Donnerstag, 28. März 2024

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500 Jahre Reinheitsgebot
"Bier ist kulturell eingraviert"

Bier habe den Anschein, das letzte Überbleibsel aus einer vermeintlich guten alten Zeit zu sein, sagte der Kulturhistoriker und Buchautor Gunther Hirschfelder im Deutschlandfunk. In einer Welt voller schlechter Lebensmittel sei es wirklich rein - dabei wurde das Reinheitsgebot schon wenige Jahre nach seinem Erlass wieder aufgeweicht.

Gunther Hirschfelder im Gespräch mit Thielko Grieß | 23.04.2016
    Gunther Hirschfelder, Professor an der Universität Regensburg
    Gunther Hirschfelder, Professor an der Universität Regensburg (picture alliance / dpa)
    Thielko Grieß: Es zischt, es perlt, es schäumt, und es schmeckt besser, wenn es gekühlt ist und macht in größeren Mengen ziemlich betrunken. Die Rede ist von Bier. Deutschlands Brauereien sind manchmal sehr groß, aber es gibt auch eine ganze Reihe von regionalen Brauereien in großer Vielfalt. Gebraut wird nach einer Regel, die in ihren Grundzügen heute auf den Tag genau 500 Jahre alt wird, das sogenannte Reinheitsgebot, erlassen am 23. April 1516 von bayerischen Herzögen in Ingolstadt, heute ein Standard des Brauens über Bayern hinaus. Das Gebot beschränkt die Zahl der Zutaten, aus denen Bier hergestellt wird und werden darf, auf Hopfen, Malz und Wasser. Zur Gärung wird Hefe zugesetzt. Das 500 Jahre alte Reinheitsgebot, das klingt nach einer geradlinigen Tradition, allerdings gibt es einige Schlingerkurven.
    - Über sie habe ich mit Gunther Hirschfelder gesprochen, Kulturhistoriker an der Universität in Regensburg. Meine erste Frage an Gunther Hirschfelder: Hopfen, Malz und Wasser – warum haben die bayerischen Herzöge die Kreativität der Brauer auf Jahrhunderte derart beschränkt?
    Hirschfelder: Erstens haben sie die Kreativität der Brauer eigentlich gar nicht beschränkt, sondern das Reinheitsgebot ist ja schon in den 1550er-Jahren wieder aufgeweicht worden und dann lange in Vergessenheit geraten. Aber es gab drei maßgebliche Gründe, hier in den Biermarkt einzugreifen. Das eine war, um die norddeutsche Konkurrenz aus Bayern fernzuhalten, vor allem in Niedersachsen, etwa in Einbeck oder auch in Hamburg hatten sich ja große Braugewerbe entwickelt, die eigentlich mit ihrem wunderbaren Hopfenbier auf große Teile des deutschen Marktes drängten. Das andere ist, dass tatsächlich eine ganze Reihe von Zusätzen in Bier oft drin waren, die man nicht drin haben wollte. Das waren alle möglichen Kräuter aus der alten Grutbierzeit, etwa Koriander, aber auch Dinge, die dann krank gemacht haben und schädlich waren, psychotrope Substanzen wie etwa Bilsenkraut konnten in Bier sein. Und das Dritte ist eigentlich das Wichtigste: Wir sind ja in einer Zeit der Hungersnöte, die immer wieder periodisch aufgetreten sind. Und Hungersnöte bedeutet, man hatte nicht genug Brotgetreide. Und wenn man etwa Weizen zu Bier gebraut hat, dann fehlte der Weizen für das Brot. Man hat einfach gesagt, lassen wir den Weizen dem Brot vorbehalten sein und nehmen für das Bier nur Gerste. Eigentlich eine Diskussion, die wir heute auch haben, wir nennen sie dann Tank gegen Teller.
    Grieß: Jetzt bin ich gerade beim ersten Satz, den Sie gesagt haben, hellhörig geworden. Aufgeweicht worden sei dieses Gebot schon in den 1550er-Jahren – inwiefern?
    Hirschfelder: "Bier ist ein Sammelbegriff"
    Hirschfelder: Insofern, als dass ja Bier ein Sammelbegriff ist für alle möglichen Getränke, die eben aus einer Stärkebasis hergestellt sind, die dann vergoren werden und so drei bis fünf oder sechs Prozent Alkohol haben. Die Gerste war in der entsprechenden Menge nicht immer unbedingt auch zu haben. Es gab Qualitätsschwankungen. Und es gibt eben auch das, was wir heute auch haben: Geschmacksschwankungen. Und da hat man in Bayern dann in der Mitte des 16. Jahrhunderts schon gesagt, wir trinken aber so gerne Weizenbier, das Weißbier. Das wird dann eben doch aus Weizen hergestellt, kann man da nicht Ausnahmen machen? Und die Herzöge haben dann gesagt, warum eigentlich nicht, wir verleihen sogenannte Privilegien oder Monopole an bestimmte Brauinstitutionen, die dann einem anderen Fürsten gehören. Und die dürfen durchaus Weißbier brauen. In anderen Teilen Deutschlands hat man sich ohnehin nicht darum geschert. Denken wir etwa an die Berliner Weiße oder an das obergärige Bier im Rheinland.
    Grieß: Ist das Reinheitsgebot von 1516 denn in seinen wesentlichen Bestandteilen bis heute gesetzlich bindend?
    Hirschfelder: Es ist heute gesetzlich bindend. Es ist von der EU dann gekippt worden. Es gibt bei den deutschen Brauern eine Selbstverpflichtung, die vor allem in Bayern und Baden-Württemberg streng eingehalten wird, allerdings mit einer ganzen Reihe von Ausnahmen, denken wir etwa an viele der modernen Craft-Biere, die anders gehopft sind, die Würzzusätze haben und so weiter. Denken wir an die Biermischungen. Das Reinheitsgebot ist eine Sache, die im Marketing und in unserer Wahrnehmung eine größere Rolle spielt als im Biermarkt an sich. Aber das Reinheitsgebot spiegelt ja auch etwas ganz anderes.
    Grieß: Nämlich?
    Hirschfelder: Das Reinheitsgebot ist doch heute so aktuell. Und es ist ja in das öffentliche Bewusstsein gerückt erst nach dem Ersten Weltkrieg in der Weimarer Zeit, auch wieder, um Bier als Marke stark zu machen. Und wir interessieren uns heute aus ganz anderen Gründen für das Reinheitsgebot. Wir leben doch als Bundesbürger in einer Angst vor einer vergifteten Welt, in der eigentlich überall Schadstoffe drin sind, wo überall Dinge drin sind, die wir gar nicht kontrollieren können. Und beim Bier hat es den Anschein, es ist so das letzte Überbleibsel aus einer vermeintlich guten alten Zeit, die es so natürlich nie gegeben hat. Was dann wirklich rein ist – und am Reinheitsgebot ist auch dieser Begriff rein so faszinierend: Eine Welt voller schlechter Lebensmittel, die kennt offensichtlich nur ein Relikt aus der guten Zeit, was wirklich rein ist, und das ist das Bier. Das spiegelt das.
    Grieß: Also ein richtig gutes Marketing, das aber mit der Realität dann doch nicht so viel zu tun hat, denn immerhin, es darf ein Kunststoff zugesetzt werden, um, ich denke, Haltbarkeit zu verlängern. Wir haben von Glyphosat gehört, einem Pflanzenschutzmittel, das in der Produktion von Zutaten eingesetzt wird. Also etwas, was der Realität nicht ganz entspricht?
    Hirschfelder: Na ja. Also das Glyphosat, das ist eine andere Sache. Wir haben überall Fremdstoffe drin. Aber das Reinheitsgebot hat doch einen positiven Effekt letztlich. Es sensibilisiert uns nämlich für Lebensmittel. Und es macht Menschen auch zu Experten, die sich sonst gar nicht so gut auskennen. Es führt dazu, dass wir uns intensiver mit diesen Dingen beschäftigen. Und insofern ist unter dem Aspekt der Gesundheitsbildung und Lebensmittelbildung das Reinheitsgebot doch eine prima Sache. Wir fragen eben nicht nur, was kommt eigentlich ins Bier rein, sondern wir denken weiter und fragen, was ist eigentlich in der Milch drin, was ist im Orangensaft drin. Und wie sieht es mit dem Schweinebraten aus?
    Grieß: Nun gibt es aber ein Reinheitsgebot nicht für andere Grundnahrungsmittel, oder sagen wir besser, überhaupt Grundnahrungsmittel. Brot zum Beispiel oder Milch. Was sagt das über die deutsche Kultur aus, dass es dieses Gebot mit all dem, was da dran hängt, nun ausgerechnet für Bier gibt?
    "Bier ist kulturell eingraviert"
    Hirschfelder: Einmal, dass Bier kulturell eingraviert ist in ich will gar nicht sagen eine deutsche, sondern eine mitteleuropäische Kultur, wo wir seit keltisch-germanischer Zeit durchgehend bierartige Getränke haben, die gebraut werden. Und diese Getränke haben sich so stark im Kanon der Getränke insgesamt gehalten, weil wir eine christlich geprägte Kultur sind oder lange waren, und da kann man den Alkohol per se gar nicht ablehnen. Der Alkohol wird in der Bibel häufig erwähnt, denken wir ans Johannesevangelium, wo Jesus sagt, er sei der Weinstock und die Menschen seien eben die Reben. Oder denken Sie etwa ans Abendmahl, an die Eucharistie, wo eben der Wein zu Blut Christi wird. Das sind die maßgeblichen Gründe dafür, dass wir zum Alkohol heute ein ambivalentes Verhältnis haben. Und der Alkohol oder das Bier vor allem sind dann natürlich besonders, weil sie ja zur deutschen städtischen Kultur gehören, zur Wirtshauskultur, zur Diskussionskultur. Das lässt sich nach so langen Traditionen, auch wenn wir heute kritisch auf Alkohol schauen, ganz schwer trennen. Vielleicht sieht das in 50 Jahren anders aus. Aber im Augenblick ist Bier doch positiv belegt.
    Grieß: Nun gibt es einen Trend zu kreativen Biersorten, sogenanntem Craft Beer, ein Trend, der gegen das sich richtet, was die großen Brauereien in großen Mengen herstellen. Rüttelt das womöglich am Reinheitsgebot?
    Hirschfelder: Am Reinheitsgebot nicht unbedingt, weil es einfach genug Ausnahmemöglichkeiten gibt, aber der neue Craft-Beer-Trend spiegelt eben die Tatsache, dass wir keine gesellschaftliche Mitte in dem Sinn mehr haben wie in der alten Bundesrepublik, als die halbe Republik eigentlich ähnliche Biere getrunken hat. Wir leben heute in einer Lebensstilgesellschaft. Und Menschen möchten ihrem Lebensstil Ausdruck verleihen, ihrer Individualität. Und das tun wir durch besondere Konsumstile eben, besonders im Bereich des Essens und Trinkens, und hier besonders im Bereich der Biere. Die Zeit der großen Einheitsbiere ist vorläufig vorbei. Es geht zu Spezialisierungen, zu Lifestyle-Getränken, und da schafft das Bier offensichtlich die Wende ganz wunderbar, in den USA übrigens noch stärker.
    Grieß: Gunther Hirschfelder, Kulturwissenschaftler an der Universität Regensburg. Danke für das Gespräch!
    Hirschfelder: Danke Ihnen, Herr Grieß, tschüß!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.