durch Death Valley Junction gereist und entdeckten zu ihrem großen Erstaunen die in ihrem leeren Theater tanzende und singende Künstlerin. Ihr Artikel, und kurz darauf ein Porträt über Marta Becket im Life-Magazine, machten die, so die "New York Times", "Wüstendiva" international bekannt. Zuschauer aus aller Welt reisten nach Death Valley Junction an. Schriftsteller wie Ray Bradbury, Autor des dystopischen Romans "Fahrenheit 451", und Entertainer wie Red Skelton boten ihr ihre Zusammenarbeit an. Becket performte bis 2012. Ihr eigenwilliger Mix aus klassischem und Improvisationstanz, aus Gesang und Sketchen zog Fans aber auch Eleven an, wie die junge Tänzerin Hilda Vazques:
    "Ich studierte ihre Choreografien, die alten Aufnahmen von ihren Auftritten. Und diese Choreografien präsentieren wir immer wieder hier. Ihr Werk muss erhalten bleiben!"
    Hilda Vazques und Jenna McClintock führen nun das künstlerische Erbe ihres Vorbildes Marta Becket weiter. Unterstützt von einem Theaterdirektor und einigen Mitarbeitern, die dafür sorgen, dass das Amargosa Opera House in Death Valley Junction am Leben erhalten wird, nicht nur als Museum: Jeden Freitag und Samstag gibt es Shows im Theater. Aufgeführt werden ausschließlich die künstlerischen Kreationen von Marta Becket.