Donnerstag, 18. April 2024

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"52 Prozent Spitzensteuersatz ist durchaus vertretbar"

Armin Schild sagt, dass Vermögende und Reiche stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen müssten. Dieses könne beispielsweise durch eine Abgeltungssteuer oder durch eine Vermögenssteuer erfolgen. Der IG-Metall-Bezirksleiter wurde gestern erstmals in den SPD-Bundesvorstand gewählt.

Armin Schild im Gespräch mit Friedbert Meurer | 06.12.2011
    Friedbert Meurer: Die SPD will wieder zurück an die Macht. Als sie 1982 die Regierungsverantwortung abgab, Helmut Kohl Kanzler wurde, da dauerte es sage und schreibe 16 Jahre. Erst dann, 1998, gelang es den Sozialdemokraten wieder, die Bundesregierung zu führen. So lange soll es diesmal nicht dauern. Folgt man den meisten Reden auf dem Parteitag in Berlin, dann wünscht sich auch niemand in der SPD die Große Koalition zurück - von 2005 bis 2009 gab es die ja -, sondern auf jeden Fall soll die SPD stärkste Kraft bei der nächsten Bundestagswahl werden.

    Der Versöhnung von Gewerkschaften und SPD, die dafür und für ein gutes Ergebnis Voraussetzung wäre, diente auch die Wahl des IG-Metall-Bezirksleiters Armin Schild in den SPD-Bundesvorstand gestern. Armin Schild ist bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Armin Schild: Guten Morgen!

    Meurer: Sie haben den Sprung in den Bundesvorstand geschafft - einen verkleinerten Bundesvorstand; Glückwunsch dazu, Herr Schild -, allerdings mit dem schlechtesten Ergebnis überhaupt. Trübt das etwas Ihre Freude?

    Schild: Die Behauptung ist nicht ganz zutreffend. Ich bin im ersten Wahlgang gewählt worden.

    Meurer: Also das schlechteste Ergebnis im ersten Wahlgang?

    Schild: So ist es, und ich darf darauf hinweisen, dass ich das mit großer Gelassenheit sehe. Der heutige Parteivorsitzende hat mir mitgeteilt, dass er es niemals im Leben geschafft habe, im ersten Wahlgang überhaupt gewählt zu werden. Für mich ist das eine große Bestätigung. Ich habe auf diesem Parteitag keinen großen Bekanntheitsgrat, mein Hauptbetätigungsfeld liegt bislang natürlich in der IG Metall, und es ist ein großer Erfolg, im ersten Wahlgang bei einer sehr strammen Frauenquote in der SPD gewissermaßen bereits durchzulaufen.

    Meurer: Also das ist keine kleine Niederlage für die SPD-Linken? So würden Sie das nicht interpretieren?

    Schild: Nein, auf keinen Fall. Das ist keine Niederlage, sondern das ist ein Erfolg.

    Meurer: Wie sehen Sie denn, Herr Schild, Ihre Rolle als IG-Metaller im SPD-Bundesvorstand?

    Schild: Ich bin in der IG Metall aktiv tätig, und das werde ich auch bleiben. Deshalb will ich zwei Blickwinkel dazu einnehmen: zunächst den des Sozialdemokraten, des Parteivorstandsmitglieds der SPD. Ich glaube, dass es für die SPD ohne Zweifel wichtig, von entscheidender Bedeutung ist, dass sie die Arbeitnehmer anspricht, die Menschen, die jeden Tag arbeiten gehen, die nicht von ihren Kapitalerträgen, sondern von ihren Arbeitseinkünften leben müssen, und für diese Menschen Politik zu gestalten, bedeutet natürlich auch, mit den Gewerkschaften eng zu kooperieren. Ich glaube, dass hier eine wichtige Rolle für mich als Sozialdemokrat liegt, und als Gewerkschafter möchte ich natürlich ganz ausdrücklich sagen, dass die vergangenen zehn Jahre für die SPD nicht sehr erfolgreich waren. Der Kurs, der sich teilweise von den Gewerkschaften ablösen wollte, hat sich für die Partei nicht gelohnt.

    Meurer: Das soll sich ja ändern. Aber jetzt gab es gestern Abend eine Abstimmung: Rente mit 67 bleibt so, wie die SPD das zuletzt beschlossen hat. Für Sie ein kleiner Rückschlag?

    Schild: Nein, das ist nicht das Ergebnis der Abstimmung. Das Ergebnis der Abstimmung ist sehr wohl, dass Korrekturen an der Rente mit 67 vorgesehen sind. Die sind auch wichtig und notwendig.

    Meurer: Welche?

    Schild: Und das Ergebnis ist, dass über die weiteren Themen, die im gestern beschlossenen Antrag ausdrücklich formuliert wurden, die angesprochen werden müssen und die im bisherigen Rente-mit 67-Konzept nicht tragfähig sind, wir in einer Arbeitsgruppe ...

    Meurer: Aber das sind doch Korrekturen, die in der SPD schon beschlossen sind. Also: Erst sollen mindestens 50 Prozent aller über 60-Jährigen wieder einen Job haben und dann kommt die Rente mit 67. Das war ja der Stand der Dinge zuletzt.

    Schild: Na ja, es geht natürlich auch darum, jetzt Wege zu finden, wie wir tatsächlich die Beschäftigungsquote Älterer erhöhen können. Nur auf die Quote zu warten, ist natürlich zu wenig. Die Unternehmen sind ganz außen vor. Heute lohnt es sich ja geradezu für Unternehmen in Deutschland, ältere Beschäftigte gewissermaßen in die Erwerbsunfähigkeit zu treiben. Das ist faktisch sinnvoll. Ob das alle Unternehmen machen, will ich auch nicht behaupten, aber viele tun es, kümmern sich um die Arbeitsbedingungen älterer Arbeitnehmer überhaupt nicht und rechnen damit, dass die zu ihren eigenen Lasten früher in die Erwerbsunfähigkeit verschwinden. Das ist eines der großen Probleme.

    Das zweite ist: Wir brauchen natürlich einen flexibleren Rentenübergang. Alle Menschen in Deutschland über einen Kamm beim Lebensalter 67 Jahre zu scheren, geht vollkommen an der Realität vorbei.

    Meurer: Aber wenn Sie am 1. Mai gesagt haben, Herr Schild, die Rente mit 67 ist eine grandiose Fehlentscheidung, so radikal würden Sie es heute nicht mehr sagen?

    Schild: Selbstverständlich sage ich das. Das ändert sich zwischen dem 1. Mai und heute nicht. Aber ich muss natürlich auch zur Kenntnis nehmen, ...

    Meurer: Aber die SPD hält an ihr fest!

    Schild: Nein. Die SPD hat auf ihrem Parteitag gestern beschlossen, dass es ein differenziertes System der Rentenübergänge geben muss. Einer dieser Wege soll die Rente mit 67 sein können, es soll aber auch eine Reihe von anderen Zugangswegen geben. Das geht ein auf die Kritik an der Rente mit 67. Und sie hat beschlossen, dass die weiter bestehenden Ungereimtheiten in einer Arbeitsgruppe innerhalb der nächsten Monate weiter diskutiert werden, und dort werden wir uns einbringen und, ich bin sicher, auch zu neuen Ergebnissen kommen. Ob das dann am Ende bedeutet, dass es keine Rente mit 67 für niemand in Deutschland gibt, das will ich nicht behaupten, aber das ist auch nicht der Kern, die Kernfrage.

    Meurer: Anderes symbolträchtiges Thema ist die Steuerpolitik. Herr Schild, sind Sie für einen Spitzensteuersatz 49 Prozent, oder sollen es 52 sein?

    Schild: Auch hier stellt sich die Frage, was ist das Ziel, und dem Ziel folgend muss der Weg bestimmt werden. Das Ziel muss sein, dass die Vermögenden und Reichen in unserer Gesellschaft stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls beitragen. Das kann durch eine Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge erfolgen, das kann durch eine sogenannte Vermögenssteuer erfolgen, oder auch auf anderem Wege. Darüber wird ja heute Vormittag diskutiert und beschlossen werden. Ich halte das, was wir jetzt in Deutschland erleben, jedenfalls nicht für akzeptabel. 4,6 Billionen Euro privatem Nettovermögen auf der einen Seite stehen auf der anderen Seite eine zunehmende Zahl altersarmer Menschen und auch armer Kinder gegenüber. Der soziale Zusammenhalt zerreißt, und es ist natürlich Aufgabe, Kernaufgabe einer sozialdemokratischen Partei, Wege zu finden, konkrete Wege zu definieren, wie dieser soziale Zusammenhalt auch wieder hergestellt werden kann, und das ist in der Politik ganz vorne gefragt.

    Meurer: Das ist ja eine konkrete Frage: 49 Prozent, also knapp unter der Hälfte oder 52 Prozent?

    Schild: Ich glaube, dass 52 Prozent Spitzensteuersatz durchaus vertretbar sind. Das ist ja ungefähr das, was Helmut Kohl im letzten Jahr seiner Amtszeit als Bundeskanzler als Spitzensteuersatz auch getragen hat. Wieso soll das, was damals richtig war, heute falsch sein und unerträglich? Ich denke aber, dass die Frage des Spitzensteuersatzes die in der politischen Debatte ganz oben stehende Frage ist, aber nicht die einzige Möglichkeit, dazu beizutragen, dass Vermögende wieder mehr zum Gemeinwohl beitragen, als das heute der Fall ist.

    Meurer: Die SPD, Herr Schild, lässt die Frage offen, wer wird der nächste Kanzlerkandidat. Welche Kriterien gelten kurz gesagt für Sie in dieser Frage?

    Schild: Die wichtigste Frage ist, glaube ich, angesichts der Finanzmarktkrise oder Eurokrise, wie die Macht der Finanzmärkte begrenzt werden kann, wie die politische Macht innerhalb unserer repräsentativen Demokratien wieder zurück in die Parlamente geholt werden kann, wie der Beruhigung der Märkte die Zukunft für die Menschen gegenübergestellt werden kann. Ich glaube, dass es die große Aufgabe ist, auch im Blick auf die Zukunft Europas, in Deutschland einen Kanzler oder eine Kanzlerin zu haben, die tatsächlich eine europäische Führungsrolle im besten sozialdemokratischen Sinne übernehmen kann. Wer dazu das Zeug hat, der sollte das machen und der wird auch innerhalb Deutschlands die größte Zustimmung und die größten Chancen haben.

    Meurer: Ist das jetzt ein Plädoyer für Peer Steinbrück gewesen?

    Schild: Das ist ein Plädoyer für das gewesen, was ich gesagt habe. Die Frage ist doch klar zu beantworten, Sie wissen, was die Antwort ist. Die Partei hat entschieden, wann die Kanzlerkandidatenfrage diskutiert wird, das ist jetzt nicht der Fall, also werde ich dazu mich nicht weiter äußern.

    Meurer: Armin Schild, IG-Metall-Bezirkschef in Frankfurt und seit gestern Mitglied im SPD-Bundesvorstand. Danke schön nach Berlin und auf Wiederhören.

    Schild: Ich danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.