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50 Jahre Lichtigfeld-Schule
Leistung ist das oberste Gebot

Vor 50 Jahren ist Deutschlands erste jüdische Schule gegründet worden. Der hessische Landesrabbiner Isaak Emil Lichtigfeld hat die nach ihm benannte Einrichtung in Frankfurt am Main damals eröffnet. Sie ist eine von zehn jüdischen Schulen in Deutschland und bietet nach der Grundschule den weiterführenden gymnasialen Zweig an. Religion und Herkunft sind hier nicht wichtig. Was zählt, ist die Leistung.

Von Afanasia Zwick | 18.04.2016
    Ein Schüler der Lichtigfeld-Schule in Frankfurt am Main steht vor einem Davidstern an der Schule.
    Ein Schüler der Lichtigfeld-Schule in Frankfurt am Main steht vor einem Davidstern an der Schule. (dpa/picture alliance/Frank Rumpenhorst )
    Ein großer Polizeiwagen vorm Gebäude, zwei kugelsichere Schiebetüren und eine Kamera über dem Eingang. In die jüdische Schule in Frankfurt am Main kommt nicht jeder. Auch von den knapp 400 Schülern wird morgens stichprobenartig der ein oder andere kontrolliert. Für die Schüler: nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteil: Sie und ihre Eltern wollen Sicherheit, sagt die Schulleiterin Noga Hartmann. Denn nur wer sich in Sicherheit wiege, könne auch effektiv lernen:
    "Ich finde, eine jüdische Schule ist notwendig für jüdisches Leben. Eine jüdische Schule ist Schutzraum, aber Schutzraum nicht im negativen Sinne, sondern ein Ort, wo man die jüdischen Werte, die jüdische Tradition ohne Hemmung, ohne Angst vor Antisemitismus, ohne Angst vor irgendetwas ausleben kann."
    Keine Oberstufe an der Schule
    Die Lichtigfeld-Schule ist aber nicht nur für jüdische Kinder gedacht: Etwa ein Fünftel der Schüler ist christlichen oder muslimischen Glaubens. Schon immer stand die jüdische Schule in Frankfurt anderen Religionen offen gegenüber - bereits vor über 200 Jahren, als das vierstöckige Gebäude mit seinen hohen Decken, Säulen und dem Putzschmuck gebaut wurde. Bis zur Machtergreifung wurden dort knapp 1.000 Schüler unterrichtet. Eine Zahl von der die Schule heute träumt.
    Grund für die kleine Schülerzahl ist wohl das größte Manko der Schule: die fehlende Oberstufe. Abitur kann man hier nicht machen. Deshalb überlegt auch schon die Achtklässlerin Jennifer Steinitz, die gerade Kunstunterricht hat, auf welche Schule sie wechseln wird, obwohl sie es an der Lichtigfeld-Schule ziemlich gut findet:

    "Weil wir sind wenige Kinder, wir sind in Gruppen aufgeteilt und andere Schulen sind 30 Kinder in einer Klasse. Ich hab letztes Jahr auf der Helmholtz-Schule zwei Tage Probetag gemacht und da waren 40 Kinder in einer Klasse- das war mir viel zu viel. Und da kam ich nur einmal dran, obwohl ich mich die ganze Zeit gemeldet hab."
    Fächerübergreifender Unterricht
    Die Kunstlehrerin Angela Pfotenhauer sagt, sie liebt den Unterricht an der jüdischen Schule und die kleinen Klassen. Bei maximal 20 Schülern könne sie jede Frage beantworten; jeden Schüler beobachten und ihm zeigen, wie er seine Arbeit verbessern kann.
    "Was hat sie gemacht? Sie hat ihre Platte eingeritzt und das Spiegelverkehrte nicht beachtet, das heißt..."

    Dazu kommt: Fächerübergreifendes Arbeiten- so wie in dieser Stunde, in der die Schüler für den Druck spiegelverkehrte Zeichen entwickeln müssen:

    Da hab ich mich auch mit den Mathelehrern abgesprochen und da können wir in Kunst dann einiges machen über Spiegelungen, was in Mathe auch gemacht wird. Und das andere ist: Wir lesen von links nach rechts, in Iwrit lesen sie von rechts nach links, also wir haben hier das Hirn mit beiden Hirnhälften gerade richtig kräftig beansprucht.
    Leistung ist das oberste Gebot an der Lichtigfeld-Schule. Dafür bezahlen die Eltern je nach Alter ihres Kindes zwischen 290 und 410 Euro monatlich. Auf dem Lehrplan stehen neben den üblichen Fächern: Iwrit, also Neuhebräisch, und jüdische Religion. Bei Hannah Jerusalem, der Iwrit-Lehrerin in der 2. Klasse, singen die Schüler, tanzen im Kreis und lesen sowohl auf dem Boden als auch am Tisch:
    "Iwrit ist eine Sprache und Sprache muss lebendig sein. Also man kann nicht nur sitzen. Wir wissen pädagogisch, dass wenn man singt oder etwas lebendig macht, kann man besser sich erinnern."
    Was sie den Schülern vor allem beibringen möchte:
    "Man kann Euch alles nehmen, aber nicht Eure Bildung", sagt sie. Deshalb ist ihr Ziel, dass die Schüler in jeder Stunde etwas Neues lernen. Die 7-jährige Thalia Shidi weiß zum Beispiel nach dieser Iwrit-Stunde, was man am jüdischen Osterfest essen darf und was nicht:
    "Jamez, das darf man nicht essen. Wenn Mehl und Wasser zusammenkommen an Pessach, darf das nicht länger als 18 Minuten in Kontakt kommen, sonst ist es Jamez."

    Thalias Eltern hoffen, dass ihre Tochter bis zum Abitur auf der jüdischen Schule bleiben kann- dass eine Oberstufe noch eingerichtet wird. Dann könnte die Schule in den nächsten 50 Jahren auch wieder wachsen und vielleicht so viele Schüler beherbergen wie in Zeiten vor dem Zweiten Weltkrieg.