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50 Jahre Ruhr-Uni
Lernen auf der grünen Wiese

Die Bochumer Ruhr-Universität ist ein Ergebnis der explodierenden Studierendenzahl nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie war die erste Neugründung in der Bundesrepublik. Ein Mammutprojekt, wie es nicht wieder gewagt wurde. Aber sie war umstritten. Denn sie galt als Symbol für moderne Aufbruchseuphorie und zugleich als gigantische, menschenfeindliche Fehlplanung.

Von Christian Berndt | 30.06.2015
    Eine Luftaufnahme über den Campus der Ruhr-Universität Bochum (Nordrhein-Westfalen)
    Eine Luftaufnahme über den Campus der Ruhr-Universität Bochum (Nordrhein-Westfalen) (imago/blickwinkel)
    Hans Wenke:
    "Das Ziel unserer Planungen ist eine Neugründung im wörtlichen Sinne, die es in der Geschichte der Universitäten in den letzten Jahrhunderten nicht gegeben hat."
    In seiner Rede zur Grundsteinlegung der Ruhr-Universität Bochum 1962 sparte Gründungsrektor Hans Wenke nicht mit Superlativen. Hier – auf der größten Baustelle Europas - entstand nicht nur die erste Hochschule des rheinisch-westfälischen Industriereviers: Es war auch die erste Universitäts-Neugründung der Bundesrepublik - und die größte der deutschen Universitätsgeschichte. Der Bau neuer Hochschulen war damals allerdings sehr umstritten, wie der Koordinator der Allianz der Universitäten an der Ruhr, Hans Stallmann, meint:
    Hans Stallmann:
    "Die alten Standorte waren dermaßen überfüllt, weil die Studierendenzahlen in den Fünfzigerjahren, von 1950 bis 1960 sich von 100.000 auf 200.000 erhöht hatten. Und da lag ja die Frage nahe, wie gehen wir damit um, stoppen wir das sozusagen, haben wir schon eine Akademikerschwemme, was durchaus eine gängige Meinung war, oder gründen wir weitere, neue Hochschulen."
    Zwischen Neubau und Zugangsbeschränkung
    Die westdeutsche Rektorenkonferenz plädierte für Zugangsbeschränkungen, der Wissenschaftsrat empfahl den Neubau von Universitäten - und setzte sich damit durch. Als Standort der ersten Neugründung bestimmte der nordrhein-westfälische Landtag 1961 den fünf Kilometer von Bochum entfernten Stadtteil Querenburg.
    Nach amerikanischem Vorbild wurde eine moderne Campus-Universität auf der grünen Wiese geplant, der Gründungsausschuss erarbeitete innovative Konzepte, etwa die Ersetzung der Fakultäten durch kleinere, flexiblere Abteilungen. Aber die Neuerungen betrafen eher die praktische Organisation. Für tiefergehende Reformen der traditionsbewussten, stark hierarchisch und elitär orientierten Hochschulen sah man keinen Bedarf:
    Hans Stallmann:
    "Man muss sich immer vor Augen halten, nach dem Krieg hat man daran festgehalten, an dem Glauben, dass die Universität die Nazi-Zeit im Kern gesund überstanden hat. Und die Universitäten hatten noch eine große Ausstrahlung. Und man hat entsprechend auch diesen sogenannten Gründungsausschuss ausgewählt, das waren 17 honorige, ältere Herren, die dann wahrlich keine Gegenuniversität gründen wollten."
    Mit der Campus-Universität sollten die traditionellen Ideen der Einheit der Wissenschaften und der engen Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden gestärkt werden – angesichts der Größenordnung der neuen Hochschule eher unrealistisch. Als am 30. Juni 1965 die Ruhr-Universität im Schauspielhaus Bochum feierlich eröffnet wurde, sagte Ministerpräsident Franz Meyers in seiner Festansprache:
    Franz Meyers:
    "Wenn im Zusammenhang mit der vom Gründungsausschuss erarbeiteten Struktur der Universität von einer gemäßigten Reformfreude gesprochen worden ist, so möchte ich diese Formulierung, die manchem als einschränkendes Lob erscheinen mag, im Gegenteil als uneingeschränkte Anerkennung bewerten."
    Arbeiterkinder überdurchschnittlich repräsentiert
    Die neue Universität passte zum Zeitgeist vor 1968: Modernität ja, aber von Demokratisierung und studentischer Mitbestimmung war keine Rede. Und die schon damals erhobenen Forderungen, die Universitäten breiteren sozialen Schichten zugänglich zu machen, spielten in der Konzeption überhaupt keine Rolle. Trotzdem bekam die Ruhr-Universität schnell den Ruf der sogenannten Malocher-Uni, die für Pendler aus einem großen Einzugsgebiet Studieren ohne Wohnkosten ermöglichte. Mit 16 Prozent war der Anteil von Arbeiterkindern überdurchschnittlich.
    Hans Stallmann:
    "Ich glaub schon, dass die Ruhr-Universität für den Bildungsaufstieg der bildungsfernen Schicht extrem wichtig war. Dadurch, dass es die Ruhr-Uni gab, ist dann auch sukzessiv der Anteil derjenigen, die aufs Gymnasium gegangen ist, deutlich angestiegen."
    Der Ruhr-Universität fehlte akademisches Flair, aber die Studienbedingungen waren exzellent. Erstmals gab es eine Studienberatung, eine Uni-Bibliothek mit Freihandbereich und dank des extrem jungen Lehrkörpers - vielen renommierten Professoren erschien das Ruhrgebiet unattraktiv – weniger Hierarchie. Berüchtigt wurde allerdings schnell die gigantische, anonyme Beton-Architektur der Pendler-Uni mit 13 Institutshochhäusern und dem zweitgrößten Parkhaus der Welt. Aber die Studentenzahlen stiegen rasant an. Heute hat die Ruhr-Universität ein freundlicheres Gesicht, und es fällt schwer, Studierende zu finden, die sich auf dem Campus nicht wohlfühlen.
    Studenten:
    "Ich finde es super. Viele Leute, die kommen alle zusammen, das heißt, man trifft sich. Aber auch viele Leute, die eben pendeln, mit denen man sich dann in anderen Städten treffen kann. Das finde ich super, so lerne ich noch mehr vom Ruhrgebiet kennen. "
    "Es ist zwar groß, aber man kennt sich, man kennt auch die Studierenden aus anderen Fächern."
    "Trotz dieser extremen Größe der Universität fühlt man sich hier eigentlich sehr beheimatet."