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50 Jahre Trikont-Label
Linker Stachel im rechten Bayern-Fleisch

Sie druckten Schriften von Che Guevara und Mao, sie pflegen aber auch bayerische Musik und Mundart: Die Gründer des Münchener Indie-Labels Trikont sorgen seit 50 Jahren für Aufsehen. Zum Jubiläum ist eine Retrospektive erschienen. "Die waren halt sehr wendig", sagte Buchautor Christof Meueler im Dlf.

Christof Meueler im Corsogespräch mit Adalbert Siniawski | 25.10.2017
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    Seit 50 Jahren im Independent-Musik-Geschäft: Achim Bergmann (Sebastian Weidenbach)
    Adalbert Siniawski: Die Trikont-Story - Musik, Krawall und andere schöne Künste" - so heißt ein Rückblick auf 50 rebellische und bewegte Jahre des Münchner Indie-Verlags und Musiklabels "Trikont" - dokumentiert von Franz Dobler und Christof Meueler. Letzteren begrüße ich im Studio in Berlin, guten Tag!
    Christof Meueler: Guten Tag.
    Siniawski: Verdankt der Trikont-Verlag seinen Aufstieg Che Guevara?
    Meueler: Auf gewisse Art und Weise, ja. Der Trikont-Verlag wird dieses Jahr 50 Jahre alt, gleichzeitig jährt sich auch der 50. Todestag von Che Guevara, der in Bolivien erschossen wurde. Und ursprünglich war das Trikont-Musiklabel ein Buchverlag - eigentlich der anti-autoritäre Verlag der 70er Jahre und die allerersten Bücher, die die gemacht haben, war erstens die Mao-Bibel - dieses kleine, rote Buch mit den Worten des Großen Vorsitzenden - und zum anderen das "Bolivianische Tagebuch", das Che Guevara geführt hat, als er im Dschungel in Bolivien sozusagen die Revolution machen wollte und dabei erschossen wurde.
    Siniawski: Genau und dieser kleine, studentische Sponti-Verlag, der hat ja überraschend ein "Go" von Fidel Castro bekommen, das "Bolivianische Tagebuch" zu drucken – "ein unerwartetes Wunder", sagt Gisela Erler, die mit Herbert Röttgen den Verlag gegründet hatte, in ihrem Buch. Der Verlag war damit auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Können Sie sich dieses Wunder erklären?
    Meueler: Ja das war sozusagen aus damals noch virulenten links-radikalen Zusammenhängen eine Kooperation mit einem wichtigen italienischen Verleger namens Feltrinelli, der hatte sozusagen Kontakt nach Kuba und der hat auch die europäischen Rechte verteilt und für den deutschsprachigen Raum war das Trikont. Und ich glaube in Europa haben das fünf Verlage dieses Buch gedruckt, was ja Bestsellergarantie hatte.
    Emphatischer Beginn und flussartige Fortsetzung
    Siniawski: Aber trotz des Coups mit Mao und auch Fidel Castros Aufzeichnungen, hat es da eine kritische Auseinandersetzung bei Trikont mit seinen Idolen gegeben?
    Meueler: Auf keinen Fall, das war nackte Begeisterung. Also damals hat man ja besonders Mao Tse-tung bewundert, der ein ganzes Land in ein Chaos gestürzt hat mit der damaligen Kulturrevolution, was aber für eine kommunistische Partei besonders bemerkenswert war, weil normalerweise eine kommunistische Partei an Machterhalt interessiert ist und Mao Tse-tung hat ein ganzes Land - um seine politischen Gegner zu schädigen - ins Chaos gestürzt, das nannte man Kulturrevolution.
    Siniawski: Mit kritischer Auseinandersetzung meinte ich: im Rückblick.
    Meueler: Ach im Rückblick. Das ist für sie weit weg und ist sozusagen der emphatische Beginn. Also die sind nicht 50 Jahre Maoisten geblieben oder Guevaristen.
    Siniawski: Feministen, Schwule, Ausländer - die hatten da ihre Plattform, konnten da ihre Bücher publizieren und auch Musik. Also Trikont ein Gemischtwarenladen oder Sprachrohr für jeden, der sonst nicht gehört wurde?
    Meueler: Also ich würde sagen, ein Selbstverständigungsunternehmen, der Röttgen hat das auch einmal so ausgedrückt, dass er einem Wasserlandschaftsverlag sozusagen vorstehen würde, der verschiedene Arme hat, die sich flussartig in verschiedene Kurven legen und kleine Bäche haben, aber auch größere Flüsse und so weiter und da ist halt viel möglich. Allerdings hat Röttgen den Verlag 1980 selbstständig gemacht, beziehungsweise hat seine Plattenproduktion abgespalten, so dass der Verlag sich 1980 getrennt hat und seitdem das Trikont-Label unabhängig ist. Vorher war das Trikont-Label sozusagen das Musikprogramm zu diesen ganzen Büchern. Da gab es halt die erste Frauen-Platte, da gab es die erste Schwulen-Platte parallel wie es auch die ersten schwulen Bücher gab, wie aus dem Trikont-Verlag, der erste feministische Verlag Deutschlands, die Frauenoffensive hervorgegangen ist und so weiter.
    Bayerische Revolten
    Siniawski: Liegt der Erfolg von Trikont in dieser Unabhängigkeit der Betreiber, also möglichst nichts kommerziell zu machen, was eben so gefragt ist, sondern das, was man will.
    Meueler: Ja, kann man so sagen. Die waren halt sehr wendig, sie haben sehr schnell auf Moden reagiert. Haben dann geschafft, als diese ganze linke Bewegung 68 angefangen hatte auch durch die Gründung der Grünen, die in parlamentarische Bahnen geleitet wurde Mitte der 80er, da ist dieses rebellische Moment ja zum Stillstand gekommen, da waren die etwas ratlos, haben dann aber mit Hans Söllner gewissermaßen bayerische Revolten entdeckt und haben dann später auch das Ganze auf so einer ironischen Ebene, wie zum Beispiel Funny van Dannen oder später auch Rocko Schamoni Artikulationsformen gefunden, die mehr Unterhaltung waren - die waren immer noch links, aber die waren jetzt eher lustig. Die waren nicht mehr so ernst, es ging nicht mehr um alles, die waren nicht so pathetisch, sondern die waren sehr leicht.
    Siniawski: Kommen wir noch mal auf das folkloristische und auf Bayern zu sprechen. Trikont war - und vielleicht auch ist, man weiß das nicht - so etwas wie der Dorn im konservativen CSU-Bayern-Fleisch und hat dennoch bayerische Mund- und Eigenarten gepflegt, zum Beispiel mit einer CD-Reihe,"Stimmen Bayerns", und die Künstler eben von dort besonders unterstützt. Im Buch heißt es ja auch zum Beispiel: " Bayern war schon immer abstoßend und anziehend zugleich." Wie passt das zusammen?
    Meueler: Das ist verblüffend, Bayern ist ja tatsächlich ambivalent. Es hat halt sehr viel Kraft, aber auch sehr viel Merkwürdigkeiten und Achim Bergmann kommt ja ursprünglich aus dem Sauerland und Eva Mair-Holmes kommt tatsächlich aus dem Allgäu und Achim Bergmann hat sich sehr begonnen, für Bayern zu interessieren und damit auch für verschollene Schellackplatten, die er aufgegabelt hat, die seine Frau Eva Mair-Holmes, noch in der Kindheit hören musste und die sie ursprünglich sehr abstoßend fand. Und die hat sich immer sehr gewundert, was Achim Bergmann alles auffindet und die konnte dann die bayerischen Texte übersetzen gewissermaßen.
    Wir haben noch länger mit Christof Meueler gesprochen - hören Sie hier Langfassung des Corsogesprächs.
    Man muss sich ja Bayern so vorstellen: Das ist einerseits die Ordnungszelle des deutschen Reiches gewesen oder der Bundesrepublik. Sehr konservativ, sehr starr und immer von einem Gegensatz geprägt: Stadt gegen Land. Also die eher anarchische Landbevölkerung wird von den Beamten aus der Stadt sozusagen kolonisiert und unterdrückt. Achim Bergmann hat, weil er sich ja immer nach der Parole "Wir befreien uns selbst" verhalten hat, Zeit seines Lebens, hat sich für diese anarchische Kraft der Landbevölkerung interessiert, die sich ja teilweise auch gegen Zumutungen aus der Stadt wie irgendwelche Autobahnen oder Flughafenbauten gewehrt hat, die hat er praktisch gestärkt und hat dann deren verschollene Wirtshauskultur originär freigelegt.
    Siniawski: Stichwort: Amazon, Apple und Spotify. Kleine und feine Label haben es schwer, gehört zu werden. Wie sehen Sie die Zukunft von Trikont, jetzt als Musiklabel?
    Meueler: Sie müssen sich halt sehr geschickt verhalten und vertrauen, auch wenn es sich naiv anhört, der Sprache des Herzens, weil sehr viel Musik heute ja doch sehr konzeptuell geplant wird und sie wollen ja sozusagen, originäre Basics sich artikulieren lassen und dieses Bedürfnis, dass man selber die Sachen angehtin die Hand nimmt, gegen die großen Mainstream-Angebote vorgeht, das ist ja nicht verschollen, das ist ja nach wie vor virulent. Nur ist der Unterschied, ob man das auf einem Label veröffentlicht, wo man eine größere Aufmerksamkeit bekommt, oder das völlig selbstständig auf irgendeinem Youtube-Kanal veröffentlicht. Ich glaube, da wird das nicht so gehört werden.
    Siniawski: 50 Jahre Trikont werden gefeiert am 15. November in Berlin und am 30. November in München mit Auftritten der hauseigenen Künstler. Und im Heyne Verlag ist jetzt das Buch erschienen "Die Trikont-Story – Musik, Krawall und andere schöne Künste" von Franz Dobler und Christof Meueler, dem ich sehr danke für das Corsogespräch.
    Meueler: Bitteschön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Franz Dobler und Christopf Meueler: "Die Trikont-Story – Musik, Krawall und andere schöne Künste"
    Heyne-Hardcore, München 2017. 465 Seiten, 30 Euro.