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50 Jahre UN-Menschenrechtsabkommen
Niemand darf auf der Strecke bleiben

1966, vor 50 Jahren, gelang es in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Menschenrechte in zwei großen Pakten zusammenzuführen und zu beschließen: der so genannte Zivilpakt bündelt die politischen und bürgerlichen Rechte; der Sozialpakt umfasst die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte. Doch die Um- und Durchsetzung der Rechte bleibt problematisch.

Von Peter Leusch | 07.04.2016
    Proteste gegen eingeschränkte Menschenrechte vor dem "Zaman"-Gebäude
    Proteste gegen eingeschränkte Menschenrechte vor dem "Zaman"-Gebäude (picture alliance/dpa/Sedat Suna)
    Seit Montag dieser Woche wird das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei praktisch umgesetzt: Menschen, die illegal nach Griechenland eingereist sind, können nach einem beschleunigten Asylverfahren in die Türkei rückgeführt werden. Im Gegenzug lässt die EU Flüchtlinge in gleicher Zahl legal aus der Türkei einreisen. Das Abkommen, von den Regierungen in der EU begrüßt, wird von der Opposition und von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty international als Verletzung von Menschenrechten kritisiert.
    Das Asylrecht ist ein elementares Menschenrecht und gegenwärtig wohl dasjenige, um dessen Umsetzung am stärksten gerungen wird. 1966, vor 50 Jahren, gelang es in der Vollversammlung der Vereinten Nationen, die Menschenrechte in zwei großen Pakten zusammenzuführen und zu beschließen: der so genannte Zivilpakt bündelt die politischen und bürgerlichen Rechte; der Sozialpakt umfasst die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte.
    Die Begründung, völkerrechtliche Ausformulierung und Verabschiedung der Menschenrechte war ein steiniger Weg, der sein Ziel aber noch lange nicht erreicht hat: Zum einen bleibt die Um- und Durchsetzung der Rechte problematisch, weil viele Unterzeichnerstaaten sie mit Füßen treten. Zum andern müssen die Menschenrechte weiter entwickelt werden, um besonders gefährdete Personengruppen besser zu schützen, wie es für Kinder und für Menschen mit Behinderung bereits geschehen ist: Leave no one behind – Niemand darf auf der Strecke bleiben. Diese Devise beschreibt das ehrgeizige Ziel, erklärt Anna Würth vom Deutschen Institut für Menschenrechte.

    Seit Montag dieser Woche wird das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei praktisch umgesetzt: Menschen, die illegal nach Griechenland eingereist sind, ohne dort einen Asylanatrag zu stellen oder deren Gesuch in einem beschleunigten Verfahren abgelehnt wird, können in die Türkei rückgeführt werden. Im Gegenzug lässt die EU Flüchtlinge in gleicher Zahl legal aus der Türkei einreisen. Die EU hofft, auf diese Weise die Flüchtlingswelle besser bewältigen zu können, insbesondere die kriminellen Schlepper und ihre lebensgefährlichen Transporte übers Meer zu stoppen.
    Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder die Grünen-Politikerin Göring-Eckhart haben dieses Verfahren scharf kritisiert, da die Türkei kein sicherer Drittstaat sei, andere wie die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte, Beate Rudolf, mahnen an, die Rechte der verfolgten Menschen uneingeschränkt zu respektieren.
    "Jetzt kommt es darauf an, dass nicht Scheinverfahren in Griechenland durchgeführt werden, sondern dass tatsächlich die Schutzbedürftigen herausgefunden werden und dass sie auch genügend rechtliche Beratung bekommen und dann tatsächlich auch Schutz erhalten, denn bei einer Rückführung in die Türkei, droht beispielsweise Menschen, die nach der Genfer Konvention als Flüchtlinge gelten, eine Beeinträchtigung ihrer Rechte. Sie haben nach der Genfer Flüchtlingskonvention das Recht zu arbeiten, sie dürfen nicht zurückgeschoben werden in Verfolgerländer. Die Türkei erkennt aber die Genfer Flüchtlingskonvention für außereuropäische Flüchtlinge nicht an."
    Modernes Asylsystem fußt auf den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges
    Das ist ein heikler Punkt, denn Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 erklärt unmissverständlich:
    "Kein vertragsschließender Staat darf einen Flüchtling in irgendeiner Form in das Gebiet eines Landes ausweisen oder zurückstellen, wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauungen gefährdet wäre."
    "Unser modernes Asylsystem, was durch die Genfer Flüchtlingskonventionen begründet wurde, fußt auf den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und der Vorkriegszeit. Und hat ein sehr starkes Gewicht auf individueller Verfolgung, also auf dem Bild des Individuums, das durch einen totalitären Staat verfolgt wird. Das ist das Rückgrat des internationalen Flüchtlingsschutzes, darum herum hat sich dann das Amt des hohen Flüchtlingskommissars entwickelt mit den Zuständigkeiten für die Konvention, quasi als Wächter der Genfer Flüchtlingskonvention, der die Staaten, die gegen die Konvention verstoßen oder sie nicht richtig anwenden, davon zu überzeugen hat, dass sie ihren Verpflichtungen nachkommen, denn die Konvention ist eines der am stärksten ratifizierten Völkerrechtsdokumente überhaupt."
    Jeder Flüchtling hat das Recht auf Schutz
    Steffen Angenendt, Politikwissenschaftler von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin forscht insbesondere zum Asylrecht. Jeder Flüchtling hat das Recht auf Schutz. Jedem Einzelnen muss die Chance eingeräumt werden, dass die Gründe seiner Flucht in einem fairen Verfahren geprüft werden. Menschenrechte sind individuelle Rechte, schon deshalb ist die allgemeine Einführung einer Obergrenze, wie sie die Österreichische Regierung konkret vorhat, rechtlich problematisch:
    "Ich bin sehr skeptisch, inwieweit das mit der Genfer Konvention und mit dem Europäischen Flüchtlingsrecht zu vereinbaren ist. Die österreichische Regierung hat vor kurzem eine Entscheidung getroffen, eine beschränkte Anzahl von Asylbewerbern überhaupt zuzulassen und damit eine Tages- bzw. Jahresobergrenze implizit einzuführen. Wenn ich das richtig gesehen habe, sind die Gutachten, die die österreichische Regierung in Auftrag gegeben hat zu der Frage, ist das überhaupt rechtens, zu einem negativen Urteil gekommen, und zwar zu dem Urteil, dass Obergrenzen mit dem nationalen und mit dem Europäischen Asylrecht nicht zu vereinbaren sind, jedenfalls nicht in der Form, in der die österreichische Regierung das vorgeschlagen hat."
    Nach den Schrecken der NS-Herrschaft in Europa, dem Leid der vielen Menschen, die fliehen mussten, die verfolgt, vertrieben oder zwangsumgesiedelt wurden, hatten die UN bereits 1948 das Asylrecht in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte aufgenommen. Artikel 4. Absatz 1 lautet:
    "Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern vor Verfolgungen Asyl zu suchen und zu genießen."
    Hier wurde aber nur ein halbes Asylrecht kodifiziert, erläutert Beate Wagner, Politikwissenschaftlerin an der Universität Halle-Wittenberg:
    "Man denkt immer bei Asylrecht, dass es sich um das Recht politisch Verfolgter handelt in ein Land einzureisen und aufgenommen zu werden. In diesem Sinne ist das Asylrecht in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nur halb darin. ….Es ist das Recht quasi auf Ausreise angesprochen, es ist aber nicht verbunden mit einer Verpflichtung der Staaten oder eines Staates, solche Menschen auch aufzunehmen."
    145 Staaten haben die Genfer Konvention unterzeichnet
    Die Genfer Konvention hat diese zweite Hälfte, nämlich den Leistungsauftrag der Staaten gegenüber Flüchtlingen hinzugefügt und einen rechtlich bindenden Vertrag geschaffen. Bis heute haben 145 Staaten die Genfer Konvention unterzeichnet. In der aktuellen Flüchtlingskrise, wo Millionen Menschen ihre kriegs- und bürgerkriegszerstörte Heimat verlassen haben und nach Europa hineindrängen, ist das Asylrecht sicherlich jenes Menschenrecht, um das heftigsten gerungen wird.
    Aber was mit dem Vertrag der Genfer Flüchtlingskonvention schon 1951 gelang, das brauchte für die Gesamtheit der Menschenrechte Jahrzehnte. Erst 1966 konnte die Generalversammlung der UN zwei umfassende Pakte beschließen, in denen die Menschenrechte festgehalten wurden: Der sogenannte Zivilpakt mit den bürgerlichen und politischen Rechten, und der sogenannte Sozialpakt mit den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Beate Wagner:
    "Es fängt an mit dem Recht auf Leben, mit dem Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, mit dem Recht auf Gleichheit, dem Prinzip der Nichtdiskriminierung und dann natürlich die Teilhaberechte, die politischen Rechte. Das ist im Wesentlichen der Umfang des Paktes für politische und bürgerliche Rechte. Der Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sagt schon vom Namen her mehr über die Inhalte: da ist kodifiziert das Recht auf Arbeit, dann soziale Rechte, bezogen auf die Familie, auf Frauen, der Schutz von Minderjährigen enthalten, aber auch die Bereiche des Schutzes der Lebensumstände, also das Recht auf Wohnen, das Recht auf Gesundheit und dann ganz wichtig das Recht auf Bildung."
    Menschenrechte werden nicht immer gleich interpretiert
    Dass es überhaupt zwei getrennte Menschenrechtspakte wurden, dass nach ihrer Verabschiedung 1966 bis zu ihrem Inkrafttreten, bis nämlich genügend Staaten diese Verträge ratifiziert hatten, noch einmal 10 Jahre verstrichen, hing mit dem Kalten Krieg zusammen, wo der Westen stärker die politischen Freiheiten betonte, während der Ostblock sich zum Vorreiter des Sozialpaktes stilisierte. Bis heute haben die USA den Sozialpakt nicht ratifiziert, China hingegen verweigert dem Zivilpakt die Unterschrift. Aber auch die Staaten, die beide Pakte für sich angenommen haben, interpretieren die dort genannten Menschenrechte nicht unbedingt in der gleichen Weise. Das zeigen regionale Menschenrechtsabkommen. Während Meinungs- und Pressefreiheit im Westen liberal interpretiert wird, heißt es zum Beispiel in der Kairoer Erklärung über Menschenrechte im Islam von 1990, in Artikel 22:
    "Jeder hat das Recht auf freie Meinungsäußerung in einer Weise, die nicht gegen die Prinzipien der Scharia verstößt."
    Eine andere Kluft allerdings hat man heute überwunden. Die Erfahrung mit den Menschenrechtsabkommen hat nämlich gezeigt, wie eng die beiden getrennten Vertragspakte zusammengehören, so Anna Würth, Islamwissenschaftlerin und Ethnologin, sie arbeitet für das Deutsche Institut für Menschenrechte:
    "Der Zivilpakt enthält zum Beispiel das Recht auf Leben, das heißt niemand darf hingerichtet werden, getötet werden durch Organe des Staates, ohne dass es bestimmte Verfahren gibt. Der Sozialpakt ergänzt dieses Recht auf Leben mit einem Recht auf Ernährung, implizit auch auf Wasser, auf Gesundheitsvorsorge, denn ein Recht auf Leben ohne das Sozialpaktrecht Ernährung, Wasser und Lebensstandard macht eigentlich nicht so viel Sinn."
    "Niemand darf daran gehindert werden, Bildung zu erlangen"
    "Ich will ergänzen, dass beide Pakte Menschenrechte enthalten, die einerseits dem Staat Grenzen setzen und andererseits dem Staat Handlungsaufträge geben. Grenzen: zum Beispiel das Recht auf Bildung heißt, niemand darf daran gehindert werden Bildung zu erlangen, das gilt für alle, d.h. beispielsweise auch für Flüchtlingskinder. Beispiel Handlungsauftrag: der Zivilpakt enthält das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, das bedeutet, dass der Staat auch eine unabhängige Gerichtsbarkeit schaffen muss, die wirksam sein muss, bei der der Einzelne seine Rechte einklagen kann, seine Rechte durchsetzen kann."
    Man muss sich das noch mal klar machen: Die Bundesrepublik Deutschland, genau wie alle anderen Staaten, die die beiden Menschenrechtsabkommen ratifiziert haben, hat damit diese Bestimmungen in geltendes nationales Recht überführt. Und wenn der Sozialpakt nicht zwischen Staatsbürgern und Nichtstaatsbürgern unterscheidet, so heißt das, dass anerkannte Flüchtlinge dieselben Rechte besitzen wie Einheimische, was Bildung, was den Zugang zum Arbeitsmarkt angeht. Einen Unterschied gibt es nur im Zivilpakt, wo es um staatsbürgerliche Rechte wie etwa das Wahlrecht geht.
    Schutz und weitgehende Rechte, so Steffen Angenendt, werden bereits dem Asylbewerber zuteil, das ist schon in der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt.
    "Wenn die Genfer Konvention richtig eingehalten wird, richtig implementiert wird, dann ist der menschenrechtliche Schutz, den die Konvention bietet, ausreichend. Als anerkannter Flüchtling habe ich Rechte, die weitgehend denen von Einheimischen gleichen, ich habe auch als Asylbewerber Rechte, die sich aus der Konvention ergeben. Also eigentlich reicht der Schutz der Genfer Konvention aus, denn er ist sehr weitgehend. Wenn er denn richtig implementiert wird, wenn nicht immer an allen Ecken und Kanten versucht wird, diese Rechte zu beschneiden."
    Freiheits- und Schutzrechte des Individuums in Deutschland an erster Stelle
    In Deutschland blickt man stolz auf das Grundgesetz, das in Reaktion auf das menschenverachtende Naziregime, die Freiheits- und Schutzrechte des Individuums an die erste Stelle gerückt und stark gemacht. Aber dieser Umstand führt bei manchen auch zu der kurzschlüssigen Annahme, man bräuchte sich nicht weiter mit den UN-Menschenrechtsabkommen zu beschäftigen, weil das Grundgesetz doch weit höhere Standards garantiere. Das aber sei ein falsche Verständnis, dem, so Beate Rudolf, das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich widerspricht.
    "Das wird ganz deutlich im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte, dort hat das Verfassungsgericht in der Konkretisierung des Rechts auf das soziokulturelle Existenzminimum ausdrücklich Bezug genommen auf die internationalen Menschenrechte, auf den Wirtschafts- und Sozialpakt, und hat deutlich gemacht, dass diese Rechte mit herangezogen werden müssen, d.h. ganz konkret bei der Ausgestaltung der so genannten Hartz IV-Gesetze. Die Hartz IV Gesetze müssen so ausgestaltet sein, dass sie die sozialen Rechte der Menschen beachten. Oder das Asylbewerberleistungsgesetz, wo die Leistungen für Asylsuchende unter denen für Hartz IV Empfänger liegen, da hat das Bundesverfassungsgericht klargemacht: Das ist mit den internationalen Menschenrechten und damit mit dem Menschenrecht auf ein soziokulturelles Existenzminimum nicht vereinbar."
    Inzwischen ist in Zusatzprotokollen zu den beiden Menschenrechtspakten auch eine Individualbeschwerde zugelassen. Das heißt jeder Einzelne kann, nachdem er in seinem Land alle Rechtswege ausgeschöpft hat, sich an die UN wenden oder in Europa an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, und das Recht auf Arbeit einklagen. Die Bundesrepublik hat diese Individualbeschwerde im Sozialpakt nicht ratifiziert, hat sie Angst vor Klagen?
    "Es geht darum, dass der Staat sagt, jawohl, es gibt ein Recht auf Arbeit"
    "Die Angst vor so einem Klageverfahren, …. das steckt ein Stück weit dahinter, das ist aber ein Missverständnis. Es geht bei dem Recht auf Arbeit ja nicht darum, das garantiert wäre, dass jeder Mensch zu jeder Zeit Arbeit hat, sondern es ist umgekehrt die Verpflichtung der Staaten alles zu tun, dass alle Menschen in der Lage sind, Arbeit zu bekommen. Es geht darum, dass der Staat sagt, jawohl, es gibt ein Recht auf Arbeit, also ich erkenne die Verpflichtung an, mich darum zu kümmern, dass jeder Mensch Arbeit kommt. Da gibt es ein System der Arbeitsförderung, ein soziales Sicherungssystem, Bildungseinrichtungen usw. die es Ihnen ermöglichen auch beruflich tätig zu werden und Erwerbsarbeit aufzunehmen."
    Das Menschenrecht auf Arbeit beinhaltet also keinen Anspruch auf einen Arbeitsplatz, wohl aber darauf, dass der Staat sich um die strukturellen Voraussetzungen bemüht. Ob er seinen Verpflichtungen nachkommt, wird von der UN überprüft. Alle Staaten, die die Menschenrechtsverträge unterzeichnet haben, sind verpflichtet, in regelmäßigen Abständen über die Umsetzung der Menschenrechte zu berichten. Die UN hat dafür Vertragsausschüsse gebildet mit unabhängigen Experten, die diese Berichte auswerten. Neben den offiziellen Berichten der Staaten, die im Eigeninteresse schöngefärbt sein können, werden auch kritische Stellungnahmen von Menschenrechtsorganisationen, so genannte Schattenreporte studiert. In Deutschland wurde vom Bundestag 2001 eine unabhängige Institution mit Wissenschaftlern und Experten ins Leben gerufen: Das Deutsche Institut für Menschenrechte, geleitet von der Rechtswissenschaftlerin Beate Rudolf:
    "Das Institut ist die so genannte nationale Menschenrechtsinstitution Deutschlands entsprechend den Vorgaben der Vereinten Nationen, d.h. wir sind die Institution, die dazu beitragen soll, dass die Menschenrechte nach Hause kommen, dass die Menschenrechte auch durch den Staat innerstaatlich und in seiner Politik nach außen beachtet werden."
    Deutsches Institut für Menschenrechte analysiert Handlungsbedarfe
    Das Institut forscht wissenschaftlich und anwendungsorientiert, es ist tätig in der Politikberatung, nimmt Stellung zu Gesetzgebungsverfahren oder vor Gericht. Eine seiner Hauptaufgaben ist das so genannte Monitoring:
    "Monitoring heißt beobachten und dann auch Schlüsse aus diesen Beobachtungen ziehen, welche Handlungsbedarfe bestehen. Wir haben den spezifischen Auftrag die Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen und die Umsetzung der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zu monitoren, d.h. hier müssen wir ein besonderes Augenmerk darauf legen, aber auch in unserer übrigen Arbeit monitoren wir, beobachten wir, denn Beobachtung heißt kritische Begleitung der Umsetzung von Menschenrechtsverträgen."
    Im vergangenen Jahr erhielt das Institut den gesetzlichen Auftrag, alljährlich dem Bundestag über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland Bericht zu erstatten:
    "Wir werden in diesem Jahr den ersten Bericht vorlegen, wir haben aber in der Vergangenheit natürlich zu einzelnen Fragen immer auch schon berichtet. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel mitgewirkt an den internationalen Kontrollverfahren, sowohl zur Behindertenrechtskonvention als auch zur Anti-Rassismuskonvention."
    Nationalstaat muss Menschenrechte garantieren
    In den Menschenrechtsabkommen der UN ist und bleibt der Nationalstaat in der Schlüsselrolle: Er muss die Menschenrechte garantieren, vor allem muss er seine Bürger vor Gewalt schützen. Was aber, wenn er bei dieser Aufgabe versagt, weil er in Bürgerkriegen zusammengebrochen ist oder selber zum ärgsten Feind wird?
    "Jeder Staat ist verpflichtet, seine Bürger zu schützen vor massenhaften Gräueltaten, vor massenhaften Verbrechen. Wenn der Staat dazu nicht in der Lage ist oder wenn der Staat gar selber der Verbrecher ist, der Massenverbrechen begeht, dann kommt die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, dann kommen andere Staaten ins Spiel, mit einer subsidiären, also nachrangigen Verantwortung."
    Peter Rudolf, Politikwissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik hat zur Gewaltprävention geforscht: Die Mittel der internationalen Gemeinschaft, so Rudolf, seien freilich beschränkt. Die Forschung unterscheidet zum einen die strukturelle Prävention, das meint langfristige Unterstützung, beim Aufbau von Rechtsstaaten und einer Zivilgesellschaft. Zum anderen die operative Prävention, vom diplomatischen Einwirken, über Wirtschaftssanktionen bis hin zur militärischen Intervention, wenn es darum geht, einem mörderischen Diktator in den Arm zu fallen.
    "Wenn man irgendwo interveniert, dann muss Sorge dafür getragen werden, dass ein Land nicht in Instabilität, in Chaos, in Bürgerkriege verfällt, im Falle Libyens war das der Fall, man hat das Regime bestürzt, aber man hat sich nicht engagiert, keine Friedenstruppen geschickt, da war das Chaos des Bürgerkrieges geradezu programmiert. Wenn die UN eine wichtige Rolle zu spielen haben, das zeigt die bisherige Erfahrung, dann ist das durch die Entsendung von Friedenstruppen, Peacekeeping-Truppen nach Beendigung von Bürgerkriegen, denn neue Bürgerkriege brechen statistisch mit größerer Wahrscheinlichkeit in den Staaten aus, die schon zuvor Bürgerkriege durchlebt haben."
    Großes Interesse, die Menschenrechtssituation weltweit zu verbessern
    Staaten mit Gewalterfahrungen werden von neuer Gewalt heimgesucht, das ist ein fatales Krisenmuster, das die Politikwissenschaftler herausgefunden haben. Trotz der gegenwärtigen Bürgerkriege, trotz der fatalen Situation zumal in Syrien, hegt die internationale Gemeinschaft große Ambitionen, die Menschenrechtssituation weltweit zu verbessern. Und dabei orientiert man sich an der ehrgeizigen Devise der Agenda 2030, erläutert Anna Würth, Politikwissenschaftlerin am Deutschen Institut für Menschenrechte:
    "Die Agenda 2030 hat ein übergeordnetes Motto, das heißt leave no one behind! Niemand soll auf der Strecke bleiben gesellschaftlich, im nationalen und im internationalen Rahmen. Und das interessante daran ist, dass das ein zentraler menschenrechtlicher Gedanke ist, dass Menschen, die verwundbar sind, die Schutz brauchen, nicht auf der Strecke bleiben sollen."
    Im Blick auf die Entwicklung der Menschenrechte bis heute spricht man von drei Generationen oder Dimensionen: Die erste Dimension bezeichnet die klassischen Freiheitsrechte des Zivilpaktes, die zweite Dimension umfasst die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Anspruchsrechte des Sozialpaktes. Die dritte Dimension betrifft die Schutzrechte besonders gefährdeter Personengruppen. Zu diesen Menschenrechtsverträgen jüngeren Datums gehören unter anderem die Behindertenrechtskonvention und die Kinderrechtskonvention, zuletzt das internationale Abkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, das 2010 in Kraft getreten ist.
    Wie wird es weitergehen?
    "Ich bin nicht der Meinung, wir hätten einen Punkt erreicht, an dem man Schluss machen sollte, ich denke man wird diesen Punkt nie erreichen, weil diese speziellen thematischen Konventionen, die sich immer auf bestimmte Betroffenengruppen richten, natürlich zeithistorisch bedingt sind. Ich denke, was dringend im globalen Maßstab einer Konvention bedarf, sind die sexuellen Rechte von gleichgeschlechtlich orientierten Menschen, die bisexuellen Menschen usw. Da gibt es entsprechende Diskussionen auf der UN-Ebene. Das ist wichtig."